Interieur HiFi im Auto: „Auf dem Parkplatz die große Oper erleben“
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Immer mehr Watt, immer größere Subwoofer, immer mehr Lautsprecher? Zulieferer, Hersteller und Software-Anbieter arbeiten an neuen Klangdimensionen für Autos – ein anderes Nutzerverhalten zwingt sie dazu.

Greg Sikora hasst Kleingeld. Bonbon-Papier geht ihm auf die Nerven. Oder auch Taschentücherpackungen. Klimpern, Knistern, Rascheln von irgendwo aus den Tiefen der Autoablagen: Die Geräusche solcher Cent-Artikel können seine Arbeit von vielen Wochen entwerten. Denn „sie zerstören für mich den makellosen Klang, an dem wir endlos getüftelt haben.“ Ein Albtraum für den Chef des Acoustic Systems Engineering Department des weltgrößten Auto-Hi-Fi-Herstellers Harman.
Sikora steht in den Hallen des Münchner Car Lab von Harman. Zum Unternehmen gehören Marken wie JBL, Infinity, Bowers & Wilkins, Bang & Olufsen oder Marck Levinson. Vor ihm steht ein Prototyp eines neuen Aston Martin, in dem seine Techniker die ideale Position für die tiefen Bässe aus dem Subwoofer suchen. Keine leichte Aufgabe in der Enge eines Sportwagens.
Der ist schließlich ohnehin voll mit Technik – und am besten Platz, unter den Sitzen, ist der Raum in so einem Sportwagen zu knapp für den dicksten Lautsprecher mit seinem Bedarf an Resonanzraum. „Gott sei Dank kann der auch an anderen Stellen wie etwa dem Kofferraum montiert werden, weil das menschliche Ohr dessen Geräusch kaum lokalisieren kann“, sagt Sikora.
Konzertsaal-Qualität im Auto
Für die anderen Schallwellen gilt das allerdings nicht. Hier hört der Mensch genau, woher der Klang kommt. Deshalb geht der Trend zu immer mehr Lautsprechern im Auto. Schon Basisausstattungen haben häufig ein halbes Dutzend Tonüberträger, selbst in Kleinwagen mit ein paar Hundert Euro extra ab Werk weiter aufrüstbar. Und BMW-, Lexus- oder Mercedes-Kunden lassen schon einmal mehrere Tausend Euro springen, um hunderte Watt, Lautsprecher-Batterien überall und ruhmreiche Marken-Logos der audiophilen Tradition ins Auto zu bringen.
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Sound im Auto
Dolby: „Wir können Signale an eine beliebige Stelle im Raum projizieren“
Im Aston, Bentley, Rolls oder Maybach geht es schon in die Dimensionen eines Kleinwagenpreises. Dafür donnert etwa aus einer Burmester-Anlage High Fidelity in Konzertsaal-Qualität und dreidimensionalem Surround-Sound wie im Hightech-Kino – über 21 Hochleistungslautsprecher inklusive Zusatz-Tönern aus zwei Dachinseln zwischen den hinteren Sitzen und mit 1.480 Watt.
Techniken auch aus Kino und Konzertsaal
Aus Kino und Konzertsaal kommen denn auch Techniken, auf die Sikora seine Anlagen im Auto trimmt: „Die Hörgewohnheiten sind eben inzwischen auch dank Heimkino-Anlagen so hoch entwickelt“, sagt der Entwickler. Darum vermessen die Teams etwa die Schallentwicklung in den berühmtesten Konzertsälen der Welt wie dem Wiener Musikverein – und stellen das Klangerlebnis über die Edel-Anlagen im Auto nach.
„Gerade in Zeiten des Social Distancing können so Live-Erlebnisse mit hohen Übertragungsraten sicher gestreamt werden“, sagt Sikora. Mancher Autobesitzer wolle dann gar nicht mehr fahren, sondern nur auf dem Parkplatz die große Oper aus der Arena di Verona erleben. Zusammen mit dem Tenor Andrea Bocelli und dessen Lieblings-Opernhaus in Pisa hat JBL etwa ein solches System für den Fiat 500 entwickelt.
Audiosysteme verbraucht viel Energie
Aber auch ursprünglich fürs Kino konzipierte Formate wie Dolby Atmos verändern das Hören an Bord. Die Dolby-Macher haben zusammen mit dem deutschen Multimedia-Unternehmen Cinemo ein System für Autos entwickelt. Dabei lassen 21 Front-, Rear-, Seiten- und Höhen-Lautsprecher sowie acht Körperschallwandler in den Sitzen das Musikgefühl frei im Raum schweben. Außerdem die vor allem für den Menschen am Steuer relevanten Signale und Warnhinweise.
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Entwicklung
Sounddesign: Was tun ohne V8?
Profi-Musiker Christopher von Deylen schwärmte bei der Vorstellung des Systems: „Gegen Dolby Atmos Music klingt Stereo wie Mono.“ Allerdings haben die „Wünsch-dir-Watt“-Orgien zwei große Probleme: Top-Anlagen können schon einmal einen Zentner auf die Waage bringen und verbrauchen entsprechend Energie. Bei der Arbeit an nachhaltiger Mobilität nicht gerade wegweisend. Entwickler Sikora setzt denn auch auf kleinere Lautsprecher, die sich auf das tatsächlich hörbare Spektrum für das menschliche Ohr konzentrieren.
Klang erzeugen ohne Lautsprecher
Radikal anders gehen Sennheiser und Continental den Kampf um den Klang an: Sie wollen 3D-Klang ganz ohne Lautsprecher erzeugen. Dazu hat Sennheiser seine „Ambeo 3D Audiotechnologie“ in das Soundsystem „Ac2ated“ von Continental eingepflegt. Dabei erzeugen Türverkleidungen oder Karosserieteile mit gezielten Schwingungen selbst den Klang. Bauraum und Gewicht einer Soundanlage sollen so um bis zu 90 Prozent sinken. In den nächsten Monaten wollen die Partner eine Serienversion entwickeln.
An das Ende des Lautsprechers glaubt Entwickler Sikora allerdings nicht so recht: „Die Idee gibt es schon länger. Aber erstens wollen die Autohersteller ja eher Schwingungen ihrer Karosserieteile vermeiden, zweitens weiß niemand, wie der Sound nach ein paar Jahren im Gebrauch klingt – und drittens braucht es gerade für die Anforderungen der Zukunft präzise Beschallung für die Ohren des einzelnen Passagiers.“ Der Trend gehe daher eher zum Sound aus der Kopfstütze.
Trend zur Hörinsel im Fahrzeug
Bose etwa verwendet solche Kopfhörer-ähnlichen Systeme schon bei Nissan, Hi-Fi-Konkurrent Meridian im Range Rover. Der Sound kann dadurch immer im idealen Verhältnis zum Kopf ausgespielt werden – wichtig, wenn etwa der Beifahrer seinen Sitz in Liegeposition bringt oder in einem autonom fahrenden Mobil den ganzen Sitz Richtung Reihe Zwei dreht.
Zudem geht der Trend in Richtung Hörinsel. Schon jetzt mögen viele Fondpassagiere lieber einen Film oder ein Videospiel auf ihren Bildschirmen an den Vordersitzen genießen. Und mit eigenen Bildschirmen für den Beifahrer wird auch der vielleicht gerade skypen wollen – und will dabei nicht durch die Musik oder Navi-Ansagen des Fahrers abgelenkt werden. Das kann schließlich im Audio-Erlebnis der Zukunft fast so nervig sein wie Kleingeld im Handschuhfach.
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