Automobilzulieferer „Das zerreißt die Unternehmen“: Weitere Verbände schlagen Alarm

Autor Svenja Gelowicz

Volle Lager, knappes Geld: Zulieferer geraten durch die Versorgungsengpässe zunehmend unter die Räder. Verbände schreiben Brandbriefe und verweisen auf japanische Autobauer als Beispiel, wie es besser laufen kann. Die deutschen Hersteller reagieren auf Anfrage derweil verhalten.

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Fertig produzierte Teile bereiten vielen Autozulieferern große Sorgen - denn Kunden verschieben die Aufträge nach hinten.
Fertig produzierte Teile bereiten vielen Autozulieferern große Sorgen - denn Kunden verschieben die Aufträge nach hinten.
(Bild: Thyssenkrupp)

Die Lieferengpässe spitzen sich weiter zu. Immer wieder müssen Autobauer wegen fehlender Teile ihre Fertigungen stoppen, das Opel-Werk Eisenach macht dieses Jahr gar nicht mehr auf. Das trifft die Autozulieferer – vor allem kleine und mittelständische Unternehmen.

Erst vor knapp einem Monat hatten drei Verbände, die mittelständische Zulieferer vertreten, mit deutlichen Worten auf die schwierige Situation der Mitgliedsunternehmen aufmerksam gemacht.

Das Vertrauen in die Verlässlichkeit von Kunden und deren Abrufankündigungen schwindet.

Christian Vietmeyer, Arbeitsgemeinschaft Zulieferindustrie

Nun schlägt die Arbeitsgemeinschaft Zulieferindustrie Alarm, Dachorganisation von acht Verbänden der Zulieferbranche mit etwa 9.000 Unternehmen. Außerdem verschickte eines ihrer Mitgliedsverbände, der Wirtschaftsverband der deutschen Kautschukindustrie, am Montag einen Brandbrief. Die Vorwürfe sind inhaltlich ähnlich: Lieferanten blieben auf ihren Teilen sitzen, da die Kunden die Abrufe kurzfristig stornieren.

So seien die Lager vieler Unternehmen voll und das Geld gefährlich knapp. „Wenn wir nicht schnellstmöglich zu einem anderen Umgang miteinander finden, erleben wir bis Weihnachten eine Insolvenzwelle bei kleinen und mittelständischen Automobilzulieferern“, sagt Boris Engelhardt, Hauptgeschäftsführer des Wirtschaftsverbandes der deutschen Kautschukindustrie.

Die Sicherung des Lieferantennetzwerks hat gerade in der Pandemie und unter den Bedingungen des Halbleiter-Engpasses oberste Priorität.

Volkswagen-Sprecher

Erste Zulieferer zahlungsunfähig

Mit anderem Umgang meint er: Die Autokonzerne sollten „fairer“ gegenüber ihren kleinen Abnehmern sein. „Die Kunden präsentieren gute Halbjahresbilanzen, während die Zulieferer teils existenzbedrohende Liquiditätsengpässe haben“, sagt Engelhardt im Gespräch mit „Automobil Industrie“. Unterstützen könnten sie durch Teilzahlungen für angefallene Projekt- und Werkzeugkosten und vor allem durch bessere Kommunikation mit den Zulieferern.

Zuletzt hatten die Zulieferer Heinze und Bolta-Werke die Auswirkungen der Versorgungsengpässe als Grund für ihre Insolvenz genannt. Durch verschobene Bestellungen sei eine finanzielle Schieflage entstanden. Heinze-Geschäftsführer Jörg Tilmes sagte dazu dem „Westfalen-Blatt“: „Die Autobauer produzieren nicht mehr, weil sie keine Halbleiter mehr bekommen. Also brauchen sie auch keine Kunststoffteile mehr.“

Zulieferer: Zusammenarbeit mit japanischen Autobauern besser

Aus drei Problemen mische sich aktuell eine brisante Gemengelage: Kleine und mittelständische Unternehmen, die schon durch die Pandemie angeschlagen sind, müssen Rohmaterialien zu „historischen Höchstpreisen“ einkaufen. Zugleich würden verbindlich bestellte Lieferungen kurzfristig storniert, teils mit nur einem Tag Vorlauf. Engelhardt will von fertig bestückten Lkws gehört haben, die auf dem Hof des Zulieferers wieder entladen werden mussten.

„Die Automobilhersteller nehmen die von ihnen bestellten Teile nicht ab, obwohl die Zulieferer auf Basis dieser Bestellungen ihre Produktion trotz massiver Rohstoff-Preissteigerungen aufrechterhalten haben. Das zerreißt die Unternehmen“, so Engelhardt. Derweil zeigten Banken wenig Bereitschaft, weitere kurzfristigen Kredite zu gewähren.

Das Geschäftsgebaren unterscheide sich dabei von Hersteller zu Hersteller. Die deutschen Autobauer seien unterschiedlich kooperativ, heißt es aus der Branche, die Kommunikation insgesamt ungeordnet. Am besten laufe die Zusammenarbeit mit japanischen Herstellern. „Sie stellen beispielsweise die Abrufe realistischer ein und nutzen dafür keine Fantasiezahlen“, sagt Engelhardt.

In die gleiche Kerbe wie Boris Engelhardt schlägt Christian Vietmeyer, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Zulieferindustrie. „Ein wichtiges Asset schwindet, nämlich das Vertrauen in die Verlässlichkeit von Kunden und deren Abrufankündigungen.“ Der Dachverband fordert in seinem Statement, Risiken nicht auf Lieferanten abzuwälzen und Verträge einzuhalten.

Auf Anfrage haben sich die drei großen deutschen Hersteller VW, BMW und Daimler dazu nur knapp oder gar nicht geäußert. Man stehe mit den Lieferanten in engem Austausch, heißt es von Daimler lediglich. Ähnlich lautet das Statement von Volkswagen: Auch der Wolfsburger Autokonzern tausche sich eng mit den Zulieferern aus, um „eventuelle Auswirkungen von Produktionsanpassungen für das gesamte Netzwerk zu vermeiden oder so gering wie möglich zu halten.“ Ein Sprecher teilte weiter mit, „die Sicherung des Lieferantennetzwerks hat gerade in der Pandemie und unter den Bedingungen des Halbleiter-Engpasses oberste Priorität.“

Teure Container, knappe Rohstoffe

Aus der Branche ist immer wieder zu hören, dass die aktuelle Situation brisanter sei als die Werksschließungen zu Beginn der Pandemie. Ein Vertreter berichtet auf Nachfrage, dass die vollen Bestände und die Probleme bei der Liquidität dringlich erforderten, enger mit den Kunden in einen Austausch zu kommen. Denn die Autobauer, sagt er, streichen die Aufträge ja nicht, sondern verschieben sie. Und dann wieder schnell auf Volllast zu produzieren, sei ein organisatorischer Kraftakt. Auch, weil fehlende Container und knappe Rohstoffe in den eigenen Lieferketten Probleme machen: „Zulieferer brauchen Luft zum Atmen.“

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