Logistik Kommentar: „Autoherstellern gehen die Spediteure aus“
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Den OEMs gehen immer mehr die Speditionen aus; zugespitzt gesagt. Zudem verlangen die Transportunternehmen für anspruchsvolle Leistungen anspruchsvolle Preise. Es bleibt nur die Flucht nach vorn. Nur: Wohin?

Seit rund 15 Jahren herrscht harter Konkurrenzkampf unter Europas Gebietsspediteuren in der Automobilindustrie. Verantwortlich hierfür dürften zwei große paneuropäische OEM-Ausschreibungen vor über einer Dekade gewesen sein. Diese haben die Strukturen und Player für den gesamten Markt bis heute zementiert. Und das OEM-übergreifend.
Was für die Transport-Einkäufer, ihre Berater und Konzern-Vorstände damals kurzfristig ein Hebel war um Geld zu sparen, fliegt ihnen und ihren Supply-Chain-Direktoren genau jetzt um die Ohren. Die Folge: Den Autoherstellern laufen seit Jahren schon die letzten willigen Gebietsspediteure davon. Und die Logistikkonzerne? Bis auf Ausnahmen haben sich die Big Player ebenso zurückgezogen.
Das Gebietsspeditionswesen ist heute überwiegend in der Hand des verbliebenen Mittelstands. Die nennenswerten Player lassen sich an zwei Händen abzählen. Das war vor über 15 Jahren ganz anders. Doch haben die verbliebenen OEM-Gebietsspediteure aus dem Mittelstand heute schon auf dem Radar, was morgen kommt? Nehmen wir einmal die operative Tagesgeschäft-Brille ab und fragen uns: Was bringt eigentlich die anstehende alternative Antriebswelle für die OEM-Gebietsspediteure der Automobilindustrie? Genau: Die Fahrzeuge werden immer weiter modularisiert.
Deutliche Folgen für Gebietsspediteure
Die Ladungsverkehre (LTL, FTL) dürften zunehmen. Die Folge: Das heute noch extra dafür vorgehaltene Gebietsspeditionswesen verliert bei durchschnittlichen Gebietsspediteuren ohne USP in Technologie, Montage und Produktion in der Value Chain damit zunehmend seine Daseinsberechtigung. Wo sich das heute schon erleben lässt? Vielleicht bei den Tech-Autoherstellern? Stückgut dürfte hier vermutlich wieder stärker in die industrialisierten Stückgutsysteme der Logistikkonzerne wandern. FTL und LTL Volumen laufen womöglich schon gesondert im Markt.
Ein Blick in den Markt zeigt aber auch: Die Player an der Spitze der Inbound Logistics für Autohersteller ziehen technologisch richtig davon. Die Spreizung in der Leistungsfähigkeit zieht an. Stichwort Zwei-Klassen-Gesellschaft in der Supply Chain. Der durchschnittliche Gebietsspediteur aus dem Mittelstand dürfte mitunter gut beraten sein, sein Geschäft mit dem Autohersteller kritisch zu reflektieren; und seine Daseinsberechtigung in der OEM-Supply-Chain der Zukunft zu hinterfragen – um dann womöglich sein Business auslaufen zu lassen oder an die letzten noch willigen Logistikkonzerne abzustoßen.
Stärkere Abhängigkeit von Logistikdienstleistern
Bleiben wir in einem solchen Gedankenmodell und Szenario: Was würde passieren, wenn die verbleibenden OEM-Gebietsspediteure aus dem Mittelstand ihr Business an die letzten noch willigen Road-Freight-Logistikkonzerne abgeben? Genau, das was den OEMs durch Halbleiterkrise & Co. auch schon blüht: eine noch stärkere Abhängigkeit von wenig verbleibenden, aber schon heute absolut systemrelevanten Inbound Logistikdienstleistern. Dienstleister, die heute bereits extrem leistungs- und leidensstark sind. Und in diese Sackgasse haben sich die OEMs selbst hinein manövriert. Durch ihren Transportlogistik-Einkauf.
Die Folge: Premium-OEMs werden für die Leistung künftig Premium-Preise für die Inbound Transportlogistik bezahlen. Die Volumenhersteller auch. Die Inbound Logistik wird teurer. Dafür aber mit leistungsstarken Logistikern, die sich tief in die Value Chain ihrer Kunden eingraben. Und die es schon gestern verstanden haben, sich vom klassischen Spediteur und Kontraktlogistikdienstleister zum Entwicklungspartner zu transformieren.
Geschäftsmodell Lithium-Ionen-Batterie?
Wie geht es weiter mit der E-Mobilität und den Logistikpartnern in der entsprechenden Value Chain? Lithium-Ionen-Batterielogistik unterliegt der Gefahrgutklasse 9. Immer wieder kommt die Frage auf, welche neuen Geschäftsgelegenheiten sich daraus für Logistikdienstleister, gerade aus dem Mittelstand, ergeben. Zu differenzieren ist hier zunächst zwischen Beschaffungs-, Aftermarket- und Reverse-Transport- und Logistiklösungen.
Es geht hier also um Auftragsumfänge im Rahmen der OEM-Produktionsversorgung, Ersatzteile- und Entsorgungs-Handling. Für den Mittelstand ergeben sich aus dem durchaus auch kapitalintensiven Anforderungsprofil weniger Chancen als erwartet. Möglichkeiten bieten sich hier eher für internationale Logistikorganisationen. Allerdings nicht in der Beschaffungslogistik der Automobilindustrie. Hier werden Dienstleister eine untergeordnete Rolle spielen.
Eine Lithium-Ionen-Batterie wiegt im Schnitt 500 Kilogramm. Für den Verkehrsträger Straße wenig attraktiv, zumal die Batterien Gefahrgut darstellen. Die OEMs werden den Inbound-Transport im Rahmen ihrer Batterielogistik beziehungsweise aus ihren künftigen Batteriezellen-Fabriken heraus auf massentaugliche Verkehrsträger verlagern. Die Inbound-Transporte zwischen systemrelevanten Batterie-Suppliern beziehungsweise die Werksverkehre zwischen den internen OEM-Produktionsverbundstandorten mit Batteriezellen-Bezug werden paneuropäisch künftig auf der Schiene erfolgen.
Autohersteller werden Logistikaufgaben selbst erledigen
Den gesamten Steuerungs- und Koordinationsprozess samt der operativen Be- und Entladung werden die Autohersteller künftig selbst ausführen. Oder was sonst ist unter Smart Factory und Industrie 4.0 zu verstehen? Es ist nichts anderes als die horizontale und vertikale Vernetzung der vor- und nachgelagerten Prozessstufen einer Smart Factory. Also nichts anderes als die Connected Supply Chain auf einem teil- beziehungsweise vollautomatisierten Niveau.
Regelmäßig wird dabei gefragt, ob es für diesen Prozess künftig noch den Mittelstand mit seinem Lkw-Fuhrpark braucht. Nein. Anders kann sich die Situation im Aftermarket darstellen. Allerdings eher für Logistikdienstleister mit internationalem Niederlassungsnetzwerk und Zugriff auf verkehrsträgerübergreifende Konzepte. Gerade im Aftermarket können eben jene Logistikdienstleister künftig ihre Niederlassungsnähe zum OEM-Händlernetzwerk nutzen; und ihr Wissen rund um zolltechnische Fragen.
Und hier sind wir wieder: bei den Premium-Preisen der OEM-Inbound-Logistik. Die Anforderungen der Batterielogistik im Transport und Warehouse Handling werden ihren Preis haben. Dafür sorgen allein schon die Dimensionen Brandschutz oder auch Versicherung.
Eine Allianz mit wenigen Dienstleistern
Insgesamt betrachtet gehen den Automobilherstellern die willigen Logistikdienstleister aus. Die Zitrone ist ausgequetscht und die Supply Chain bis zum Lkw-Fahrer gegen die Wand gefahren. Industrie 4.0 bedeutet also: mit wenigen Dienstleistern eine Allianz in der Automobilindustrie eingehen. Es wird und kann kein Interesse der OEMs mehr sein, das Spiel des „Supplier & Logistiker Durchwechselns“ weiter zu spielen. Die Zeiten-Wende ist allein schon durch den Lkw-Fahrer Mangel augenscheinlich. Der Lkw-Fahrer hat sich die Industrie selbst entledigt – durch ihre „Geiz-ist-geil“-Ausschreibungspraxis.
Wir müssen Ursachen so klar benennen dürfen. Es hilft kein Herumreden mehr. Nur so können wir in der Supply Chain ehrlich an Lösungen arbeiten. Gemeinsam. Für andere Ansätze sind die Investitionen in eine „Intelligent Supply Chain Enterprise“ der Zukunft viel zu kostspielig – für alle in der Value Chain. Es braucht ein strategisches, nachhaltig-geprägtes Öko-Partnersystem mit wenigen, dafür aber finanz- und leistungsstarken Mitspielern. Kooperieren, Cash absichern und in die Wertschöpfung eingraben. Das ist das Gebot der Stunde.
* Der Autor hält die Professur für Logistik und Wirtschaftsinformatik an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen. Seine Schwerpunkte sind Automotive Supply Chain Management und Digitalisierung.
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