Produktentwicklung Im ewigen Kampf um Innovation
Wenn Konstrukteuren die Kreativität ausgeht, stehen Millionen auf dem Spiel. Wie schafft man dann die Kehrtwende? Ein Innovationsberater hat uns exklusive Einblicke in einen seiner Fälle ermöglicht.
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Es ist eines der Telefonate, von denen Alexander Müller zu viele führen muss: Produktentwicklung scheitert. Millionensumme auf der Kippe. Letzter Ausweg: sofortige Hilfe. Diesmal ist es ein Bielefelder* Ingenieur (*Ort geändert), der den Innovationsberater um Unterstützung bittet: Er bangt um den Auftrag eines namhaften Fahrzeugherstellers. Es geht um die Konstruktion von Armaturenbrettern und Mittelkonsolen für ein neues Pkw-Modell. Was sein Ingenieurbüro in den letzten eineinhalb Jahren ausgearbeitet hat, ist dem Auftraggeber nicht radikal genug – und wenn das Team nicht schnell bessere Ideen präsentiert, wird sich der Konzern aus dem Projekt zurückziehen. Ein Innovationsworkshop mit dem Berater, der auch Professor für Fahrzeugkonzeption an der Hochschule Esslingen ist, soll jetzt den entscheidenden Impuls bringen.
Wichtig ist ein Mindset, das uns dazu bringt, aus unseren Routinen auszubrechen.
Als Alexander Müller dem Anrufer seine Hilfe zugesagt hat und auflegt, kann er sich ein Kopfschütteln nicht verkneifen: „Solche Anfragen dürfte es eigentlich gar nicht geben. Für mich wird das ein Feuerlösch-Job.“ Wie so oft ruft ihn ein Entwickler erst an, als sein Projekt in die Binsen zu gehen droht. Wenn Zeitdruck herrscht und das Team auf dem Zahnfleisch kriecht. Für Innovation ist diese Atmosphäre Gift. „Produktentwicklung braucht Freiraum, Freiheit, Wohlbefinden“, weiß Müller. Dafür müssten Unternehmen einen langfristigen Rahmen schaffen: Mitarbeiter ermutigen. Gewohnte Bahnen verlassen. Kreative Leistungen fördern. Die richtigen Methoden schulen.
Grabenkämpfe statt Gruppengefühl
Wie erfolgsentscheidend eine solche Kultur ist, weiß auch Michael Engelbreit. Er leitet die Abteilung „Entwicklung und Anwendungstechnik“ bei Wittenstein Alpha und ist seit 20 Jahren Ingenieur. „Ab und zu leiden wir Entwickler unter Betriebsblindheit. Wichtig ist dann ein Mindset, das uns dazu bringt, aus unseren Routinen auszubrechen.“ So entstünden die besten Innovationen, ist er überzeugt. Seinen Mitarbeitern rät er deshalb: „Diskutiert Eure Probleme auch mit Kollegen, die nicht direkt mit der Konstruktion zu tun haben, zum Beispiel Lieferanten, Produktmanagern, Einkäufern. Auch wenn dabei erst mal absurde Ideen entstehen – über ein paar Ecken führen sie fast immer zur Lösung!“
Das ist ein Tipp, den auch Berater Müller gerne weitergibt. Doch an einen abteilungsübergreifenden Austausch denkt im Fall des Bielefelder Ingenieurbüros niemand mehr. Inzwischen hat Müller Gespräche mit allen Beteiligten geführt und ein Bild von dem Chaos gewonnen, das sich in den letzten Monaten Bahn gebrochen hat: Im Kern geht es um einen Interessenkonflikt zwischen Vertretern unterschiedlicher Abteilungen. Keiner ist bereit, von seiner Position abzurücken. Kreativer Freiraum? Fehlanzeige. Geprägt ist das Miteinander von Diskussionen.
Da gibt es zum Beispiel den Modell-Verantwortlichen. Sein Ziel ist eine Konstruktionslösung, die genau an den Fahrzeugtypen angepasst ist, an dem er arbeitet. Der Baureihen-Verantwortliche will davon überhaupt nichts wissen – ihm geht es schließlich um standardisierbare Module für mehrere Modelle. Müllers Fazit ist ernüchternd: „Die Projektleitung hat es nicht geschafft, alle an einen Tisch zu bringen. Eine gemeinsame Vision fehlt. Dabei ist das die Grundlage für jede erfolgreiche Entwicklung.“
Trotzdem glaubt der Berater, dass die Kehrtwende noch zu schaffen ist. „Dazu braucht es aber einen radikalen Schnitt. Wir müssen bei Null anfangen.“
Im Zweifel? Zurück zum Anfang!
„Wenn ein Entwicklungsprojekt derart ins Stocken gerät, ist das oft die einzige Option“, bestätigt Stefan Pfeffer, Professor für Technische Produktgestaltung an der Hochschule Furtwangen. „Das Team sollte die Anforderungen dann nochmals genau prüfen: Was will unser Kunde? Was bedeutet das konkret für unsere Arbeit?“
Das ist eine Lehre aus dem „Design Thinking“, einer Methode zur Entwicklung von Innovationen. Nur wer sich das Problem immer wieder vergegenwärtigt und aktualisiert, kann eine Lösung dafür finden. Ist diese Grundlage einmal geschaffen, sammelt die Projektgruppe erneut Ideen und wertet sie aus. Dazu empfiehlt Pfeffer TRIZ (russische Abkürzung für Theorie des erfinderischen Problemlösens) oder Brainstorming-Techniken wie die 6-3-5-Methode.
Auch in Müllers Fall sind es am Ende Brainstorming-Techniken, die den Durchbruch bringen. Schnell finden sich innovative Ansätze dafür, wie man die Pkw-Module gestalten könnte. Als der Knoten einmal geplatzt ist, geht es plötzlich wie von selbst. Mit den ersten Erfolgserlebnissen steigt die Motivation der Projektmitglieder. Wo vorher Grabenkämpfe herrschten, sind die Kollegen jetzt bereit zu Kompromissen und zum regelmäßigen Austausch.
Erfolgserlebnis? Nachhalten ist wichtig
Den Berater überrascht das nicht, er kennt es aus vielen seiner Workshops. „Wichtig ist jetzt aber, dass wir nachhalten“, unterstreicht Müller. Gemeinsam mit der Projektleitung installiert er deswegen ein Intensivteam. Es trifft sich im wöchentlichen Turnus, diskutiert Probleme und behält den Entwicklungsfortschritt im Blick.
Und so kehrt nach vier Wochen Ruhe ein in das Projekt. Dem Bielefelder Ingenieurbüro gelingt es, den Vertrag zu halten. Ob die Impulse des Beraters langfristig nachklingen werden? „Das hoffe ich natürlich immer“, meint Alexander Müller. „Leider habe ich aber oft erlebt, wie schnell das Gelernte wieder vergessen wird.“
* Sebastian Hofmann ist Journalist im Ressort „Job & Karriere“ bei der Vogel Communications Group.
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