Fahrzeugentwicklung Low-Budget-Cars: Weniger wird mehr
Renault preschte mit Dacia vor, General Motors, Hyundai, Nissan, Suzuki und Tata zogen nach und Volkswagen plant sie – die Rede ist von Low-Budget-Fahrzeugen. Bis 2017 soll der Markt von heute acht Millionen Autos pro Jahr auf mehr als zehn Millionen wachsen.
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Eigentlich sollte die Entscheidung bereits Ende 2012 gefallen sein, doch Wolfsburg lässt sich Zeit: Ob man in das Low-Budget-Segment, also in den Markt von 6.000 bis 8.000 Euro, einsteigt, ist noch nicht ausgemacht. Im Laufe des Frühjahrs, so ließ sich VW-Konzernchef Martin Winterkorn auf der Automesse in Detroit vernehmen, soll nun entschieden werden. Noch ist alles offen: Die Wolfsburger denken zwar intensiv über eine neue Marke und ein neues Logo nach. Entwicklerkreisen zufolge ist es jedoch möglich, dass man sich zunächst auf ein einziges Modell beschränke, das auch unter der Marke Volkswagen vertrieben werden könnte.
„Die Marke mit den alten Autos“
Die ist nämlich durchaus nicht so weit oben im Markt verortet, wie man aus europäischer Sicht glaubt. Noch heute läuft in Brasilien der Volkswagen T2-Transporter vom Band und in China werden die rund 30 Jahre alten Modelle Jetta II und Santana gerade von einer Limousine der unteren Mittelklasse abgelöst. Sie ist direkt von den Schwestermodellen Skoda Rapid und Seat Toldeo abgeleitet. Und dafür war es höchste Zeit: „Irgendwann ist man die Marke mit den alten Autos“, gibt ein VW-Manager im Gespräch mit »Automobil Industrie« zu bedenken. Zuständig für das Low-Budget-Projekt ist der frühere Opel-Chef Hans Demant, der zuletzt bei Volkswagen an der gescheiterten Fusion mit Suzuki arbeitete, aus der die Wolfsburger eigentlich reiche Erkenntnisse über das Einstiegssegment gewinnen wollten. Doch man zerstritt sich, nicht ein einziges Projekt wurde umgesetzt
Lernen, Low-Cost-Fahrzeuge zu konstruieren
Vielleicht auch deshalb spielt aktuell das Quartett aus Rapid, Toledo, neuem Santana und Jetta-Nachfolger eine wichtige Rolle: Der Konzern kann damit lernen, Low-Cost-Fahrzeuge zu konstruieren. Dabei muss er das Rad nicht in jeder Hinsicht neu erfinden: VW setzt bei den Modellen altbewährte Komponenten ein – teils vom Polo (PQ25), teils vom Golf IV (PQ34). Low Cost ist das nicht, aber die Konstruktionsprinzipien sind übertragbar.
Eine echte Low-Cost-Modellfamilie muss nochmals günstiger und einfacher als die oben genannten Kompaktlimousinen sein; von Grund auf neu muss sie jedoch nicht konstruiert werden. Denn: „Eine von Grund auf neue Entwicklung ist finanziell meistens nicht attraktiv“, weiß Christoph Stürmer, Analyst beim Prognoseunternehmen IHS Automotive in Frankfurt.
Es geht nur lokal
Die Margen im Segment sind nämlich so gering, dass bei Entwicklung und Produktion extrem scharf kalkuliert werden muss. Aufwendige Elektronik-, Antriebs- und Fahrwerkskonzepte verbieten sich ebenso wie eine hochautomatisierte, teuer zu installierende Fertigung. Statt dessen setzen die OEMs auf eine lokale Fertigung, und zwar dort, wo die Arbeitslöhne niedrig liegen. VW-Entwicklungsvorstand Ulrich Hackenberg formuliert: „Die Umsetzung von Low-Budget-Fahrzeugen ist nur durch lokale Lieferanten, regionale Arbeitsverfahren und zu ortsüblichen Arbeitskosten möglich.“
Zumutung für sich entwickelnde Länder
Keine Zukunft haben praktisch unveränderte ausgelaufene Baumuster aus den entwickelten Märkten. In den letzten Jahren hat sich das entsprechende Angebot merklich ausgedünnt. VW Golf I, der auf dem Fiat 124 basierende Lada, der Peugeot 504 oder der bei Zastava gefertigte Fiat 128 sind verschwunden. Noch gibt es in Mexiko den Nissan Tsuru, der auf dem Sunny der achtziger Jahre basiert; in Brasilien laufen bei Fiat der aus dem Uno entwickelte Mille sowie bei Chevrolet der auf dem alten Opel Corsa basierende Celta vom Band. Doch der Stern dieser Typen ist am Sinken. Was Nostalgiker in Europa zum Schwärmen bringt, gilt in den sich entwickelnden Ländern verstärkt als Zumutung.
Die Autos müssen gut aussehen
Denn mittels Internet können sich die Kunden heute global informieren. Und so kann sich ein konsequent aufgebautes Markenimage inzwischen keine lokalen Skurrilitäten mehr erlauben. Deshalb verzichtet beispielsweise auch General Motors darauf, die für China entwickelten Modelle der Marke Baojun anderswo unter dem Chevrolet-Signet feilzubieten: „Wir können uns das nicht vorstellen“, so Marketingchef Alan Batey im Gespräch mit »Automobil Industrie«: „Chevrolet soll überall für die gleichen Werte stehen.“ Damit meint er auch die Produktsubstanz – denn die fehlt der Marke Baojun nach Aussage eines in China arbeitenden GM-Managers: „Die Baojun-Modelle sind eindrucksvoll gezeichnet, aber unter dem Blech ist das Technik von gestern.“ Genau das macht allerdings den Erfolg vieler Low-Cost-Modelle aus. Die Autos müssen gut aussehen – was unter dem Blech steckt, ist noch immer zweitrangig.
Chancen im Westen
Den Ansatz, die Markenwelten möglichst rein zu halten, verfolgt nicht nur Chevrolet, sondern auch Renault-Nissan mit einiger Konsequenz. Mit der rumänischen Marke Dacia haben sich die Franzosen als Pionier betätigt. Nur auf sehr wenigen Märkten treten die Modelle unter dem Renault- oder Nissan-Signet an; weit überwiegend widmet man sich dem Aufbau der Dacia-Marke. Deren Modelle haben sich mittlerweile auch auf westlichen Märkten etabliert – manchem gilt der Besitz eines solchen Fahrzeugs gar als Ausdruck der Distanz zur Marken- und Konsumgesellschaft. In nur sieben Jahren sind die Verkäufe von Dacia weltweit auf rund 840.000 Billigautos gestiegen.
Tata-Konzept nahezu gescheitert
Nahezu gescheitert ist hingegen das ambitionierte Projekt des indischen Tata-Konzerns. Der für unter 2.000 Euro angebotene Nano ist weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Anstatt „Indien zu motorisieren“, wie es Konzernchef Ratan Tata vorschwebte, lief das Fahrzeug schleppend an. Mit einem Prestigefaktor, der gegen null tendiert, kann sich der einfach konstruierte Nano nicht gegen das Angebot an Gebrauchtwagen durchsetzen. Tata gibt aber nicht auf; hinter den Kulissen wird an neuen Modellen gearbeitet.
Datsun-Label für unter 3.000 Euro
Auch die Konkurrenz hat das unterste Marktsegment entdeckt. Nissan etwa plant unter dem in den frühen achtziger Jahren abgeschafften Traditionslabel Datsun eine ganze Familie von Low-Cost-Fahrzeugen. Sie dürfte unterhalb von 3.000 Euro starten.
Die Rolle der Zulieferer
Auch wenn unter den Karosserien vieler Low-Cost-Modelle bewährte Technik steckt: Oberflächen und Design müssen neu gedacht werden. So baute zum Beispiel der Zulieferer Visteon ein modulares Cockpit auf, das auf der Beifahrerseite völlig entfallen kann. Der Raum kann dann bis zur Spritzwand als Ablage oder für Gepäck genutzt werden. Es ist jedoch auch möglich, den Beifahrersitz umzudrehen, um eine Konferenzarchitektur zu schaffen. Die bei der Entwicklung gewonnenen Erkenntnisse fließen auch in konventionelle Projekte ein. Teilweise können die günstigen Bauteile, etwa die kompakte Heizungs-/Belüftungsanlage, sogar direkt genutzt werden: Low Cost als Innovationstreiber.
Moderne Antriebstechnik sind zu teuer
Während innovative Konzepte für das Interieur und die Karosserie häufig mit Kostensenkungen einhergehen, verbietet sich zumeist der Einsatz moderner Antriebstechnik. Turbolader und Kompressoren sowie Automatik- und Doppelkupplungsgetriebe sind zu teuer, um in dem kostensensiblen Segment Fuß fassen zu können; man hat genug damit zu tun, die Emissionsvorschriften einzuhalten. Häufig werden Drei- oder Vierzylinder-Saugmotoren verbaut, die an konventionelle oder automatisierte Schaltgetriebe gekoppelt sind.
Verbrauch kontra Low-Budget
Die wenig ambitionierte Motorentechnik führt dazu, dass die Verbrauchswerte vieler Billigautos relativ hoch ausfallen, was den Ansatz der Low-Budget-Modelle im Betrieb konterkariert. Doch auch hier tut sich etwas, wie eine aktuelle Konzeptstudie des Schaefler-Konzerns unterstreicht. Sie senkt mit relativ einfachen Maßnahmen an Kupplung und Motor den Verbrauch eines Suzuki-Swift-Ausgangsmodells um stolze zehn Prozent.
Über zehn Millionen Fahrzeuge in 2017
Wer es als Zulieferer schafft, sich im Segment der Low-Cost-Cars zu positionieren, darf sich auf ein stark wachsendes Geschäft freuen. Laut IHS Automotive soll es von derzeit rund acht Millionen Einheiten pro Jahr auf mehr als zehn Millionen Fahrzeuge im Jahr 2017 zulegen. Dabei besteht für die OEMs die Kunst darin, das Markenimage nicht zu beschädigen und die Entwicklungs- und Produktionskosten auf ein Minimum zu reduzieren. Man darf gespannt sein, wie sich Wolfsburg entscheidet.
Low-Cost an der Zapfsäule
Ein günstiger Einstiegspreis für das Auto ist die eine Seite der Medaille; die Kosten für den Besitz und Betrieb des Fahrzeugs die andere. Viele Low-Budget-Cars zeichnen sich nicht eben durch besonders ressourcenschonende Technik aus. Die ist nämlich oftmals teuer; akzeptable Verbräuche ergeben sich deshalb eher aus den relativ niedrigen Gewichten alter Plattformen, die in Sachen passiver Sicherheit eher bedenklich sind. Es geht allerdings auch anders: Der Zulieferer Schaeffler hat in Indien einen Prototypen entwickelt, der mit niedrigem finanziellen Einsatz ganz erhebliche Einsparungen ermöglicht.
„Schaeffler Efficient Future Mobility India“
Ausgangsbasis für das Modell ist ein Swift von Suzuki-Maruti aus lokaler Produktion. Er läuft nach der Überarbeitung durch die Schaeffler-Ingenieure unter der etwas sperrigen, dafür jedoch selbsterklärenden Bezeichnung „Schaeffler Efficient Future Mobility India“. Die Innovation liegt im Antrieb. Die Entwickler haben den Vierzylinder-Motor mit beschichteten Tassenstößeln, optimierten Lagern, einem Generatorfreilauf und einer verbesserten thermischen Steuerung versehen. Maßnahmen, die nicht nur den Verbrauch senken und die Leistung steigern, sondern potenziell auch die Lebensdauer des Motors erhöhen. Zudem verbaut Schaeffler eine variable Ventilsteuerung namens VCT, die ebenfalls Verbrauch und Leistung verbessert. Ferner weicht das klassische Kupplungspedal einem elektromechanischen Aktor, der mit einer sensorischen Gangerkennung gekoppelt ist. Diese elektronische Kupplungssteuerung (ECM) ermöglicht das automatisierte Schalten und eine Start-Stopp-Funktion. Natürlich bleibt der Schaltkomfort mit der ECM-Technik hinter einem Doppelkupplungs- oder Wandler-Automaten zurück, dafür ist sie in Sachen Kosten und Gewicht unschlagbar.
Verbrauch und Emissionen: Minus zehn Prozent
Beim Bauraum ergeben sich sogar Vorteile gegenüber dem klassischen Handschalter, denn Kupplungspedal und Schalthebel können theoretisch entfallen. Mit den überschaubaren und vor allem günstigen Änderungen konnte Schaeffler den Verbrauch und die Emissionen des Swift um zehn Prozent senken. „Selbst auf der von uns ausgewählten effizienten Plattform gab es erhebliches Optimierungspotenzial“, sagt Schaeffler-Entwicklungsvorstand Prof. Peter Gutzmer. Die Technik lässt sich insgesamt oder in Einzelkomponenten auf ein weites Spektrum anderer Modelle übertragen – dort liegt das Einsparpotenzial teilweise noch höher. Das gilt auch für Zweiräder, für die vor allem an reibungsarmen Lagern und neuen Kupplungen gearbeitet wird.
Konzeptfahrzeug steht für lokalen Ansatz
Die Kosten für das Schaeffler Efficient Future Mobility India will Prof. Gutzmer nicht genau beziffern; er deutet jedoch an, dass sie deutlich unter den Maßzahlen liegen, die industrieweit für Verbrauchs- und CO2-Reduzierungen angelegt und als angemessen bewertet werden. Insgesamt steht das Konzeptfahrzeug stellvertretend für den lokalen Ansatz einer wachsenden Zahl von Herstellern und Zulieferern. Es wurde direkt vor Ort in Indien entwickelt und entspricht den Bedürfnissen des lokalen Marktes. In gleicher Weise hat der Zulieferer auf der Autoshow in Detroit einen speziell für Nordamerika ausgelegten und auch dort entwickelten Crossover-Prototypen auf Basis des Ford Escape bzw. Kuga präsentiert. Er besticht mit Merkmalen, die dem Kunden gerade in den USA wichtig sind, etwa einen entkoppelbaren Allradantrieb und einen optimierten Wandlerautomaten. Im April soll auf der Auto Shanghai ein lokal entwickelter Prototyp für China folgen.
Drei Fragen an Richard Vaughan, Visteon
Können sie ihre low-Cost-Konzepte über die Märkte hinweg
übertragen?
Wir haben 2011 eine Studie vorgestellt, die speziell für Indien entwickelt
war, wobei es sich um einen entscheidenden Wachstumsmarkt handelt. Aber dieses Modell würde so nicht unbedingt für China passen, denn dort werden bereits andere Preise gezahlt.
In welcher Höhe haben sie Kosten aus dem Interieur herausnehmen
können?
Wir haben schon Cockpits für weniger als 30 Dollar angeboten, die dann komplett aus Spritzguss gefertigt sind. und die gehen auch in Produktion.
Das sind dann aber nur noch Zwei-Drittel-Cockpits.
Nicht in diesem Fall. Wir nutzen zwar die Architektur der Zweidrittel-Armaturentafel mit all ihren Vorteilen, etwa der Gewichtsersparnis, decken aber die Beifahrerseite komplett ab und erzielen die Optik einer normalen Armaturentafel. Haupttreiber war dabei das kompakte Heizungs- und Lüftungssystem. und das nutzen wir jetzt auch bei anderen Fahrzeugen. das Thema „Low-Cost“ hat uns gezwungen, das Interieur vollständig neu zu denken.
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