Leichtbau Aluminium Rheocasting: Leichter und recycelbar
Aluminium im halbfesten Zustand gießen: Das sogenannte Rheocasting erlaubt deutlich leichtere Bauteile, die sich außerdem besser recyceln lassen.
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Die Thixotropie von Leichtbauschmelzen: Was kryptisch klingt, ist ein Phänomen der Rheologie, das bereits in den Siebzigerjahren am Massachusetts Institute of Technology entdeckt wurde – und die Grundlage für den sogenannten Rheoprozess bildet. „Thixotropie“ bezeichnet dabei eine Eigenschaft von Metallschmelzen: Diese fließen während der Erstarrung im Zuge einer Rührbewegung; in Ruhe hingegen bilden sie eine formfeste teigige Masse. Ein Haushaltsnahes Beispiel ist Ketchup, der flüssiger wird, wenn man auf die Flasche schlägt.
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Aluminium-Rheocasting: So funktioniert das Verfahren
Seit Beginn der Jahrtausendwende wurde Rheocasting kontinuierlich weiterentwickelt. Die Salzburger Aluminium Group (SAG) setzt es seit 2016 in Europa im industriellen Maßstab ein. Bei konventionellen Gießverfahren sind dendritisch erstarrte α-Aluminium-Körner charakteristisch für die Mikrostruktur. Beim Rheocasting bilden sich durch eine vorgeschaltete kontrollierte Abkühlung der Schmelze und eine Rührbewegung runde Körner, sogenannte Globuliten. Diese begünstigen die Fließfähigkeit bei der Formfüllung und die Nachspeisung während des Erstarrens.
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Wieso es nicht ohne Leichtbau geht
Da die zu verarbeitende Aluminiumschmelze schon vor der Formfüllung großteils erstarrt ist, lassen sich Erstarrungslunker und Verzug minimieren. Die hohe Viskosität der Schmelze verhindert zudem Turbulenzen und somit Gaseinschlüsse. Diese bilden als Poren bei konventionellen Gießverfahren den größten und schädlichsten Anteil an Gussdefekten. Die teilflüssige Schmelze wird in einer Kaltkammerdruckgussmaschine mit hoher Ausbringung verarbeitet. Zum Einsatz kommen dabei vorwiegend weit verbreitete untereutektische Aluminiumlegierungen der AlSiMg-Familie.
Leichtbau-Potenzial
Die größten Vorteile der verbesserten Gussqualität sind erhöhte Festigkeit und Duktilität. Durch den geringen Porengehalt lässt sich zudem die Blasenbildung bei einem nachgeschalteten Lösungsglühprozess verhindern. Dadurch sind die Teile im Gegensatz zu konventionellem Druckguss T6 wärmebehandelbar. Die möglichen mechanischen Kennwerte reichen damit an Eisenguss oder Aluminiumschmiedeteile heran. Verglichen mit Eisenguss entsteht so erhebliches Leichtbaupotenzial, das annähernd dem Dichtevorteil von Aluminium entspricht, also mehr als 60 Prozent Gewichtsersparnis.
Die Besonderheit dabei: Eisenguss lässt sich bei Betrachtung aller wirtschaftlichen Aspekte wie Materialeinsatz, Korrosionsschutz, mechanische Bearbeitung und Logistik sogar kostenneutral ersetzen. Im Vergleich zu Aluminiumschmiedeteilen eignet sich Rheocasting somit als eine günstige Alternative, um sicherheitsrelevante Fahrwerksteile zu produzieren. Der geringe Verzug und die gute Oberflächenqualität erlauben es, enge Toleranzen auch ohne nachgeschaltete mechanische Bearbeitung einzuhalten – die entsprechenden Prozessschritte können entfallen.
Variabel und schweißbar
Entscheidend für die Automobilindustrie ist aber die Gestaltungsfreiheit entsprechender Bauteile. Die guten Formfüll- und Erstarrungseigenschaften erlauben dünnwandige und dickwandige Strukturen in einem Bauteil. Das Material muss nur dort verwendet werden, wo es für die Funktion des Bauteils wichtig ist. Auch das führt zu leichteren Bauteilen. Die verbesserte Gussqualität und der geringe Porenanteil wirken sich außerdem positiv auf die Dichtheit und Schweißbarkeit von Gussbauteilen aus. Die SAG fertigt deshalb zum Beispiel dünnwandige, schweißbare Gussbauteile für Druckbehälter von Luftfederfahrwerken, die helium-druckdicht sind. Die Anwendung eignet sich auch für Batteriewannen, Klimakompressoren und Wärmetauscher. Für thermisch beanspruchte Bauteile bedeutet das Rheocasting-Verfahren: Verglichen mit Druckguss verfügen sie über eine höhere Wärmeleitfähigkeit.
Besseres Recycling durch Rheocasting
Das Verfahren ermöglicht aber nicht ausschließlich leichtere Bauteile – diese lassen sich auch besser recyceln. Der Einsatz von Sekundäraluminium benötigt nur etwa fünf Prozent der Energiemenge, die notwendig ist, um primär hergestelltes Aluminium zu erzeugen. Die Auswahl der verwertbaren Rohmaterialien ist breit: Schrotte, die lokal bei der Produktion anfallen, und zugekauftes Sekundärmaterial können eingeschmolzen werden – und lassen sich bei entsprechender Schmelzebehandlung ohne Qualitätseinbußen zu hoch beanspruchten Bauteilen weiterverarbeiten.
Wie belastbar die mit dem Verfahren gefertigten Bauteile sind, zeigt ein Anwendungsbeispiel aus der Nutzfahrzeugindustrie: SAG und Volvo Trucks entwickelten gemeinsam einen Kabinenhalter, der ein bestehendes Eisengussbauteil ersetzen sollte. Das Ergebnis: zwölf Kilogramm weniger Gewicht für jeweils zwei verbaute Teile pro Lkw.
SAG erhielt nach dem Projekt im Jahr 2016 einen entsprechenden Serienauftrag – und den „Volvo Innovation Excellence Award“. Das könnte aber erst der Anfang sein: Ähnliche Anwendungen finden sich auch im Lkw-Fahrwerk, in dem aktuell noch Eisenguss dominiert. Beim klassischen zweiachsigen Sattelschlepper lassen sich mittels des Verfahrens etwa 120 Kilogramm sparen; im Fahrbetrieb entspricht das einem Sparpotenzial von 120 Litern Kraftstoff oder 0,3 Tonnen CO2 jährlich pro Lkw. Parallel steigt die Nutzlast des Trucks. In der Folge sind weniger Fahrten für die Fracht notwendig. Beim Leichtbau mit klassischen Werkstoffen kann das Aluminium-Rheocasting so einen (leicht-)gewichtigen Beitrag leisten.
*Johannes Winklhofer, Head of R&D, Salzburger Aluminium Group
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