Lieferkette Halbleiter: Mangel mit Ansage

Von Christian Otto

Der Ukraine-Krieg hat die Rohstoff-Lieferkette nochmals geschwächt. Gerade die Sanktionen gegen Russland sind für die deutsche Industrie problematisch. Aber wie das Beispiel Halbleiter zeigt, gibt es auch Krisen mit Ansage.

Bei Porsche in Leipzig streikten diese Woche die Logistiker. Probleme mit dem Personal und der Chip- und Rohstoffmangel setzen die Autohersteller unter Druck.
Bei Porsche in Leipzig streikten diese Woche die Logistiker. Probleme mit dem Personal und der Chip- und Rohstoffmangel setzen die Autohersteller unter Druck.
(Bild: Porsche)

Die Lieferkette ist derzeit ein fragiles Konstrukt. Insbesondere die geopolitische Einbettung, wie der Ukraine-Krieg, hat hier konkrete Auswirkungen. Das zeigt sich beim Mangel an Rohstoffen wie auch bei Arbeitskräften. Der Arbeitsmarkt ist nicht nur auf der Fachkräfteebene ausgedünnt. Bestes Beispiel: fehlende LKW-Fahrer.

Die Corporate Social Responsibility endet bei den Konzernen an den eigenen Fabrik-Toren.

Stefan Iskan

Dabei ist nicht nur der Ukraine-Konflikt hierfür ursächlich. Schon zuvor mangelte es an Personal für diesen wesentlichen Logistikbereich. Prof. Stefan Iskan, Gründer von supplychainmachine.com findet hierfür klare Worte: „Die deutsche Industrie hat sich mit ihrer Geiz-ist-Geil-Mentalität im Logistikeinkauf selbst der Lkw-Fahrer beraubt. Die jetzt fehlenden Fahrer aus der Ukraine und Weißrussland spitzen die Gesamtsituation nur nochmals zu.“ Für den Branchenkenner „endet die Corporate Social Responsibility gerade bei den Konzernen an den eigenen Fabrik-Toren.“

Warnstreiks bei Porsche Leipzig

Aber auch in den Werken selbst werden die Kontraktlogistiker meistens nicht auf gleichem Level behandelt. Die Folge können auch Warnstreiks wie diese Woche im Porsche Werk in Leipzig sein. Auch andere OEMs spüren dieses unangenehme Mittel in den letzten Wochen. Vor allem die IG Metall macht in diesem Fall Druck und fordert neben Lohn- auch Arbeitszeitangleichungen.

Noch schwerer als der Personalmangel in der Logistikkette dürfte aber die Teile- und Rohstoffsituation wiegen. Experte Iskan betont dabei auch in seinem Webinar neben dem Halbleiterversorgungsengpass die Magnesium-Krise und die durch die Russland-Sanktionen angespannte Lage bei Rohstoffen wie Kautschuk.

OEMs profitieren, Zulieferer verlieren

Die Halbleiter-Problematik hat vor allem die Auto-Zuliefererindustrie mitten in der Transformationsphase getroffen. Die dafür nötigen finanziellen Spielräume haben sich für viele der Lieferanten verringert: Große Beratungshäuser gehen allein für 2021 von weltweit etwa 10 bis 11 Millionen weniger Fahrzeugeinheiten aufgrund des Chipmangels aus. Wie die aktuellen Bilanzzahlen der OEMs zeigen, verdienen sie an der Verknappung sogar sehr gutes Geld. Denn die ungebrochene Nachfrage nach Fahrzeugen lassen sie sich von den Endkunden teurer bezahlen.

„Die OEMs fahren ein Chancen-orientiertes Produktionsprogramm. Vorne feiern sie ihre Renditen und hinten bricht die Supply Chain jetzt in die Zwei-Klassengesellschaft auseinander. Es stehen Millionen Summen von Kompensationsforderungen von Lieferanten und Logistikdienstleistern aus. In den Verträgen gibt es keine Volumen-Garantien.“ Den OEMs empfiehlt der ehemalige DB-Schenker-Stratege, die aktuelle Kompensationsverhandlungs-Phase strategisch ernst zu nehmen. Andernfalls würden sie ihrer Reputation gefährden.

Webinar: Aktuelle Risiken in der Supply Chain

In unserem Experten-Webinar geht Prof. Stefan Iskan am 25. Mai, 10:00 Uhr, auf Herausforderungen in den weltweiten Lieferketten ein und zeigt konkrete Lösungswege. Seien Sie live dabei, stellen Sie Fragen und erhalten Sie exklusive Einschätzungen unseres Experten!

Jetzt kostenlos anmelden

Daneben erhöhen neue Player den Druck, die den Dynamiken der Supply Chain Dynamics „von Natur aus besser gewachsen sind“, so der Experte. Sie kommen aus der kurzzyklisch geprägten Software-, vor allem Consumer Electronics World. Neben Sony mit Honda nennt Iskan hier auch Foxconn. Viele Marktbegleitern hoffen auf eine Entspannung, die beispielsweise die Ansiedlung von Intel in Magdeburg und anderen Standorten bringen soll. Stefan Iskan ist aber auch hier vorsichtig: „Hier muss man zwischen sogenannten Legacy Nodes und Chips der neuen Generation unterscheiden.“

Bis Sommer wollen Halbleiterproduzenten mit der neuen Chip-Generation lieferfähig sein. Das zweite Halbjahr wird also aus Sicht des Logistik-Experten etwas besser, auch wenn dafür die Transportlogistik-Herausforderungen ausgeblendet werden müssten. Für die so genannten Legacy Nodes – also Microcontroller der alten Generation – gilt die Erholungsprognose aber nicht. „Spätestens dann, wenn die Branchengrößen wie TSMC, Intel, Global Foundries und Micron nicht mehr aus ihren Puffervorräten schöpfen können, kann das System weiter unter Druck geraten“, so Iskan.

Hausgemachter Engpass

Diese Halbleiter werden aber derzeit noch mehr benötigt, kommen sie doch bei aktuellen Modellen beispielsweise für die Motor-Getriebesteuerung zum Einsatz. Ein Ende der Versorgungskrise sei vor 2023 nicht zu erwarten. „Es ist davon auszugehen, dass allein die OEMs in der Automotive Industrie jetzt die komplette Value Chain aggressiv durch-screenen und massiv ihre Zulieferer zur Programmabsicherung für die kommenden 1 bis 2 Jahre drängen werden“, fasst Stefan Iskan die Lage zusammen.

Jetzt Newsletter abonnieren

Verpassen Sie nicht unsere besten Inhalte

Mit Klick auf „Newsletter abonnieren“ erkläre ich mich mit der Verarbeitung und Nutzung meiner Daten gemäß Einwilligungserklärung (bitte aufklappen für Details) einverstanden und akzeptiere die Nutzungsbedingungen. Weitere Informationen finde ich in unserer Datenschutzerklärung.

Aufklappen für Details zu Ihrer Einwilligung

Dabei waren die Vorzeichen für die Halbleiterkrise schon vorab erkennbar: Neben der Tatsache, dass die Consumer Electronics offensichtlich eine noch stärkere Einkaufsmacht hat als die Automobilindustrie, stieg der Bedarf an Halbleiter zwischen 2020 und 2022 um ca. 15 Prozent pro Jahr. Gleichzeitig wurden die Produktionskapazitäten für die Legacy Nodes hingegen nur um zwei bis fünf Prozent erhöht. Und Stefan Iskan ergänzt: „Die weltweite Halbleiterproduktionskapazitäten waren zwischen 80 und 90 Prozent bereits voll ausgelastet. Es gab also schon Signale für ein proaktives Risikomanagement.“

Ein Weg aus der Abhängigkeit könnte der Wechsel auf zentralisierte, zonale E/E-Architekturen darstellen- wie es beispielsweise General Motors vollzieht. Tesla wiederum ist es gelungen, punktuell ihre Software anzupassen. Jenseits technischer Lösungen bieten sich auch direkte, langfristige Lieferverträge nicht nur mit Halbleiterunternehmen an. Diese müssen laut Iskan wechselseitige Kapazitätszusagen und Abnahmeverpflichtungen über mehrere Jahre enthalten. Er nennt es die „Bring-or-Pay Purchasing-Klausel“, die er in der aktuellen Gesamtlage neben dem Chain Sourcing für sämtliche kritische Bauteile anrät.

Das schließt auch die Warehouse Capacity mit ein. Denn hier läuft die deutsche Wirtschaft in den nächsten Engpass hinein. „Die Logistiker holen sich jetzt die Rendite zurück, die ihnen der OEM-Logistikeinkauf in den letzten 15 Jahren kaputt gemacht hat“, ist sich Prof. Iskan sicher. „Ein Preisantrag folgt jetzt dem nächsten. Hat der OEM-Einkauf früher bei vier Prozent schon die Neuausschreibung initiiert, müssen sie jetzt nicht selten 10 bis 30 Prozent und mehr ertragen. Und oft sind die Logistikbudgets schon für das gesamte Jahr erschöpft!“

Geduldete Rohstoffabhängigkeit

Auf der Rohstoffebene spitzt sich die Situation parallel aber ebenfalls zu. Gerade Russland als Lieferant von Vorprodukten entfällt infolge des Ukraine-Kriegs. Ein explizites Beispiel ist dabei der Engpass bei Isopren-Kautschuk: 75 Prozent der Importe stammen aus Russland. Der Kautschuk wird für die Autoreifenproduktion benötigt. Auch Ruß als weiteres Vorprodukt wird knapper. Das machen gestiegene Preise deutlich. Ein Drittel des weltweiten Rußbedarfs kommt aus Russland. „Russische Lieferanten sind von Sanktionen betroffen und die Produktionskapazitäten in anderen Märkten reichen einmal mehr nicht aus, um den Bedarf der Industrie decken zu können“, verdeutlicht Iskan die Abhängigkeit.

Doch das sind nicht die einzigen Herausforderungen, die Stefan Iskan in seiner vierteiligen Webinarserie unter die Lupe nimmt. Auch die Dekarbonisierung und Disruption der Supply Chain, Kapazitätsverknappungen, Mehrkostenbelastungen, die End-2-End-Schlacht zwischen Amazon und den Reederein, Outsourcing und Ausschreibungen sowie die Auswirkungen der Connected Supply Chain bis in die Smart Factory hinein sind Themenkomplexe, die der Experte gerne mit Ihnen diskutiert und zu denen er klare Handlungsempfehlungen gibt.

Webinar: Aktuelle Risiken in der Supply Chain

Melden Sie sich an und nehmen Sie am 25. Mai am zweiten Teil der Webinarreihe teil.

Teil Eins in voller Länge ansehen

(ID:48358419)