Visio.M Getriebekonzepte für Elektro-Kleinwagen

Autor / Redakteur: Klaus Vollrath / Thomas Günnel

Ein massentaugliches Konzept für einen reinen Elektro-Kleinwagen: Das ist das Ziel des Verbundprojekts Visio.M. Um es zu erreichen, ist extremer Leichtbau notwendig. Ein Beispiel dafür ist die Entwicklung neuer Getriebekonzepte.

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Die energiesparende Antriebseinheit besteht aus Elektromotor mit zweistufigem Untersetzungsgetriebe sowie einer Torque-Vectoring-Einheit zur dynamischen Verteilung des Drehmoments auf die Räder.
Die energiesparende Antriebseinheit besteht aus Elektromotor mit zweistufigem Untersetzungsgetriebe sowie einer Torque-Vectoring-Einheit zur dynamischen Verteilung des Drehmoments auf die Räder.
(Grafik: TU München)

Beim Visio.M-Projekt geht es darum, E-Mobilität für den Massenmarkt tauglicher zu machen“, sagt Falko Vogler, Chief Engineer Transmission der Neumayer Tekfor Group in Hausach (Deutschland) – einem am Projekt beteiligten Unternehmen. Das erfordere ein Fahrzeugkonzept, das auf die besonderen Anforderungen der Antriebstechnik angepasst ist. Die bisher am Markt angebotenen Fahrzeugkonzepte seien diesbezüglich längst noch nicht optimal, sagt Vogler.

So gebe es einerseits eine Reihe von Fahrzeugen, deren ursprüngliches Konzept für einen Verbrennungsantrieb entwickelt wurde. Trotz nachträglicher Umrüstung auf E-Antrieb blieben sie im Endeffekt Zwitterwesen: Sie lägen beim Gewicht und beim Preis in einem Bereich, der ihre Marktakzeptanz erschweren dürfte.

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Andererseits gibt es laut Vogler diverse elektrische Kleinfahrzeuge, die sich zwar von Gewicht und Reichweite her im vertretbaren Rahmen bewegten. Jedoch genügten sie den heutigen Vorstellungen bezüglich des Insassenschutzes von Personenfahrzeugen bei Weitem nicht.

Der Fahrspaß darf trotz Auflagen nicht zu kurz kommen

„Das im Rahmen des Projekts angestrebte Fahrzeug soll als kleiner zweisitziger Stadtflitzer mit hoher Reichweite daherkommen“, erklärt Matthias Brauß, Bachelor of Engineering und bei Neumayer Tekfor Product Engineer für die Auslegung von Getriebekomponenten. Trotz strenger Auflagen soll der Fahrspaß nicht zu kurz kommen. Deshalb soll der kleine Wagen trotz der Beschränkung der Nenn-Antriebsleistung auf 15 kW gute Beschleunigungswerte und eine hohe Fahrdynamik aufweisen. Vorgesehen ist die Zulassungsklasse L7e, zu der normalerweise Quads gehören.

Platz für zwei Personen und Gepäck

Der Wagen soll Platz für zwei Personen samt Gepäck bieten und selbst unter widrigen Bedingungen eine minimale Reichweite von 100 Kilometern aufweisen. Als Höchstgeschwindigkeit sind 120 km/h vorgesehen, und auch stärkere Steigungen soll der Kleine noch flott bewältigen. Besonders im Auge haben die Entwickler bei diesem Projekt den Preis: Er soll in jedem Fall attraktiv bleiben. Im Fokus stehen deshalb günstige, serientaugliche Herstellprozesse für die einzelnen Komponenten.

Sicherheitsstandard auf Niveau aktueller Kleinwagen

„Ganz oben auf der Prioritätsliste stehen die Aspekte Energieeffizienz, Sicherheit und Fahrdynamik“, erklärt Vogler. Wichtige Voraussetzung hierfür ist extremer Leichtbau, vor allem mittels moderner Faserverbundwerkstoffe für die Karosserie. Die Gestaltung der Karosserie soll den Verbrauch zusätzlich senken. Der Sicherheitsstandard der Fahrgastzelle soll dabei auf dem Niveau eines modernen Kleinfahrzeugs liegen. Auch bei der aktiven und passiven Sicherheit soll es Neues geben.

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Achsantrieb mit Torque-Vectoring-Funktion

„Ähnlich innovativ ist das Antriebssystem, in das einige recht raffinierte Ideen eingeflossen sind“, erläutert Brauß. Besonders interessant ist die Torque-Vectoring-Funktion des Achsantriebs. Hierüber lässt sich das Drehmoment gezielt zwischen den Antriebsrädern verteilen. Die Einheit wird mithilfe entsprechender Sensorik und einem eigenen E-Antrieb aktiv elektronisch gesteuert. Die auf den jeweiligen Fahrzustand abgestimmte Zuteilung des Drehmoments spart Energie bei angetriebener Fahrt und verbessert die Rückgewinnung von Strom beim Bremsen. Ausgeführt ist die Einheit als Planetenraddifferenzial in Kombination mit einer angetriebenen Überlagerungseinheit. Um das Drehmoment aufzuteilen, wird das Hohlrad der Überlagerungseinheit von einem hocheffizienten, am Außenring angeordneten Elektromotor vorwärts oder rückwärts gedreht.

Design ermöglicht preisgünstige Volumenfertigung

„Einer unserer direkten Beiträge zum Visio.M-Konzept ist die Erforschung besonders leichter Zahnräder für das Getriebe“, sagt Brauß. Einen Schwerpunkt bilden hierbei Zahnräder und Wellen des zweistufigen Untersetzungsgetriebes. Es reduziert die bis zu 12.000 Umdrehungen pro Minute des Asynchronmotors auf die für die Räder benötigte Drehzahl. Im Vordergrund stehen Gewichtsersparnis, möglichst kompakte Abmessungen sowie minimale Verluste sowohl beim Verzahnungseingriff als auch in den Lagern. Ebenfalls gefordert ist ein Design, das eine preisgünstige Volumenfertigung ermöglicht.

Verbund-Zwischengangrad mit Kunststoff-Zwischenlage

Die Besonderheit des Konzepts von Neumayer Tekfor ist ein Verbund-Zwischengangrad aus zwei Schmiedeteilen – Nabe und Zahnkranz – und einer Zwischenlage aus faserverstärktem Kunststoff, die durch Spritzgießen eingebracht wird. Der zusätzliche Vorteil dieses Konzepts ist eine besonders gute Geräuschdämpfung insbesondere bei harmonischen Frequenzen höherer Ordnung, die beim Elektroantrieb unangenehm auffallen würden. Außerdem arbeiten die Entwickler an hohl ausgeführten Wellen, mittels derer sich Gewicht sparen lässt. Und sie untersuchen, ob sie das Getriebegehäuse teilweise als Kunststoff-Verbundkonstruktion auslegen können.

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Platzsparende Parksperre

„Ein weiterer wichtiger Projektinhalt ist eine platzsparende, direkt auf das Ende der Getriebewelle wirkende Parksperre“, erklärt Brauß. Als Sperrelement wirkt ein horizontal verschiebbarer, innenverzahnter Ring. Zur Sperrung wird der Ring mithilfe eines Keils über eine auf dem Ende der Getriebezwischenwelle befindliche Gegenverzahnung geschoben. Wichtig dabei ist eine inhärent sichere Auslegung der Verzahnung: Das Aufschieben des Sperrelements oberhalb einer definierten Geschwindigkeit muss verhindert werden.

Erreicht wird dies mit einer mechanischen Anpassung: Der Keil, der das Sperrelement bewegt, wird nicht direkt durch eine starre Mechanik betätigt, sondern indirekt mit Hilfe einer vorgespannten Feder. Wenn sich die Welle noch zu schnell dreht, erzeugt die Schrägung der Verzahnung so starke Gegenkräfte, dass die Federkraft nicht mehr ausreicht, um das Sperrelement über das Wellenende zu schieben. Nur bei ganz geringer Fahrzeuggeschwindigkeit kann die Sperre einrasten.

Das Verbundprojekt Visio.M

Ziel des Verbundprojekts Visio.M ist ein neues, massentaugliches Konzept für einen reinen Elektro-Kleinwagen. Mit einer Leistung von 15 kW und einem maximalen Leergewicht von 400 Kilogramm (ohne Batterie) soll er die Anforderungen der Zulassungsklasse L7e erfüllen. In diese Klasse fallen unter anderem die sogenannten Quads.

Das Projekt wird gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit dem Projektträger VDI. Zusammen mit Wissenschaftlern der TU München suchen Forschungsabteilungen namhafter Automobilhersteller wie BMW und Daimler, Elektronikhersteller wie Siemens sowie zahlreiche weitere Partner nach Möglichkeiten, kleine, effiziente Elektrofahrzeuge so sicher und preiswert zu machen, dass sie einen nennenswerten Anteil am Massenmarkt erobern können.

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