Wirtschaft Preisdruck gegen Lieferanten: „Unter der Gürtellinie“

Autor Svenja Gelowicz

Der Ton in Preisverhandlungen zwischen Herstellern und Lieferanten ist rau. Eine Studie hat den Preisdruck auf die Zulieferer nun untersucht. Die Ergebnisse stellen den Einkäufern von Autoherstellern und Systemlieferanten ein schlechtes Zeugnis aus.

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Zulieferer stehen massiv unter Preisdruck.
Zulieferer stehen massiv unter Preisdruck.
(Bild: Continental)

Autohersteller und Tier-1-Zulieferer üben zunehmend Druck auf die Lieferanten aus. Die Forderungen würden immer unverschämter, der Lieferant solle das Mehrrisiko tragen, lauten Stimmen aus der Branche. Die „Schärfe im Umgang nimmt deutlich zu“, sagt Unternehmensberater Hans-Andreas Fein. Er hat zum wiederholten Mal die Marktstudie „Die Preissenkungs-Forderungen der Automobilhersteller“ durchgeführt.

Einkäufer zimmerten riesige Drohkulissen, die Atmosphäre in den Gesprächen sei „bestimmend, dominant“, „angespannt, gestresst“ oder sogar „aggressiv, drohend“, sagen insgesamt die Hälfte der von Fein befragten Lieferanten, im Stil sogar „unter der Gürtellinie“. Forderungen würden „von oben ohne Rücksicht durchgeprügelt“, zitiert die Studie aus dem Lieferantenumfeld.

Während Hersteller bereits seit 20 Jahren sukzessive den Druck erhöhten, hätten die Tier-1-Zulieferer die „systematische Drohung“ erst in den letzten zehn Jahren für sich entwickelt. Letztere, sagt Fein, sehen Nachholbedarf und setzen ihre Forderungen daher höher an, im Schnitt bei gut vier Prozent Rabatt. Und: Volumenhersteller wie VW, Opel oder Ford waren laut des Studienautors aggressiver als Premiumhersteller wie Audi, Daimler, BMW oder Volvo.

Zulieferer in Vorleistung

Das liegt laut Fein vor allem daran, dass die Premium-OEMs zuletzt häufig bei den Lieferanten anklopfen und um höhere Kapazitäten bitten mussten, vor allem um ihre Flut an SUVs fertigen zu können. Die hohen Vorlaufkosten und Investitionen für die Automobilzulieferer hielten daher einige Einkäufer von zu harten Preiskämpfen ab.

Der Einkäufer versucht auf allen Ebenen dem Zulieferer mit vermeintlichen Fakten nachzuweisen, dass er nicht gut genug gearbeitet hat.

Den Preishebel setzen demnach am häufigsten BMW, Mercedes-Benz und Bosch an, gefolgt von VW, Conti und Brose. Insgesamt lag die Forderung der Einkäufer für das Jahr 2019 mit durchschnittlich Minus 3,6 Prozent knapp unter dem Vorjahr. Generell liege der Druck über die letzten Jahre hinweg stabil auf einem hohen Niveau.

Die häufigsten Anlässe für Preisverhandlungen sind laut der Studie die Jahresverträge („JAVE“) für Serienteile. Knapp 30 Prozent berichten von Forderungen für niedrigere Preise von zwei- bis dreimal jährlich, knapp 20 Prozent sogar von vier- bis fünf Anlässen. Ein Drittel der Befragten wurde mit den Sparprogrammen konfrontiert, mit denen die großen Autohersteller gerade die Gürtel enger schnallen.

Droh-Strategien: China, Indien, Kostenkalkulation

Die liebste Strategie der Einkäufer ist laut der Erhebung ein günstigeres Zweitangebot. Bis vor wenigen Jahren sei es noch unüblich gewesen, Preise aus Fernost als Druckmittel vorzulegen. „China wurde in China und Europa in Europa verhandelt“, sagt Fein, doch mittlerweile sei es Standard, einen Billigheimer zu präsentieren. „Das macht vielen Zulieferern Angst“. Nicht nur die Konkurrenz aus China, sondern zunehmend auch die aus Indien landete demnach auf dem Verhandlungstisch.

Die zweithäufigste Methode sei die Aufforderung, die Kalkulation offenzulegen. Diese „Open Books“ haben 51 Prozent der befragten Lieferanten abgelehnt. Mit einer Referenzkalkulation des Kunden wurde nur einer der Befragten konfrontiert. „Der Einkäufer versucht auf allen Ebenen dem Zulieferer mit vermeintlichen Fakten nachzuweisen, dass er nicht gut genug gearbeitet hat. Mit diesem „Cost Break Down“ will man den Verhandlungsführer der Gegenseite maximal unter Druck setzen“, sagt Fein.

Schaut man wiederum auf die Lieferanten, so zeigen die Ergebnisse der Studie, dass Argumente wie gestiegene Personalkosten, Rohstoffpreise, Energiekosten oder die Gesamtsituation kaum oder nur wenig Gewicht haben. Allerdings: Bei Zulieferern mit hohem Materialanteil würden Materialpreiserhöhungen durchaus auf Akzeptanz stoßen. Auch Vorlauf- und Prozesskosten stoßen häufiger auf Verständnis. Vorleistungen schlagen insgesamt am häufigsten im Werkzeugbau, Engineering und bei Prototypen ins Gewicht.

Nur zahnlose Tiger?

Doch diese Drohgebärden am Ende durchzusetzen, also Aufträge nach China oder Indien zu verlagern, sei letztendlich strategisch für Einkäufer völlig uninteressant. Zum einen will man einen chinesischen Zulieferer, der schon aufgrund seiner großen Volumina im Reich der Mitte mächtig ist, kein Europa-Kontingent und damit eine noch größere Dominanz geben. Das Risiko einer Abhängigkeit sei zu groß. Und schließlich lebe das System des Preisdrucks von mehreren Optionen.

Und dann ist da noch der Knackpunkt, dass der Lieferant die komplexe Aufgabe auch stemmen können muss. Die Anforderungen seien hoch, dass könnten viele der Unternehmen aus Niedriglohnländern nicht leisten. „Der Preis entscheidet nicht, solange er im Marktniveau liegt. Durch Druckmethoden wird aber den Zulieferern vermittelt, dass es nur um den Preis geht“, sagt Unternehmensberater Fein.

Über die Studie

1997 entwickelten die Automotive-Analysten von IRN, Inc. in Grand Rapids/Michigan diese Marktuntersuchung, um die Preissenkungs-Forderungen der US-Autohersteller zu analysieren. Die Studie wurde in Nord-Amerika über 20 Jahre hinweg regelmäßig durchgeführt. Seit dem Jahr 2002 läuft diese Untersuchung durch die Unternehmensberatung Hans-Andreas Fein auch in Europa, mit Fokus auf die besonderen Forderungen der europäischen OEMs. Für die Studie 2019 hat die Beratung 47 Fragebögen ausgewertet. Insgesamt wurden 639 Automobil-Zulieferer angefragt. Der Rücklauf beträgt damit sieben Prozent. Angesichts der „hohen Vertraulichkeit“ habe die Auswertung der 47 Antworten dennoch ein „besonderes Gewicht“, schreiben die Autoren der Studie.

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