Safety Week Autonomes Fahren: „Seid transparent und aufrichtig“

Autor Sven Prawitz

Die Funktionsweise von Assistenzsystemen wird gegenüber den Kunden oft falsch vermarktet. Auch das autonome Fahren muss den Nutzern richtig erklärt werden. Als Experte ist man verantwortlich und muss transparent sein, finden zwei Ingenieure.

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Vorträge rund um das automatisierte und autonome Fahren sind mittlerweile ein fester Bestandteil der Safety Week.
Vorträge rund um das automatisierte und autonome Fahren sind mittlerweile ein fester Bestandteil der Safety Week.
(Bild: Natalie Golowko/carhs.training)

„Wir dürfen die Nutzer nicht verwirren“, appellierte Elisabeth Shi (Bundesanstalt für Straßenwesen) an die Ingenieure. Was Shi auf der Safety Week in Würzburg anspricht ist die Kommunikation der Autoindustrie über Fahrerassistenzsysteme. Zu oft wird dem Kunden ihrer Meinung nach zu viel versprochen. Das wohl bekannteste Beispiel ist Tesla: Der Autohersteller aus Kalifornien bewirbt sein Assistenzsystem als „Autopilot“. Selbst das Landgericht München entschied vor einem Jahr, dass das irreführend ist.

Um das zu vermeiden nennt Shi drei Regeln, die in der Kommunikation zum Endkunden berücksichtigt werden sollten:

  • eine Nutzer-zentrierte Kommunikation,
  • verständliche Sprache; kein Fachjargon und
  • nur relevante Themen kommunizieren.

Drei Begriffe statt fünf Level

Die Begriffe „autonomes Fahren“ oder „autonomes Auto“ werden häufig zweckentfremdet verwendet. Denn, so lange die Autofahrer noch als Rückfallebene gebraucht werden und gegebenenfalls das Steuer übernehmen müssen, sind die Fahrzeuge nicht in der Lage unabhängig (autonom) mit alle Situationen des Straßenverkehrs umzugehen.

In den meisten Medien und in der Kommunikation der Automobilbranche wird zumeist die Definition des amerikanischen Verbands der Automobilingenieure SAE. Dieser teilte die Assistenzsysteme in fünf Stufen beziehungsweise Level ein. Vom assistierten Fahren (Level 1) bis zum autonomen Fahren (Level 5).

Die Bundesanstalt für Straßenwesen (Bast) hat versucht diese Definition zu vereinfachen. Die unterste Stufe bildet der „Assistierte Modus“. Hierunter fallen die SAE-Level 1 und 2 erklärt Shi dem Publikum im Vogel Convention Center und den online zugeschalteten Teilnehmern der Konferenz. Diese Systeme unterstützen den Fahrer, müssen von ihm aber jederzeit überwacht werden. Die Bast ordnet zum Beispiel den Tesla Autopilot dieser Kategorie zu.

Unterschied zwischen automatisiert und autonom

Darüber angeordnet ist der „automatisierte Modus“. Mit solch einem System kann der Fahrer in bestimmten Situationen die Steuerung des Fahrzeugs komplett an die Elektronik übergeben – und sich anderen Dingen wie lesen oder Videos schauen zuwenden. Wichtig ist, dass der Fahrer aufmerksam bleibt und innerhalb einer vorgegebenen Zeit das Steuer wieder übernehmen kann. Schlafen ist nicht erlaubt. Der demnächst verfügbare Staupilot der Mercedes-Benz S-Klasse fällt in diese Kategorie, die vom SAE als Level 3 bezeichnet wird.

Unter dem „autonomen Modus“ wie ihn die Bast definiert, fallen die SAE-Level 4 und 5, erklärt Shi. Hier übernehmen die Systeme des Fahrzeugs sämtliche Fahraufgaben; die Insassen müssen nicht mehr eingreifen. Die Verbraucherschutzorganisation Euro NCAP, der das Bast angehört, will nur noch in den drei beschriebenen Modi kommunizieren.

Es gibt viele offene Fragestellungen

„Ein Experte zu sein heißt Verantwortung tragen“, schließt Shi ihren Vortrag und erinnert an die drei eingangs aufgestellten Regeln. Professor Markus Maurer von der TU Braunschweig tendierte in seinem Vortrag in eine ähnliche Richtung. Er zeigte verschiedene Szenarien für automatisiert fahrende Autos auf, die Stand heute nicht zufriedenstellend gelöst sind.

Dabei stellte er dem Fachpublikum die Frage: „Wie sicher ist sicher genug?“ Als Beispiel zeigte er den Fall eines autonomen Fahrzeugs, das an längs der Straße parkender Autos vorbei fährt. Wie schnell darf das autonome Fahrzeug maximal fahren? Welchen Abstand sollte es zu den parkenden Autos einhalten? Ein Teilnehmer berichtete von einer Diskussion bei Mercedes-Benz zu genau diesem Fall.

Verfügbarkeit vs. Sicherheit

Das Ergebnis der Diskussion, sagte der Mercedes-Ingenieur, sei eine Geschwindigkeit von 10 bis 12 km/h gewesen. Es sei exakt diese Abwägung zwischen Verfügbarkeit (in diesem Fall die Geschwindigkeit) und der Sicherheit, die bis heute nicht geklärt ist, so Maurer.

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„Seid transparent und aufrichtig“, riet der Professor den Teilnehmern. Die Entwickler sollten die ungeklärten Problemstellungen aufzeigen und eine Diskussion über die Problemstellung starten. „Momentan gibt es keine öffentliche Debatte über diese konservativen Ansätze“, sagte Maurer mit Bezug auf das Beispiel.

Lückenhafte Spezifikationen

Neben der Funktionsweise automatisierter Fahrzeuge, die kontrovers diskutiert werden sollte, sieht Maurer noch erhebliche Lücken in der Beschreibung der technischen Systeme. Das Verhalten der Maschinen sei nur in Grundzügen beschrieben. Und auf Systemseite gebe es weder vollständige Spezifikationen, noch alles umfassende Validierung.

Elisabeth Shi und Markus Maurer sprachen auf der Fachkonferenz „Auto[nom]Mobil“, die nun zum dritten Mal Teil der Safety Week gewesen ist. Unter Honorarprofessor Klaus Kompass, ehemals BMW, wurde das Programm deutlich ausgebaut und erstreckte sich über zwei volle Konferenztage. Auf der Safety Week, die von Carhs in Kooperation mit »Automobil Industrie« veranstaltet wird, gab es zudem die Konferenzen „SafetyUpDate“ und „SafetyTesting“ sowie eine Ausstellung. Insgesamt nahmen an den drei Tagen knapp 300 Experten teil – davon 200 persönlich vor Ort in Würzburg.

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