Fahrbericht Jaguar I-Pace: Surrendes Kätzchen mit Reichweitenängsten

Autor Jens Scheiner

Nicht Audi, BMW oder Daimler, sondern Jaguar war der erste europäische Hersteller, der es mit dem Model X von Tesla aufnahm. Mit modernem Design, 400 PS und Allradantrieb hat der I-Pace das Zeug dazu dem Tesla den Rang abzulaufen. Wir haben die elektrisierte Katze getestet.

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Der Jaguar I-Pace ist das erste europäische Elektro-SUV, dass es mit dem Tesla X aufnimmt.
Der Jaguar I-Pace ist das erste europäische Elektro-SUV, dass es mit dem Tesla X aufnimmt.
(Bild: »Automobil Industrie«/Jens Scheiner)

Jahrzehnte lang stand die Marke Jaguar für schnelle Sportwagen und Sechszylindermotoren. Doch der Hype um SUVs erfasste auch die britische Traditionsmarke: Als einer der letzten europäischen Autohersteller wagte Jaguar im Jahr 2016 mit dem F-Pace den Sprung in ein neues Segment. Anfang 2018 folgte mit dem E-Pace bereits ein weiteres SUV-Modell, und im Sommer vergangenen Jahres rollte mit dem I-Pace das erste rein elektrisch betriebene SUV der Marke auf den Straßen. Damit ist Jaguar der erste ernstzunehmende Konkurrent von Teslas Model X, noch vor Audis E-Tron, BMWs iX3 oder Daimlers EQC.

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Das Team rund um Entwicklungschef Wolfgang Ziebart und dem mittlerweile zurückgetretenen Chefdesigner Ian Callum hat das Projekt I-Pace in nur vier Jahren umgesetzt. Dabei musste es keine Rücksicht auf bestehende Modelle oder Plattformen nehmen: Herausgekommen ist ein coupé-förmiges SUV mit hohem Aufbau, extrem kurzer Motorhaube und einem kantigen Heck. Mit dieser Formensprache hebt sich der I-Pace eindeutig von den konventionell angetriebenen Modellen ab – ist aber dennoch mit markentypischen Designelementen gespickt. So erinnern der große Kühlergrill und die schmalen Scheinwerfer vorne sowie hinten stark an den F-Pace. Bei den elektrisch ausfahrbaren Türgriffen haben sich die Jaguar-Designer vom Range Rover Velar inspirieren lassen. Die optionale Luftfederung senkt die Karosserie um zehn Millimeter ab, wenn sich das SUV über eine längere Zeit mit 105 km/h fortbewegt. Dies alles trägt zusammen mit der flachen Motorhaube und der schwungvollen Dachlinie nach Angaben des Herstellers zu einem cw-Wert von 0,29 bei. Das soll den Verbrauch senken und somit die Reichweite erhöhen.

480 Kilometer WLTP-Reichweite – theoretisch

Diese liegt laut Jaguar bei 480 Kilometern. Obwohl wir die 90 kWh große Lithium-Ionen-Batterie, die aus 432 Folienzellen besteht, zu 100 Prozent geladen haben, zeigt das Digitaldisplay im Cockpit eine Reichweite von gerade einmal 362 Kilometer an. Das sind zwar 118 Kilometer weniger als die Briten angeben, sollten aber dennoch für die Hin- und Rückfahrt von Würzburg nach Frankfurt zum Flughafen reichen, ohne den Stromer laden zu müssen. Und auch die äußeren Bedingungen mit 24 Grad Celsius, Sonnenschein und geringem Wind tragen zu dieser Prognose bei. Aber genau hier liegt ein mögliches Problem: Zwar sieht das riesige Panoramadach sehr gut aus und vermittelt im sowieso schon luftigen Innenraum ein Gefühl endloser Weite, allerdings scheint die Sonne erbarmungslos auf das Glasdach und erhitzt den Innenraum dermaßen stark, dass man nicht drum herum kommt die Klimaanlage einzuschalten. Beim Starten des Gebläses zwackt dieses direkt 25 Kilometer von der Reichweite ab.

Für die Fahrt zum Flughafen sind also nur noch 337 Kilometer übrig. Deshalb ist man gut beraten sich einige Ladepunkte auf der Autobahn zu markieren, die im Notfall angesteuert werden können. In unserem Fall ist das die Raststätte Spessart Nord, die sich ungefähr auf der Hälfte der Strecke befindet. Dort steht eine Innogy Ladestation mit einem Combo- und einem Type2-Ladestecker mit 50 Kilowatt bzw. 43 Kilowatt Ladeleistung. Damit soll in einer Stunde Energie für rund 270 Kilometer nachgeladen werden können. Schnellladesäulen mit bis zu 100 kW Ladeleistung, die den Akku in nur 40 Minuten auf 80 Prozent seiner Kapazität auffüllen, finden sich erst am zweiten Ladepunkt, dem Flughafen, wieder. Akku voll, Route geplant, ab auf die A3.

Schon bei der kurvigen Anfahrt zur Autobahn macht sich der tiefe Schwerpunkt bemerkbar. Die über 600 Kilogramm schwere Batterie liegt nämlich im Unterboden zwischen den Achsen und ist Teil der steifsten Aluminiumkarosserie aller jemals gebauten Jaguar- und Land-Rover-Modelle. Weil das Gewicht mit 50:50 auf Vorder- und Hinterachse gut verteilt ist und der Schwerpunkt durch die Batterie im Fahrzeugboden weit unten liegt, wirkt sich dies natürlich positiv auf das Fahrverhalten aus. Die elektrische Katze fährt wie auf Schienen mit aberwitzigem Tempo durch die Kurven, hat dank der Luftfederung dabei kaum Seitenneigung und lässt noch nicht mal die Reifen quietschen. So eine extrem gute Straßenlage kennt man sonst nur von Sportwagen à la Porsche 911, deren Fahrdynamik meist immer mit einem brettharten Fahrwerk einhergehen.

Beschleunigung wie in der Achterbahn

Nicht so beim I-Pace: Trotz der guten Straßenlage federt das Fahrzeug Stöße und Schläge gekonnt weg. Und auch die Power der beiden E-Motoren erinnert mehr an einen Rennwagen als an einen SUV: Denn die beiden selbst entwickelten Elektromotoren leisten jeweils 200 PS und sitzen an der Vorder- und Hinterachse und stellen ein Drehmoment von rund 700 Newtonmeter zur Verfügung – genauso viel wie bei einem Porsche 911 Turbo. So sprintet der 2,2 Tonnen schwere I-Pace in nur 4,8 Sekunden auf Tempo 100. Beim Beschleunigungstest nach einer der zahlreichen Baustellen auf der A3 lassen wir mit durchgetretenem Gaspedal den älteren Porsche 911 aus der Baureihe 997 hinter uns, um ihn anschließend bei Tempo 204 wieder ziehen zu lassen – Jaguar gibt die Höchstgeschwindigkeit des I-Pace mit 200 km/h an. Dabei ist die Beschleunigung vergleichbar mit einer Achterbahn die von der höchsten Stelle der Kurses Richtung Tal rauscht, nur ohne das typische knattern, sondern mit einem für E-Autos typischen surren.

Allerdings hat der kleine Zwischenspurt 35 Kilometer Reichweite gekostet. Also Fuß vom Gas und die Batterie durch Rekuperation wieder etwas laden. Beim I-Pace gibt es hierfür zwei Stufen: In der höheren ist die Energierückgewinnung so stark, dass sich das Auto allein mit dem Gaspedal fahren lässt. So kommen immerhin noch ein paar Kilometer zusammen und die Restreichweite beträgt am zweiten Ladepunkt in Frankfurt 167 Kilometer. Hier sollen laut Plugsurfing.com insgesamt 13 Ladestecker stehen, darunter zwei mit 100 Kilowatt Leistung. Die Realität ist allerdings eine andere: Von den vier Ladeplätzen die wir vorfinden, ist einer von einem Verbrenner blockiert, der andere ist defekt, somit bleiben noch zwei Plätze zum Laden.

Unzuverlässige Ladestation

Stecker rein, Chip einlesen, Station brummt und lädt. Nun zum Terminal laufen, das glücklicherweise nur fünf Minuten entfernt ist. Nach zwei Stunden Wartezeit sollte der Akku wieder über eine Kapazität von 100 Prozent verfügen. Blöd nur, dass die Allego-Station nur zu Beginn des Ladevorganges funktioniert hat. Warum, bleibt uns ein Rätsel. Vielleicht hat der E-Golf-Fahrer, der neben uns an die Ladestation eingecheckt ist, unseren Ladevorgang unterbrochen bzw. abgebrochen. Bleibt also eine Restreichweite von 170 Kilometer für eine Strecke von 116 Kilometer. Das heißt nun langsam fahren, um den Akku zu schonen. Gut, dass die Passagiere trotz der kompakten Abmessungen mit nur 4,68 Meter Außenlänge (ein BMW X5 ist ganze 21 Zentimeter länger) und einem Radstand von drei Metern viel Platz im Innenraum haben. Gut auch, dass die Sitze sehr gut gepolstert und konturiert sind. So lässt es sich auch auf längeren Strecken gut Reisen.

Gepäck in den knapp 700 Liter großen Kofferraum einladen, Klimaanlage sowie Radio aus und mit einem rohen Ei auf dem Gaspedal zurück auf die A3. Mit 120 km/h auf der rechten Spur kommt kein wirklicher Fahrspaß auf. Erschwerend kommt hinzu, dass sogar Wohnmobile am Fahrerfenster vorbei ziehen und man sich ungläubiger Blicke ausgesetzt fühlt. Immerhin sind Gespräche mit allen Passagieren dank der guten Dämmung und fehlender Motorgeräusche problemlos möglich, zumindest solange die Fenster geschlossen bleiben. Was mit ausgeschalteter Klimaanlage und starker Sonneneinstrahlung nicht allzu häufig war. Mit schwitzigen Händen und etwas erschöpft erreichen wir mit einer Restreichweite von 26 Kilometern den heimischen Parkplatz. Nun den Ökostrom aus der Haushaltssteckdose in den Akku des Jaguar fließen lassen.

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Das elektrische SUV kann auch Gelände

Nach 36 langen Stunden ist die Batterie wieder voll und das E-SUV bereit für die nächste Disziplin: Da der Jaguar über permanenten Allradantrieb verfügt eignet sich der I-Pace nicht nur für befestigte Straßen, sondern auch für das (leichte) Gelände. Mit einer Bodenfreiheit von 14 Zentimetern sowie einer Wattiefe von 50 Zentimeter überwindet das SUV seichtes Wasser sowie schlammige Untergründe und federt mittelgroße Löcher im Boden ohne merkliche Schläge weg. Über klassische Knöpfe in der Mittelkonsole lässt sich die Höhe der Federung einstellen. Alle restlichen Systeme lassen sich über das neue und erstmals in einem Jaguar-Modell verbaute Infotainmentsystem „Touch Pro Duo“ bedienen. Das Cockpit besteht aus einem digitalen 12,3 Zoll großen Tachodisplay und wird durch ein vollfarbiges Head-up-Display ergänzt, das beispielsweise die aktuelle Geschwindigkeit oder Navigationshinweise in die Windschutzscheibe projiziert.

In der Mittelkonsole stehen zwei HD-Touchscreens zur Verfügung. Das obere Display ist zehn Zoll groß und für Navigation oder Infotainment zuständig. Das neue Navigationssystem analysiert unter anderem die persönliche Fahrweise und berechnet daraus die voraussichtliche Reichweite. Auf dem unteren fünf Zoll großen Bildschirm lässt sich die Klimaanlage auch über Drehschalter steuern. Außerdem erkennt der I-Pace die individuellen Vorlieben des Fahrers und passt den Antrieb, Sitz- und Spiegeleinstellungen automatisch an. Eine Amazon-Alexa-Funktion, die den Fahrer über den aktuellen Ladestand informiert, ist ebenfalls an Bord, ebenso wie ein 4G Wi-Fi Hotspot, mit dem sich bis zu acht Geräte gleichzeitig mit dem Internet verbinden lassen. Dabei wird die Software des E-SUVs automatisch aktualisiert.

Premiumsegment: Jaguar legt vor

Mit dem I-Pace hat Jaguar den Kampf im E-SUV-Segment eröffnet. Mit einigen Extras und je nach Ausstattung (S, SE, HSE und First Edition) kann der Grundpreis von 77.850 Euro auf 101.850 Euro steigen. Man darf nun gespannt sein, wie sich die deutsche Konkurrenz um Audi E-Tron Mercedes EQC und BMW iX3 schlagen wird.

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