Verbindungstechnik Qualitätssicherung in der Schraubtechnik

Von Stefan Graf Lesedauer: 8 min |

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Für Montage und Qualitätssicherung in der Schraubtechnik stehen viele Neuerungen an. Was das konkret bedeutet, erklärt Markus Fischer, Director Technical Compliance bei SCS Concept Deutschland.

Verschraubungen beeinflussen direkt die Qualität von Produkten. Entsprechend sorgfältig sollten Unternehmen mit dem Normenmanagement dazu umgehen.
Verschraubungen beeinflussen direkt die Qualität von Produkten. Entsprechend sorgfältig sollten Unternehmen mit dem Normenmanagement dazu umgehen.
(Bild: Stefan Hanke/BMW)

Herr Fischer, was bedeutet die Veröffentlichung neuer Normen und Vorschriften für die Industrie?

Grundsätzlich tangieren neue Normen in der Schraubtechnik die gesamte Industrieproduktion über alle Branchen hinweg. Es sollte deshalb ein hohes Informationsbedürfnis bei allen Verantwortlichen bestehen. Die Anwendung von technischen Regelwerken bedarf auf jeden Fall des qualifizierten Lesers. Das ist und war für alte wie neue technische Regeln sehr wichtig – und ist gleichzeitig einer der größten Fallstricke. Während bei anderen Fügeverfahren eine ausgiebige und weitgreifende sowie wiederkehrende Qualifikation in allen Ebenen und Bereichen bereits Normalität ist, stellt sich das in der Schraubtechnik – verrückter Weise – noch immer anders dar. Das heißt aber auch, dass diese neuen Richtlinien beziehungsweise Überarbeitungen sicherlich für viel Arbeit in nahezu allen Industrieunternehmen führen werden, die Schrauben nutzen.

Wie sollten die Unternehmen mit den Neuerungen umgehen?

Normenmanagement ist essentiell im Zusammenhang mit CE oder Produkthaftung allgemein. Dabei reicht es eben bei weitem nicht aus, neue technische Regeln im Unternehmen vorliegen zu haben. Vielmehr ist es unter anderem nötig, dass benannte und qualifizierte Personen die Auswirkungen dieser Werke auf ihre Fertigung beziehungsweise Produkte analysieren, entsprechende Maßnahmen einleiten und intern kommunizieren.

Das A und O bleibt damit die Qualifikation – und hier gibt es ja seit über einem Jahr auch kompetente Hilfe mit dem Verband für Qualifikation und Wissenstransfer in der Schraubtechnik, in Kooperation mit VDI sowie der Vogel Communications Group – und in Abstimmung mit dem Deutschen Schraubenverband. Letzterer ist sozusagen die Speerspitze und Vorzeigeprojekt für Top-Ausbildung um die Schraube: mit der nun über zehn Jahre existierenden Ausbildung zum Schraubfachingenieur und -techniker.

Markus Fischer ist Director Technical Compliance bei der SCS Concept Deutschland GmbH.
Markus Fischer ist Director Technical Compliance bei der SCS Concept Deutschland GmbH.
(Bild: SCS Concept Deutschland GmbH)

Was sehen sie bei Umsetzbarkeit und Sinnhaftigkeit der neuen Normen kritisch?

Dem Vorurteil, dass Normen und Richtlinien sich angeblich häufiger widersprechen oder nicht gut abgestimmt seien, sind wir im VDI in der Schraubtechnik mit enormem Arbeitseinsatz entgegengetreten. Als Liaison-Ingenieur für die meisten national und international übergreifenden Normentätigkeiten kann ich davon ein Lied singen. Wir glauben aber daran, dass es richtig und nötig ist dies zu tun, um die Technik voranzubringen und Hemmnisse abzubauen.

Auch die kontinuierliche Arbeit an einem einheitlichen Deutsch-Englischen Glossar für die Schraubtechnik soll den Anwendern zugutekommen und wird in unregelmäßigen Abständen vom VDI kostenfrei veröffentlicht. Wir haben zudem in den aktuellen Richtlinien die Anteile an Erklärungen und Beschreibungen weiter erhöht. Sprich: Es wird viel getan – und ich bin vielleicht auch daher der Falsche, wenn man mich nach Kritikpunkten fragt. Kritik ist wichtig, selbst Teil der Lösung sein noch viel wichtiger.

Wer sollte sich in den Unternehmen von den neuen Normen und Vorschriften angesprochen fühlen?

Ich würde vorschlagen, dass sich zunächst einmal alle, die direkt oder indirekt mit der Schraubtechnik zu tun haben angesprochen fühlen. Denn selbst, wenn sie das Gefühl haben sollten, dass die spezifische Norm nicht direkt in ihr Aufgabengebiet fällt, gibt es sicherlich jemanden bei ihnen im Unternehmen, für den diese relevant und/oder wichtig ist. Diese sollten die Info daher doch bitte in ihre Fachbereiche weitertragen.

Worauf sollten die zuständigen Entscheider achten?

Seit über zehn Jahren gehe ich als Auditor und Berater in nahezu allen Branchen und in allen Unternehmensgrößen ein und aus – und für mich bleibt eines immer wieder hängen: Die Unternehmen müssen intern breiter und regelmäßig im Bereich Schraubtechnik qualifizieren. Nur hausinterne Kompetenz schafft Unabhängigkeit und nachhaltigen Erfolg. Dabei sind die Erfahrungen, die die Unternehmen im Bereich „Schraube“ über teils Jahrzehnte gesammelt haben, bereits bares Geld wert. Und auch künftig ein entscheidender Erfolgsfaktor, wenn die Erfahrungen mit dem aktuellen Stand der Technik abgeglichen und das Wissen auch intern verfügbar gemacht wird. Nur mit eigenen Fachleuten können sie Informationen, von Zulieferer, Dienstleistern und Kunden entsprechend hinterfragen – ansonsten müssen sie alles glauben.

Und nur weil viele etwas glauben oder es vielleicht branchenüblich ist, muss es noch lange nicht technisch richtig oder sinnvoll sein – generell sollte man also kritisch bleiben, auch bei so vermeintlich einfachen Dingen wie der Schraubtechnik.

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Welche Tipps für den praktischen Umgang können Sie geben?

Massive Veränderungen haben immer schon die Möglichkeit zum Erfolg geboten. Das Recht auf Reparatur ist eine Herausforderung, aber ich glaube, dass Deutschland und auch Europa, wie kaum eine andere Weltregion, in der Lage sein wird hieraus Vorteile zu generieren und ableiten zu können. Dieses Recht kann sehr stark auf der Anwendung von Schrauben basieren, etwa Wiederholverschraubung oder Demontierbarkeit, und wir haben glücklicherweise eine sehr starke Industrie mit oft gut ausgebildeten Anwendern. Zu beachten ist aber, dass zu diesem Zweck häufig Schraubverbindungen anders oder neu ausgelegt werden müssen.

Dasselbe gilt für den Bereich Recycling. Aber auch das Fügen unterschiedlicher Materialien geht häufig immer noch am einfachsten und gut kontrollierbar mit Schrauben. Ebenso gewinnen Themen wie Gewichtseinsparung und Miniaturisierung weiter an Raum und Potential. Bei letzterem ist der Deutsche Schraubenverband aktuell aktiv, um Anwenderleitfäden zu erarbeiten. Kleine Schrauben unter M2 verhalten sich signifikant anders als etwa die weit verbreiteten Schrauben ab M4 bis M14 oder auch Schrauben im Bereich der sogenannten Hochmomentanwendungen. Wer sich also aus der Vergangenheit in seinem „Drehmomentbereich“ sicher und wohl gefühlt hat, muss unter Umständen neue Kompetenzen erwerben.

Spielt die Digitalisierung eine Rolle?

Die Digitalisierung ist und bleibt eine große Herausforderung, auch in der industriellen Schraubmontage. Um diese aus ihrem Negativ-Image der ersten nicht produktivitätssteigernden industriellen Revolution herauszuführen, braucht es noch große Anstrengungen aller Beteiligten – sonst drohen große Risiken, wie etwa Produktivitätseinbußen und Qualitätsprobleme. Kaum eine Technologie braucht die Unterstützung von moderner Mathematik, vielleicht auch KI, mehr als die multikomplexe Schraube. Schlüssel auch hier werden die Themen Verlässlichkeit, Vergleichbarkeit und Rückführbarkeit der gesammelten Mess-Daten und der Kompetenz in den Unternehmen sein.

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Übersicht: Neue Normen und Vorschriften im Bereich Schraubverbindungen

  • Ganz neu: VDI/VDE 2645-1; „Messgerätefähigkeit - Grundlagen und Begriffe“: Mit der Veröffentlichung des Entwurfs darf Mitte nächsten Jahres gerechnet werden. Die Richtlinie bereitet die Basis für das Blatt 2 und 3 welche bereits veröffentlicht wurden und sich der Maschinen- und die Prozessfähigkeit widmen. Sie ist ein nötiger Baustein zwischen Kalibrierung und Prüfprozesseignung beziehungsweise MSA in der Schraubtechnik.
  • Überarbeitung und neuer Teil: VDI/VDE 2648 Reihe „Sensoren und Messsysteme für die Drehwinkelmessung - Anweisungen für die rückführbare Kalibrierung“: So wie die VDI/VDE 2645 Blatt 1 und 2 ist auch die VDI/VDE 2648 Serie einzigartig auf der Welt. Die 2648 Blatt 1 und 2 wurden bereits fertig überarbeitet, die Entwürfe wurden bereits im vergangenen Jahr veröffentlicht und die Einsprüche gewürdigt. Daher darf man in den kommenden Monaten mit den neuen Richtlinien in Deutsch und Englisch rechnen. Als komplett neu und sehr hilfreich darf man das Blatt VDI/VDE 2648 (ohne Nummer) betrachten, das Grundlagen und Hintergründe zum Thema vermitteln soll: www.beuth.de/de/technische-regel-entwurf/vdi-vde-dkd-2648/351657711
  • International ist die ISO/TS 17104 in der Überarbeitung – wie auf der ISO-Homepage angegeben. Hier ist es meine Aufgabe die Kommunikation und fachlichen Austausch zwischen VDI und dem Arbeitskreis sicherzustellen. Hier besteht die Besonderheit darin, dass nach der ISO/TS der VDI die technisch aktuellere VDI/VDE 2649 veröffentlichte. Der VDI hat aufgrund der Kooperation mit dem ISO zunächst auf die Überarbeitung der 2649 verzichtet und wird die Ergebnisse und Zielrichtung abwarten. Die Hoffnung besteht hier, die Normenlandschaft für Anwender zu vereinfachen.
  • Ob die ISO 5393, (www.iso.org/standard/63133.html) welche nur dem ersten Anschein nach Ähnlichkeit mit der VDI/VDE 2647 hat, dieses Jahr turnusmäßig in die Überarbeitung geht, steht aktuell bei den Mitgliedsländern noch zur Wahl. Auch hier hat der VDI seine Mitarbeit für den Fall einer Überarbeitung angeboten.
  • Ebenfalls ein wichtiger, und bisher noch nicht ausgereifter Baustein für die Qualitätssicherung in der Schraubtechnik, ist der VDA Band 5.2. Obwohl von der Automobilindustrie initiiert, ist diese technische Regel auch für andere Branchen interessant, da sie ein Thema behandelt das alle Bereiche der Schrauben betrifft. Hintergrund, ist, dass es für Messaufgaben sachlich, faktisch immer nötig ist eine Prüfprozesseignung beziehungsweise eine Messsystemanalyse nachzuweisen. Die aktuell laufende Überarbeitung des VDA 5.2 geschieht in enger Abstimmung mit unter anderem dem VDI und den Arbeitsgruppen aus VDI/VDE 2645 Blatt 1 und Blatt 3.
  • Auch neu: Die Überführung der DIN 25201 und grundsätzliche Neufassung in einer Europäischen Norm. Im Technical Committee 256 des Europäischen Komitees für Normung ist hier über die letzten Jahre mit großem Aufwand eine europäische Lösung erarbeitet worden. Den Entwurf kann man bereits heute auf der DIN-Homepage kostenfrei lesen und kommentieren oder bei den einschlägigen Normenportalen kaufen. Auch hier gab es zwischen den Organisationen und Arbeitsgruppen, dankenswerterweise regen Austausch, ganz im Sinne der Anwender.

(thg)

Zur Person Markus Fischer

Markus Fischer ist in nationalen Fachausschüssen aktiv, unter anderem VDI, DSV, in mehreren internationalen CEN und ISO-Normungsarbeitsgruppen und dem Deutschen Schraubenverband. Er ist Dozent an der Universität Dresden zum Thema Maschinen- und Prozessfähigkeit im Rahmen des Aufbaustudiums zum Schraubfachingenieur/-techniker DSV. Zudem ist er Gründungsmitglied des Verbands für Qualifikation und Wissenstransfer in der Schraubtechnik VQWS.

Seit fünf Jahren ist Fischer Teil der SCS Concept Group als Director Technical Compliance. Das privat geführte Unternehmen mit Hauptsitz in Mailand, Italien, beschäftigt etwa 180 Menschen. Die SCS Concept Group ist ein Hersteller von Prüf- & Messgeräten für die Maschinen- und Prozessfähigkeit in der Schraubtechnik, außerdem bietet sie Montagwerkzeuge, Software und Kalibrierdienstleistungen an. Neben seiner Tätigkeit führt Markus Fischer schraubtechnische Audits in Unternehmen jeglicher Industriebereiche durch.

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