Karmann Fahrzeugbau auf der Kippe
Vor zwei Jahren hat die Wilhelm Karmann GmbH die größte Einzelinvestition ihrer über 100-jährigen Firmengeschichte abgeschlossen: eine rund 125 Millionen Euro teure kathodische Tauchlackieranlage.
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Vor zwei Jahren hat die Wilhelm Karmann GmbH die größte Einzelinvestition ihrer über 100-jährigen Firmengeschichte abgeschlossen: eine rund 125 Millionen Euro teure kathodische Tauchlackieranlage. Im umweltschonenden RoDip-Verfahren kann das Werk Osnabrück damit über 100 000 Fahrzeuge pro Jahr lackieren.
Die hochmoderne Lackiererei könnte eine der teuersten Industrieruinen Europas werden. Spätestens 2009 rollen die letzten Exemplare der momentan gefertigten Typen Audi A4 Cabriolet, Mercedes-Benz CLK Cabriolet und Chrysler Crossfire (Coupé und Roadster) vom Band. Neue Aufträge für den Fahrzeugbau gibt es nicht.
Technische Entwicklung, Betriebsmittelbau und Produktionssysteme laufen gut. Aber der Fahrzeugbau ist der Kern des Unternehmens. Das Herz der Mitarbeiter hängt daran; der Karmann-Ghia ist ein Stück deutscher Nachkriegsgeschichte.
Karmann-Chef Peter Harbig hat sich eine Frist bis zum 1. Juli 2008 gesetzt, um das Ruder herumzuwerfen. Wenn es bis dahin keinen Auftrag gibt, sollen die Lichter im Fahrzeugbau ausgehen. Karmann würde eine andere Firma werden.
Noch im Juni 2002 hatte Harbigs Vorvorgänger Rainer Thieme auf seiner letzten Jahrespressekonferenz gesagt: „Ich übergebe ein geordnetes Haus.“ Tatsächlich hatte Thieme, seit 1990 in Amt und Würden, auch die vier Aufträge an Land gezogen, von denen der Fahrzeugbau noch heute lebt. Thieme war bei den Autoherstellern regelmäßig auf Vorstands- wie auf Entwicklungsebene präsent, um Ideen und Konzepte zu präsentieren und zu diskutieren. Die Firma strotzte vor Selbstbewusstsein – so sehr, dass man sogar einen Rechtsstreit mit Porsche vom Zaun brach, über den man heute nicht mehr glücklich sein kann. „Die Welt war in Ordnung“, sagt ein Insider.
Doch Thiemes öffentlichkeitsscheuer Nachfolger Dr. Bernd Lieberoth-Leden agierte fünf Jahre lang ohne Fortüne. Der Manager schaffte es nicht, einen Produktionsauftrag für ein neues Gesamtfahrzeug zu ergattern – und Entwicklungschef Hans-Joachim Emmelmann war weitaus mehr Ingenieur als Verkäufer. Auch intern schaffte es „LL“ nicht, die sich verschlechternde Stimmung ins Positive zu wenden. Er trat bei Betriebsversammlungen unglücklich auf und musste sich auspfeifen lassen. Gleichzeitig gab sich der status- und titelbewusste Dr. Ing. gegenüber der Eigentümerfamilie sehr selbstsicher. „Er hat sich eher wie ein Eigentümer als wie ein Manager verhalten“, sagt eine mit der Situation vertraute Person. Das kam bei den Karmanns nicht gut an.
Sein Nachfolger Peter Harbig, der im Frühjahr 2006 von Magna gekommen war und schon im November ganz nach oben rückte, kommt mit der Familie besser klar und gilt in der Branche als satisfaktionsfähig. In der Geschäftsführung herrscht Teamgeist: Harbig ist im Gegensatz zu seinen Vorgängern nicht ihr Vorsitzender, sondern Sprecher. Im Unternehmen hat er die Zügel straff angezogen. Wer zu langsam ist, bekommt das zu spüren. „Harbig ist ein absoluter Pusher, er legt ein viel höheres Tempo vor“, sagt ein Insider. Die Arbeitsweise ist anders geworden: Anstatt umständlich Strukturen zu definieren, geht Harbig Probleme lieber direkt an.
Probleme gibt es reichlich. Karmann musste erfahren, dass Loyalität in der Branche selten geworden ist. Besonders hart traf die Osnabrücker der Verlust verschiedener VW-Projekte. Die gemeinsame Geschichte reicht von Käfer Cabriolet und Karmann-Ghia bis hin zu Scirocco, Golf Cabriolet und verschiedenen anderen Modellen, die teilweise in hoher Stückzahl gebaut wurden. Mitglieder der Familie Karmann sprechen von „persönlicher Betroffenheit“ – reichte doch früher ein Handschlag, um einen Produktionsauftrag zu besiegeln. Heute werden dafür kiloschwere Vertragswerke ausgearbeitet. 1999 hatte der damalige VW-Chef Ferdinand Piëch versprochen, ein neues Golf Cabriolet bei Karmann bauen zu lassen. Auch im Hinblick darauf wurden die Investitionen in die Werke getätigt.
Stattdessen blieb das Golf Cabriolet ohne Nachfolger. VW hat den größeren Eos entwickelt, der nun im portugiesischen Palmela gebaut wird. Das komplizierte Dachmodul durfte Webasto entwickeln – und baut es auch in unmittelbarer Nähe des VW-Werks.
Intern wird das Verhältnis zu Volkswagen differenziert beurteilt. In der Entwicklung erbringt Karmann deutlich mehr Leistungen für Audi und Mercedes-Benz. Allerdings hofft man, die Wolfsburger über den niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff, der aus Osnabrück stammt, in die Pflicht zu nehmen. Branchenexperte Prof. Ferdinand Dudenhöffer von der FH Gelsenkirchen rät zu einer öffentlichkeitswirksamen Kampagne: „Es geht um die Zukunft von Karmann und der Mitarbeiter. Wulff ist dabei die Schlüsselfigur. Er müsste jetzt die Brücken bauen. Wenn der Fahrzeugbau schließen muss, ist das auch ein politisches Drama.“
Das Verhältnis zu Volkswagen ist durch den Porsche-Einstieg in Wolfsburg übrigens nicht einfacher geworden. Die Zuffenhausener Matadore Wendeling Wiedeking und Holger Härter hegen eine Abneigung gegen die Osnabrücker, seit Rainer Thieme den Rechtsstreit mit Porsche angezettelt hatte. Der Hintergrund: Mit der Studie Idea hatte Karmann 1991 ein dem späteren Porsche Boxster ähnliches Konzept vorgestellt und die Z-Faltung für das Cabrioverdeck gezeigt, die Porsche nun ebenfalls in ähnlicher Form nutzt. Karmann strengte eine Klage wegen Verletzung geistigen Eigentums an, der Sportwagenhersteller verlor vor Gericht.
Der außergewöhnliche Vorgang wirkt nach: „Wiedeking hat ein gutes Gedächtnis“, merkt ein Porsche-Mitarbeiter an. So waren Insider wenig überrascht, als durchdrang, dass der Porsche-Chef sich im VW-Aufsichtsrat dagegen sperrte, Aufträge an Karmann zu vergeben.
Auch die Hoffnung, eine Cabrio-Variante des Kia C‘eed zu bauen, wird sich nach Informationen von »AI« nur schwierig realisieren lassen. Zwar steht Kia Motors Europa im Gespräch mit Karmann, aber die Konzernzentrale in Korea ist von dem Konzept nicht überzeugt.
Während der Fahrzeugbau auf der Kippe steht, setzt Harbig massiv auf den Bereich Dachsysteme, wo er die Zahl von derzeit 170 000 Einheiten pro Jahr bis 2011/12 fast verdoppeln will – mit 16 Projekten, die durchweg fest gebucht sind. Bei den Dachsystemen will Harbig in Zukunft mit einem deutlich höheren Anteil standardisierter Module und Abläufe agieren.
Auch das Thema Gesamtfahrzeugentwicklung wird von Harbig forciert. Traditionell hält Karmann dafür Ressourcen vor – mit dem entsprechenden Overhead. Als Türöffner und um mit Entwicklungsdienstleistern wie Edag und Bertrandt preislich Schritt halten zu können, hat Karmann deshalb die mit rund 90 Mitarbeitern relativ schlanke Karmann Engineering Services (KES) gegründet. Sie tritt als Modulentwickler auf und kann zu niedrigeren Preisen als die klassische „Technische Entwicklung“ arbeiten. Auf diese Projekte will Karmann dann mit der Gesamtfahrzeugentwicklung aufsetzen.
Ist die Fahrzeugproduktion also gar nicht so wichtig? Würde die Fertigung geschlossen, könnte in dieser Professionalität nur noch der austro-kanadische Magna-Konzern Entwicklung und Produktion aus einer Hand anbieten. Ein hochrangiger Entwickler eines deutschen OEM sagt: „Die Gesamtfahrzeugkompetenz ist auf die Produktion angewiesen. Entwickler müssen in der Nähe von Fahrzeugen sein, sonst ist irgendwann der Bezug weg.“ Harbig weiß, dass die Stückzahlen der Vergangenheit kaum noch erreicht werden können, und arbeitet daran, die Fertigung auch für Volumina um 40 000 pro Jahr rentabel zu machen.
Ein Schließen der Produktion wäre ein schwerer Fehler, meint Prof. Ferdinand Dudenhöffer von der Fachhochschule Gelsenkirchen: „Es macht keinen Sinn, alles auf Dachsysteme zu setzen. Auch dieser Bereich hat seine Zyklen. Es wäre falsch, den Fahrzeugbau endgültig zu stoppen. Wenn die guten Fachkräfte erst einmal weg sind, ist Karmann aus dem Geschäft draußen.“
Und das könnte für die Hersteller zum Bumerang werden, meint Dudenhöffer: „Die Industrie braucht Karmann. Die Modellvielfalt explodiert, und es macht keinen Sinn, alles in einem Werk zu machen. Kleinserien können Zulieferer besser machen. Die Expertise von Karmann darf man nicht aufgeben.“
Die meisten OEM haben zwar entwicklungsseitig so aufgestockt, dass sie auf Expertise von außen nicht unbedingt angewiesen sind. Dennoch schätzt man die Osnabrücker: „Karmann kommt immer wieder mit neuen Ideen aus der Nische, auf die unsere Ingenieure nicht von alleine kommen“, sagt der bereits erwähnte Entwickler bei einem deutschen OEM. Bei den Preisen sieht der Insider Nachholbedarf: Billiger ist ein Karmann nicht unbedingt – „aber er müsste es eigentlich sein“. Und seine Ideen noch aggressiver präsentieren, setzt er hinzu.
Realistische Chancen auf Neuaufträge hat Karmann nur bei Modellen, die nicht von vornherein auf entsprechende Derivate hin ausgelegt sind – und bei denen die konstruktiven Änderungen so groß sind, dass Derivate nicht problemlos im Stammwerk gebaut werden können.
Gerade bei solchen Projekten dürfte sich das ScaLight-Konzept bewähren, das Karmann gemeinsam mit Salzgitter entwickelt. Das Stahl-Spaceframe-Konzept stößt bei Herstellern auf großes Interesse gerade dort, wo sich ein neues Modell von existierenden Plattformen entfernt. Bei den avisierten Stückzahlen von maximal 40 000 Einheiten pro Jahr steht das Investment im Gegensatz zu den Stückkosten im Vordergrund. Hier können die Osnabrücker auch preislich punkten. Interessant dürfte auch die Fähigkeit sein, Fahrzeuge unterschiedlicher Marken in einem Werk zu bauen.
Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen über den Fahrzeugbau. Denkbar sind Finanzbeteiligungen oder der Betrieb der Werke mit einem Partner.
Man schätzt Karmann. Doch die Bereitschaft, dem Auftragsfertiger zu helfen, ist nicht sehr ausgeprägt, solange die Hersteller selbst mit Überkapazitäten zu kämpfen haben. Darunter leiden nicht nur die Osnabrücker, sondern auch weniger breit aufgestellte Konkurrenten wie Heuliez, Bertone oder Pininfarina. „Generell lautet unsere Philosophie, zunächst die Werke von Audi auszulasten. Im zweiten Schritt gilt es, die Kapazitäten des Konzerns zu nutzen, und erst dann kommt für uns eine Fremdvergabe in Betracht“, sagt Audi-Produktionsvorstand Frank Dreves im »AI«-Interview.
Und Dr. Klaus Maier, Vertriebs- und Marketingchef bei Mercedes-Benz, sagt: „Wir haben immer gute Gründe gehabt, Varianten bei Auftragsfertigern zu bauen, wenn sie zum jeweiligen Zeitpunkt nicht in die Großserie passten. Andererseits haben wir Umfänge wieder in die eigene Produktion integriert, nachdem intern die technischen und ökonomischen Voraussetzungen erfüllt waren. Denn eine Produktionsauslagerung bedeutet zunächst immer zusätzlichen Betreuungs- und Logistikaufwand.“
Vielleicht werden die deutschen Hersteller Kosten und Nutzen noch einmal neu bewerten. Ein deutscher Automanager sagt besorgt: „Es wäre ganz schlecht, wenn sich die Chinesen oder Koreaner einen Karmann schnappen würden.“
Die Osnabrücker dürften das differenzierter sehen. Man diskutiert mit chinesischen Herstellern, und Harbig kann sich durchaus vorstellen, für Chinesen zu entwickeln und auch zu produzieren. Noch betreibt er keinen Standort in China.
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