CAM-Studie Pkw-Rückrufe nehmen weiter zu

Redakteur: Lena Sattler

Der Trend zu größeren Rückrufaktionen der Automobilindustrie setzt sich fort. Grund dafür ist unter anderem die zunehmende technische Komplexität der Fahrzeuge, wie aus einer Analyse des Center of Automotive Management hervorgeht.

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Rund 2,1 Millionen Pkw verschiedener Modellreihen, u.a. Fiesta, wurden vom US-Hersteller Ford wegen Problemen an der Türverriegelung zurückbeordert.
Rund 2,1 Millionen Pkw verschiedener Modellreihen, u.a. Fiesta, wurden vom US-Hersteller Ford wegen Problemen an der Türverriegelung zurückbeordert.
(Bild: Ford)

Die Rückrufe der Automobilhersteller bewegen sich weiter auf sehr hohem Niveau. Das Center of Automotive Management (CAM) hat in der Studie „Rückruf-Trends der globalen Automobilhersteller 2011-2021“ dazu den Markt in den USA als Referenzmarkt untersucht. Hier wurden im Jahr 2020 30,3 Millionen Pkw wegen sicherheitstechnischen Mängeln zurückgerufen. Im ersten Halbjahr 2021 waren es bereits über 18,6 Millionen Pkw inklusive Kleintransporter.

Die Analysten berechneten daher eine Rückrufquote – die Anzahl der zurückgerufenen Fahrzeuge an den Neuzulassungen des Jahres – von 208 Prozent im Jahr 2020 und von 227 Prozent im ersten Halbjahr 2021. Zum Vergleich: 2019 lag die Quote bei 219 Prozent.

Neuer Negativrekord im Langfristvergleich

In den Jahren von 2011 bis 2020 kam es zu einem Allzeit-Negativrekord von über 331 Millionen zurückgerufenen Fahrzeugen allein im US-Markt: Das entspricht einer durchschnittlichen Rückrufquote von 201 Prozent. Inklusive des ersten Halbjahrs 2021 wurden seit dem Jahr 2011 349,7 Millionen Pkw zurückgerufen (204 %). Damit wurden mehr als doppelt so viele Fahrzeuge in die Werkstätten zurückbeordert als im gleichen Zeitraum an Neuwagen verkauft werden konnten.

Rückrufquoten von mehr als 400 Prozent bei einzelnen Marken

Im Jahr 2020 schnitten die Hersteller Volvo, Honda und Mitsubishi am schlechtesten ab: Ihre sicherheitstechnischen Rückrufquoten betrugen hier mehr als 400 Prozent. Darauf folgte Toyota mit 328 Prozent (rund sieben Millionen Fahrzeuge), Honda (5,8 Millionen Pkw) und Ford (rund fünf Millionen Fahrzeuge). Die geringsten Rückrufquoten aus dem Jahr 2020 haben Tesla (13 %), Mazda (26 %), General Motors (53 %) und Jaguar Land Rover (75 %). Die deutschen Automobilhersteller BMW (126 %), Volkswagen (121 %) und Daimler (86 %) lagen eher im Mittelfeld.

Der größte Teil der sicherheitstechnischen Produktmängel fiel im Jahr 2020 auf den Insassenschutz (rund 27 %), gefolgt von Problemen mit dem Antriebsstrang wie Motor und Getriebe (etwa 21 %), der Karosserie (20 %) und der Elektrik und Elektronik (14 %) sowie Mängel an den Bremsanlagen (10 %). Rund sieben Prozent der betroffenen Pkw mussten wegen Softwarefehlern in die Werkstatt gebracht werden.

Die meisten Software-Probleme sind mit einem Anteil von 89 Prozent Honda zuzuordnen, gefolgt von Volvo mit sechs Prozent sowie Fiat-Chrysler mit knapp zwei Prozent.

2021 besonders US-Konzerne von Rückrufen betroffen

Im ersten Halbjahr 2021 mussten besonders amerikanische Konzerne hohe Rückrufmengen verbuchen: General Motors kommt auf rund sieben Millionen Pkw (525 %), während Ford 3,7 Millionen Pkw (374 %) zurückruft. Noch schlechter schneidet Daimler mit rund zwei Millionen zurückgerufenen Fahrzeugen (1.275 %) ab: Der Hersteller konnte im ersten Halbjahr 2021 rund 160.000 Pkw auf dem US-Markt verkaufen.

Mehr als die Hälfte aller sicherheitsrelevanten Produktmängel im ersten Halbjahr 2021 entfielen auf den Insassenschutz, während es bei der Elektrik/ Elektronik 17,5 Prozent und beim Antriebsstrang knapp 10 Prozent waren. Andere Bereiche wie zum Beispiel Fahrwerk, Bremsanlage oder Karosserie machten nur einen kleinen Anteil aus. Mit einer absoluten Rückrufmenge von knapp 2,7 Millionen Fahrzeugen bzw. einem Anteil von rund 15 Prozent übersteigen Software-Mängel bereits zum Ende des Halbjahr 2021 den Gesamtjahreswert von 2020.

Daimler musste mit einem Anteil von rund 64 Prozent die meisten Fahrzeuge aufgrund von Softwarefehlern zurückrufen, gefolgt von Subaru (17 %), General Motors (11 %) sowie Tesla (5 %).

Tesla insgesamt mit den wenigsten Rückrufen

Im Zeitraum von 2011 bis 2020 waren Honda (342 %), Mitsubishi (331 %), Fiat-Chrysler (273 %), Mazda (266 %) besonders betroffen. General Motors (202 %), sowie Toyota (191 %) und Ford (185 %) lagen dabei im Mittelfeld. BMW kommt auf eine Rückrufquote von 219 Prozent, während Daimler (201 %) und der Volkswagen Konzern (173 %) leicht unter dem Schnitt der betrachteten Hersteller liegen. Die niedrigsten sicherheitsbezogenen Rückrufquoten verzeichnete Tesla (55 %) und Jaguar-Land Rover (86 %), gefolgt von Volvo (136 %), Nissan (138 %) und Hyundai (152 %).

Für die insgesamt hohen Rückrufmengen sind laut CAM unterschiedliche sicherheitsrelevante Bauteile wie Airbags, Türverriegelung oder die Batterie verantwortlich.

Als Gründe für die wachsenden Qualitätsprobleme nennt das CAM die steigende technische Komplexität des Fahrzeugs, eine Zunahme der Entwicklungsgeschwindigkeit aufgrund gestiegener Wettbewerbsintensität und den Kostendruck. Außerdem wurden erhebliche Teile der Wertschöpfung auf die Automobilzulieferer übertragen, womit die Anforderungen an das Qualitätsmanagement steigen würden.

Zudem müssten die Hersteller zunehmend auf Gleichteile- bzw. Baukastenstrategien setzen, die um von den hiermit verbundenen Mengeneffekten zu profitieren. Ein spät entdeckter Fehler im einem Baukastenmodul könnte dadurch zu millionenfachen Fahrzeugrückrufen führen.

Rückrufe: Teuer und schlecht für das Image

Studienleiter Stefan Bratzel ist der Meinung, einige Probleme würden künftig deutlich relevanter sein: „Die hohen Rückrufzahlen der letzten Jahre sind auch Kennzeichen des enormen Veränderungsdrucks, der auf der Branche lastet. Insgesamt ist bereits abzusehen, dass Probleme rund um das Batteriesystem sowie Softwareprobleme erheblich zunehmen werden.“

Nicht selten gleicht die Produktherstellung mancher Automobilunternehmen einer ‚Bananenentwicklung‘: Das Produkt reift erst beim Kunden.

Prof. Stefan Bratzel, CAM

Sicherheitstechnische Rückrufe seien allerdings nur die Spitze des Eisbergs: „Nicht selten gleicht die Produktherstellung mancher Automobilunternehmen einer ‚Bananenentwicklung‘: Das Produkt reift erst beim Kunden. Das verärgert vielfach die Autokäufer und kann zu Personen- und Sachschäden führen. Außerdem kostet es die Hersteller mittel- und langfristig viel Geld und schadet ihrem Image.“

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