Wie sieht der Sportwagen der Zukunft aus, wenn alle über Emissionen sprechen? Bosch und der italienische Rennwagenhersteller Dallara haben einen Prototypen entwickelt – und dabei eine neue Form der Zusammenarbeit erprobt.
Dallara-Geschäftsführer Andrea Pontremoli (l.) und Frank Schmidt, Geschäftsführer bei Bosch Engineering, enthüllen im italienischen Varano den rein elektrisch angetriebenen Prototypen, der auf dem Stradale basiert.
(Bild: Thomas Günnel/»Automobil Industrie«)
Ferrari, Maserati, Lamborghini, De Tomaso – er kennt sie alle. Und nicht nur das. Er hat für sie Autos entwickelt: Giampaolo Dallara, Gründer des italienischen Rennwagenherstellers Dallara Automobili. Vor drei Jahren brachte sein Unternehmen den ersten für die Straße zugelassenen Rennwagen heraus: den Stradale. Vor wenigen Wochen nun zeigte Dallara gemeinsam mit Bosch Engineering einen elektrisch angetriebenen Prototypen eines Supersportwagens, der auf dem Stradale basiert.
Dahinter steht eine beeindruckende Entwicklungsleistung in nur neun Monaten – und ein klares Ziel: die Kompetenzen zweier Entwicklungsteams zu integrieren, um basierend auf der Struktur des Supersportwagens Stradale eine rein elektrisch angetriebene Variante zu entwickeln, dabei aber die sportlichen Eigenschaften des Originals zu erhalten.
Voller Zugriff mit dem Monatsabo Digital
Alle Inhalte werbefrei
Keine Einblendung von Werbebannern, Firmeninformationen im thematischen Umfeld werden weiterhin angezeigt.
Wie sieht der Sportwagen der Zukunft aus, wenn alle über Emissionen sprechen? Bosch und der italienische Rennwagenhersteller Dallara haben einen Prototypen entwickelt – und dabei eine neue Form der Zusammenarbeit erprobt.
Dallara-Geschäftsführer Andrea Pontremoli (l.) und Frank Schmidt, Geschäftsführer bei Bosch Engineering, enthüllen im italienischen Varano den rein elektrisch angetriebenen Prototypen, der auf dem Stradale basiert.
(Bild: Thomas Günnel/»Automobil Industrie«)
Ferrari, Maserati, Lamborghini, De Tomaso – er kennt sie alle. Und nicht nur das. Er hat für sie Autos entwickelt: Giampaolo Dallara, Gründer des italienischen Rennwagenherstellers Dallara Automobili. Vor drei Jahren brachte sein Unternehmen den ersten für die Straße zugelassenen Rennwagen heraus: den Stradale. Vor wenigen Wochen nun zeigte Dallara gemeinsam mit Bosch Engineering einen elektrisch angetriebenen Prototypen eines Supersportwagens, der auf dem Stradale basiert.
Dahinter steht eine beeindruckende Entwicklungsleistung in nur neun Monaten – und ein klares Ziel: die Kompetenzen zweier Entwicklungsteams zu integrieren, um basierend auf der Struktur des Supersportwagens Stradale eine rein elektrisch angetriebene Variante zu entwickeln, dabei aber die sportlichen Eigenschaften des Originals zu erhalten.
Beeindruckende Fahrwerte
Supersport steckt in jedem Fall im elektrischen Rennwagen. In reinen Zahlen: 800 Volt Systemspannung, Heckantrieb, 440 Kilowatt Systemleistung, maximales Drehmoment: 2.700 Newtonmeter pro Rad (!). Von null auf 100 km/h vergehen keine drei Sekunden. Bis über 820 Kilogramm Anpressdruck drücken auf den Rennwagen, der mit 1.250 Kilogramm beeindruckend leicht ist. Die Spitzengeschwindigkeit liegt bei 245 Kilometern pro Stunde, ist aber weniger wichtig. Wichtig war, dass am Ende der Entwicklung in der Boxengasse ein Fahrzeug stand – kein Konzeptfahrzeug nur für bestimmte Fahrer –, das „fun to drive“ vermittele, erklärt Geschäftsführer Andrea Pontremoli. Das hat funktioniert! Testfahrt auf dem „Motodromo Riccardo Paletti“, einer Rennstrecke keine fünf Autominuten vom Hauptsitz Dallaras entfernt: Nach einer kurzen Einweisung rollen wir los.
„Wir“ sind einer der Ingenieure, die den Sportwagen entwickelt haben, und ich. Erster Eindruck: Typisch für ein E-Auto, hängt sehr gut am „Gas“ und schiebt sofort an. In diesem Fall nachdrücklich. Nach kurzer Eingewöhnungszeit und einer Rechts-Links-Kombination fliegen wir auf eine Kuppe zu. „Mal lieber etwas sachte machen“, denke ich mir – und sollte Recht behalten. Als nächstes folgt eine 90-Grad-Schikane, der rechte Fahrbahnrand kommt schnell näher; es reicht aber gerade noch. „Da hat das ESP jetzt ein bisschen geholfen“, kommentiert mein Beifahrer trocken. „Mag sein.“
Bewährte Fahrzeugtechnik an Elektroantrieb angepasst
Am Bremspedal konnte ich es nicht spüren: Das integrierte Bremssystem, das Bosch in die Entwicklung eingebracht hat, entkoppelt die Bremskreise vom Pedal. Ein elektronisches Sperrdifferenzial und Torque Vectoring wiederum sorgen dafür, dass sich der Rennwagen mit beachtlichem Schub stabil aus der Kurve herausbeschleunigen lässt. Überhaupt steckt in dem Auto rennsport-like „was geht“.
Bildergalerie
Das heißt: Das Carbon-Monocoque wurde an das elektrifizierte Fahrzeug angepasst, das Getriebe fasst zwei unterschiedliche Radsätze in einem Gehäuse, der 800-Volt-Akku und die E-Achse wurden für die Gegebenheiten des Rennwagens weiterentwickelt. „Wenn wir das Auto auf der Hebebühne haben, können wir den Akku nach unten herausnehmen, ohne dabei das halbe Auto zu zerlegen“, erklärt einer der Entwickler. Ganz wichtig: das Kühlsystem für die Akkus. Es wurde für den Sportwagen neu entwickelt; genauso wie die Hoch- und Niederspannungs-E/E-Architektur. Die beiden Antriebsmotoren stammen von Bosch Motorsport.
Stiller Fahrspaß
„Und, hat das Motorgeräusch gefehlt?“, fragt mein Beifahrer, nach ein paar Runden wieder in der Box angekommen. „Äh, was?“ Stimmt, da war kein typisches Motorgeräusch – woher auch? Ich war die ganze Zeit über so auf das Auto und die Strecke konzentriert, dass mir das nicht bewusst gefehlt hat. Routinierte Rennfahrer mögen das monieren. Sie brauchen nach dem Herunterschalten vor der Kurve nicht zwingend eine Geschwindigkeitsanzeige, sondern kennen Drehzahlgeräusch und Gang.
Wir wollten zeigen, was geht.
Frank Schmidt, Bosch Engineering
Ich gebe zu: Das „typische“ infernalische Brüllen von hinten, gefolgt von Schub, ist beeindruckend. Es geht aber auch anders und mit mindestens genauso viel Spaß. Und: Ohne die Geräusche des Verbrennungsmotors dringen andere Geräusche durch, von Reifen und Fahrwerk zum Beispiel. Der reine Fokus auf die Geschwindigkeit ist größer; und stellenweise hatte es sich angefühlt, als würden wir gleich abheben.
„Zeigen, was geht“
„Wir wollen mit dem Auto zeigen, was heute in Sportwagen machbar ist“, sagt Frank Schmidt, Leiter der Bosch Engineering, „und damit auch, was mit heutiger Technologie in einem überschaubaren Zeitrahmen wirtschaftlich realisierbar ist. Es wird viel über Partnernetzwerke gesprochen, darüber, agiler zu arbeiten. Uns war es wichtig, das an einem realen Beispiel darzustellen.“
Die verwendeten Komponenten sind teilweise Serien- oder seriennahe Komponenten. „In nur neun Monaten lässt sich keine Komponente von Grund auf neu konstruieren. Also haben wir existierende Technologien genutzt, sie angepasst und dabei umfangreich simuliert“, so Schmidt. „Spannender war aber die Gesamtfahrzeugintegration, das Ausbalancieren: Wie groß muss der Akku sein? Welches System für die thermische Kontrolle nutzen wir? Wo sind die ‚Bottlenecks‘? Bosch Engineering ist mehr als Komponenten. Und: Dallara hat seine Wurzeln im Motorsport. Dort geht es in der Entwicklung selten um Jahre.“
650 Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen heute: 450 am Firmensitz in Varano, 200 in der Chassis-Produktion in der Nähe von Parma und 50 im Entwicklungszentrum in Speedway bei Indianapolis; nah dran an der Indycar-Rennserie, in die Dallara seit dem Jahr 2012 Chassis liefert.
Neun Monate Entwicklungszeit für Rennwagen
Andrea Pontremoli beziffert die durchschnittliche Entwicklungszeit seines Unternehmens für einen Rennwagen mit neun Monaten. Acht davon entstehen die Fahrzeuge virtuell, ein Monat dient der praktischen Entwicklung, zum Beispiel dem Prototypenbau oder physischen Tests mit einem Fahrzeug auf der Rennstrecke. „Beim Thema Simulation fragen wir uns immer auch, wie der Kosten-Nutzen-Effekt aussieht“, sagt Schmidt. „Im Motorsport wird das besonders deutlich, und Dallara hat hier eine sehr hohe Kompetenz.“
Die eigenen Simulationen mit denen von Dallara zu verknüpfen, war laut Schmidt einfacher als zunächst gedacht. Virtuell entwickeln bedeutet aber auch: im Fahrsimulator. Den betreibt Dallara in Varano. Rund 75 lasergescannte Rennstrecken sind hier mit all ihren Eigenheiten hinterlegt; Imola, Monza, Le Mans, Silverstone – die Faszination schwingt auch im Simulator mit. Zwischen 15 und 20 substanziell unterschiedliche Fahrzeuge sind als Datensätze hinterlegt.
In die Versuchsfahrten für neue Modelle fließen alle Daten aus der Entwicklung eines Autos ein; und aus all seinen Systemen. Die Simulation berücksichtigt zudem zum Beispiel den Einfluss des Wetters, Wind, den Fahrer oder den Kraftstoffverbrauch. „It is a whole lot of data to manage“, sagt Giacomo Ballotta, der die Fahrsimulationen leitet, und lacht. Die Reifen des Stradale – die auch den elektrischen Prototypen tragen – sind ebenfalls im Simulator entstanden. Die Entwicklungsdaten des Herstellers ließen es zu, das Fahrverhalten so genau abzubilden, dass die Ingenieure fahren konnten – ohne eine echte Rennstrecke.
Vorlesungen für Studenten am Firmensitz
Apropos Ingenieure: Für motorsportbegeisterten Nachwuchs engagiert sich Dallara besonders. Die Vorlesungen im zweiten Jahr zum Masterstudiengang „Racing Car Design“ finden am Firmensitz statt. Während im Erdgeschoss Entwickler neue Carbonteile entwerfen, drucken und im hauseigenen Windkanal testen, sind eine Etage höher die Master-Studenten der „MUNER“-Kooperation mit ihrer Weiterbildung beschäftigt. Muner, die „Motorvehicle University of Emilia-Romagna“ ist ein Partnernetzwerk der Hochschulen und der historischen Unternehmen des „Motor Valley“ in der Region Emilia-Romagna.
Das heißt: studieren bei den Großen des Motorsports; neben Dallara zum Beispiel bei Ferrari, Maserati, Lamborghini oder Pagani. Und Giampaolo Dallara? „Der arbeitet jeden Tag von acht bis acht“, sagen seine Mitarbeiter, „und fordert uns heraus.“ Der originale Stradale sei sein Wunsch gewesen, ein straßentauglicher Supersportwagen, mit dem er entspannt ans Meer fahren kann – und der dennoch die Eigenschaften hat, um auf der Rennstrecke unschlagbar zu sein.
Das vollelektrische Pendant wird es voraussichtlich nicht ans Meer schaffen; der Prototyp soll ein Prototyp bleiben. Vielleicht erinnert sich Dallara aber an seine Zeit bei den vier großen Italienern – und führt seine Marke auch abseits der Rennstrecken in eine sportliche Zukunft.