Produktion Ansätze für den Wandel zur smarten Fabrik

Autor Thomas Günnel

Die smarte Fabrik ist weit mehr als Technologien. Wie vielschichtig das Thema ist, erklärten Fachreferenten beim Smart Factory Day.

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Zu einer smarten Fertigung gehört mehr als neue Technologien. Im Bild: Die Qualitätskontrolle per Bilderfassung im BMW-Werk München.
Zu einer smarten Fertigung gehört mehr als neue Technologien. Im Bild: Die Qualitätskontrolle per Bilderfassung im BMW-Werk München.
(Bild: BMW)

Vom „Shop Floor“ zum „Top Floor“: Markus Wambach, Partner der Management- und IT-Beratung MHP, referierte beim Smart Factory Day zur Vernetzung der Fertigung und wie daraus smarte Ökosysteme entstehen. „Es geht dabei nicht nur darum, neue Technologien einzusetzen“, sagte Wambach. „Die Mitarbeiter müssen in der Lage sein, das Thema zu leben“

Wichtig ist laut Wambach, dass das Management den Wandel steuert. Das Beratungsunternehmen hatte in einer Studie untersucht, wie gut das bereits gelingt; und dazu Mitarbeiter auf unterschiedlichen Hierarchieebenen befragt. Die wichtigsten Ergebnisse:

  • Es findet noch keine durchgängige bereichsübergreifende Zusammenarbeit statt.
  • Der größere Blick fehlt: Ansätze dienen oft dazu, Kosten zu sparen oder die Effizienz zu steigern – dabei werden neue Geschäftsmodelle oder Märkte oft vernachlässigt.
  • Das Tagesgeschäft bremst oder verhindert den Rollout neuer Konzepte der smarten Fabrik.
  • Die IT-Systemlandschaften sind oft noch nicht reif für smarte Fabriken – obwohl die Technologien das sind.
  • Häufig verhindern Legacy-Systeme oder Datensilos den Rollout smarter Technologien.

„Zusammenfassend heißt das: Die Transformation hängt oft noch im Shopfloor – viele Unternehmen sind noch nicht richtig in der smarten Fabrik angekommen“, sagte Wambach.

Fünf Schritte für den Wandel

Der Berater verwies deshalb auf fünf Schritte, mit denen dieser Wandel gelingen könne:

  • Kooperation: Jeder Bereich optimiert sich lokal, ohne ein globales Optimum zu erreichen.
  • Wandel: Die Prozesse im Shopfloor lassen sich einfacher ändern als die Einstellung der Mitarbeiter. Es ist wichtig, „end-to-end“-Ansätze zu leben und die Digitalisierung als Chance zu erkennen.
  • Die Unternehmen benötigen für den erfolgreichen Wandel eine neue Stakeholder-Kultur. Das heißt: langfristige Erfolge priorisieren, wertorientierte Anwendungsfälle verfolgen, eine nachhaltige Innovationskultur etablieren.
  • Das Management muss das Wertschöpfungspotenzial von Daten verstehen, kooperative Datenmarktplätze aufbauen, Datenkreisläufe für die Optimierung etablieren und die Datenmonetarisierung forcieren.
  • Eine erfolgreiche smarte Fabrik funktioniert nur mit Partnern. Das heißt: digitale Ökosysteme aufbauen, Kernkompetenzen gewinnbringend vereinen, auf Augenhöhe zusammenarbeiten.

Wie vielschichtig die Hürden sein können, beschrieb Markus Wambach an einem Beispiel: „In einem Unternehmen wollten die Mitarbeiter die fahrerlosen Transportsysteme (FTS) nicht akzeptieren und haben ihnen den Weg mit anderen Maschinen versperrt. Daraufhin haben die FTS Lautsprecher bekommen, um die Mitarbeiter „anzusprechen“, wenn sie nicht mehr weiterfahren können.“

Einfache Technik überzeugt

Marcel Eigner, Leiter Shopfloor Digitalisierung und Smart Data Analytics bei BMW, und Nela Murauer, Innovationsmanagerin im Werk München, beschrieben zwei technische Ansätze der smarten Fabrik, die der Automobilhersteller bereits einsetzt. „Die Technik muss so einfach sein, wie alles was Sie in der Hosentasche haben – und sie muss interoperabel sein“, sagte Eigner. Der „Edge Store“, stellt basierend darauf Endgeräte zur Verfügung, die die Werker unterstützen sollen, und er ist gleichzeitig eine Ergänzung zum Cloud Computing.

„Wir brauchen eigene, kleine Recheneinheiten nahe an der Wertschöpfung – wir können nicht alles im Rechenzentrum in München laufen lassen und damit die Fertigung in den USA steuern“, erklärte Eigner. Die Endgeräte sind entsprechend am „Rand“ der Cloud – das heißt sie sind mit der Cloud verbunden und werden aus ihr verwaltet.

Alle Fertigungsebenen vernetzen

Das wichtigste Ziel „des ersten industriellen EDGE Store mit Apps“, wie ihn Eigner beschreibt, ist die Anlagenanbindung und die Daten- und Applikations-Durchgängigkeit über alle Ebenen der Fertigung. Praktisches Beispiel: In der Qualitätssicherung nutzt BMW KI-basierte Systeme, um die Typenschilder an den Karosserien zu prüfen. „Neue Modelle lassen sich nachtrainieren, die gelernten Daten werden dann auf den Endgeräten auf Knopfdruck installiert. Wir verwalten so mehrere tausend Instanzen zentral“, sagte Marcel Eigner.

Auf den Geräten, Industrie-PCs die BMW gemeinsam mit seinen Partnern – darunter Microsoft – entwickelt hat, läuft Linux als Betriebssystem, die benötigten Programme lassen sich mittels sogenannter „Docker Container“ integrieren. Docker heißt: Eine Anwendung ist mit allen notwendigen Bibliotheken, Hilfsprogrammen und notwendigen Daten in einer Datei zusammengefasst. Den „EDGE Store“ setzt der Automobilhersteller bereits in allen seinen Werken ein.

IT und Wertschöpfung rücken zusammen

„Das bedeutet auch, dass die klassische IT näher an die Wertschöpfung heranrückt“, sagte Eigner. „Anlagenbediener, die bisher überwiegend mit ihrer SPS gearbeitet haben, kommen jetzt in Kontakt mit Themen wie ´Edge`und Cloud. Wenn man die Menschen hier sprichwörtlich mitnimmt, sind sie meist begeistert. Die Akzeptanz ist sehr hoch“, beschrieb Marcel Eigner.

„Jeder Mitarbeiter kommt dabei mit einem anderen Endgerät besser oder schlechter zurecht“, bestätigte Nela Murauer. „Je wohler er sich mit dem jeweiligen Gerät fühlt, desto besser kann er arbeiten.“ Murauer bezog sich in ihrem Vortrag auf Smart Devices, die vor allem in der Kommissionierung zum Einsatz kommen: zum Beispiel Datenbrillen oder Handschuhscanner. Sieben von zehn Kunden wählen laut Nela Murauer bei ihrer Fahrzeugbestellung eine individuelle Konfiguration – die die Vielfalt in der Kommissionierung erhöht.

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Die Rolle der Mitarbeiter ändere sich mit den Assistenzsystemen, sie erhielten mehr Unterstützung; liefen aber nicht Gefahr, von Robotern ersetzt zu werden: „Menschen sind Robotern oft überlegen, weil sie mit ihren Händen greifen können“, so Murauer. „Solange sich ein Prozess nicht eins zu eins abbilden lässt, wenn etwa eine Vorarbeit für die weitere Verarbeitung mit dem Roboter notwendig ist, steht der Mitarbeiter im Mittelpunkt.“

Systeme einfach in Betrieb nehmen

Ein praktischer Vorteil der vernetzten Systeme sei, dass neue Mitarbeiter leichter angelernt werden können. „Zum Beispiel können zwei Mitarbeiter einen Auftrag sehen, aber nur der derzeit Verantwortliche kann ihn bestätigen“, sagte Murauer. Zudem sind die Geräte vernetzt. „Frühere ´Pick-by-X`-Systeme wurden für jeden Arbeitsplatz separat installiert und in Betrieb genommen. Heute steht ein Industrie-PC am Arbeitsplatz, den ein Planer in maximal einer Stunde remote konfigurieren kann.“

Externe Komponenten sind ebenfalls integrierbar, „dafür stellen wir Standardschnittstellen bereit“, sagte Murauer. BMW arbeitet heute schon am nächsten Projekt: ein RFID-Wearable, das den Handschuhscanner ersetzen kann. „Damit kann der Werker in ein Fach greifen und die darin befindlichen Bauteile werden dann automatisch gebucht.“

Management für den Shopfloor

Aber wie lassen sich die so gewonnenen Daten nutzen? Christian Hertle, Geschäftsführer bei SFM Systems, entwickelt mit seinem Team Shopfloormanagement-Systeme. „Wir werten Daten aus, die oft ohnehin verfügbar sind und stellen sie transparent dar“, erklärte Hertle. „Wir wollen dafür alle Ebenen vernetzen. In der Automatisierung heißt das ERP, MES und Sensoren, im Shopfloor selbst das Management, die Linienführer und die Teamleiter. Dafür wollen wir auch externe Datenquellen auf einer Plattform vereinen, mit Benutzern, Rollen, Analysemöglichkeiten und einem integrierten Datenmanagement.“ Die Daten aus dem digitalen Teamboard sollen dann lernende Algorithmen analysieren und verarbeiten.

Ein praktisches Beispiel für diese sogenannte „Shopfloor Analytics“ ist ein Projekt, an dem SFM Systems derzeit gemeinsam mit der TU Darmstadt, Magna in Graz und MAN arbeitet. „Im Anwendungsfall sammeln wir Daten aus Manufacturing, Assembly Line und der Nacharbeit – und vergleichen diese Daten miteinander. So sehen wir, was nachgearbeitet werden musste, können den Fehler einzelnen Bandabschnitten in der Produktion zuordnen und diese Daten an den entsprechenden Montagestationen visualisieren“, sagte Hertle. „Wenn zum Beispiel eine defekte Dichtung zur Nacharbeit führt, können wir den Werkern eine In-Line-Meldung geben: Achtung! Hier ist besondere Sorgfalt notwendig.“

„Exotenwarnung“ für seltene Handgriffe

Eine ähnliche Möglichkeit hatte zuvor Nela Murauer mit der „Exotenwarnung“ bei smarten Assistenzsystemen in der Produktion beschrieben. Hier können sich Werker zum Beispiel bei bestimmten Ländervarianten der Fahrzeugmodelle benachrichtigen lassen und sind so für mögliche zusätzlich zu erledigende Handgriffe sensibilisiert. Das System rollt BMW derzeit weltweit aus. Insgesamt arbeiten drei Projektleiterinnen an diesen Themen. „Wir arbeiten in den Teilprojekten gut zusammen und integrieren jeweils die Teile der anderen Projekte in die eigenen“, beschrieb Murauer.

Den inhaltlichen Abschluss des Smart Factory Day gestaltete Christian Fieg, Senior Sales Manager beim Anlagenbauer Dürr. Fieg stellte diverse Softwareprodukte seines Hauses vor. Modular aufgesetzt ermöglichen sie laut Fieg eine „End-to-end“-Vernetzung im Shopfloor. Ein Beispiel ist die Qualitätskontrolle lackierter Karosserien. Dabei bewertet die Software die übliche „i.O.“- und „n.i.O.“-Vorgabe; findet aber auch wiederkehrende Fehler, sogenannte Fehlermuster.

Lernende Algorithmen analysieren dazu die erkannten Fehler und leiten daraus ab, ob es tatsächlich ein erkennbares Muster gibt. Tritt ein Fehler zum Beispiel immer zu einer bestimmten Zeit auf, lassen sich so Rückschlüsse ziehen, was die Fehler verursacht – und sie lassen sich entsprechend abstellen, „was sich positiv auf die Gesamtanlageneffektivität auswirkt“, sagte Fieg.

Apropos Effektivität und damit effiziente Produktion – das Resümee des Smart Factory Day lässt sich am besten mit den Worten von Porsche-Produktionsvorstand Albrecht Reimold ziehen: „Nachhaltigkeit ist nicht nur Umweltschutz, sondern in der Gesellschaft Werte zu schaffen, damit man ein schöneres Leben hat – ohne Nachhaltigkeit geht nichts.“

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