Supply Chain Management Sichere Lieferketten fordern geostrategisches Denken
Die Folgen des Ukraine-Krieges sind auch in der Lieferkette drastisch spürbar. Und China wird nicht nur wegen seiner Zero-Covid-Politik zur Belastung für die europäische Industrie. Das fordert neue Formen der Analyse und des Managements, die vielen Unternehmen noch fehlen.
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Produktionsstopp bei Audi in Neckarsulm: Bei den Modellen A4 und A5 Cabrio und dem A8 ruht die Produktion vom 16. bis einschließlich 20. Mai. Das ist laut dem OEM eine direkte Auswirkung der Lieferengpässe infolge des Krieges in der Ukraine und des Lockdowns in China. Solche oder ähnliche Nachrichten wird es in den kommenden Wochen wohl noch häufiger zu lesen geben. Und schon in den vergangenen zwei Jahren hatte vor allem Corona die Supply Chain im Griff.
Die Experten von supplychainmachine.com um ihren Gründer und Chef Stefan Iskan bewerten die globalen Lieferketten nicht erst seit der Pandemie als ein höchst zerbrechliches Konstrukt. Wegen des Ukraine-Krieges und den Entwicklungen in den vergangenen Jahren ist das Management der Lieferkette demnach immer mehr als ein „geostrategisches Management“ zu verstehen.
Geopolitisch kann jetzt der europäischen Automobilindustrie der Stecker gezogen werden.
Diese Veränderung wurde aus Sicht von Iskan aber gerade in den deutschen Konzernen und Unternehmen nicht personell abgebildet – beispielsweise durch Vorstände für Supply Chain Management. Er sieht sich durch die Lieferausfälle in seiner These bestätigt, dass das Management der Supply Chain eine Kernaufgabe in den Unternehmen werden muss und nicht mehr nur eine „Support Funktion“. Für ihn ist Logistik heute Wertschöpfung.
Schlechterer Ausblick auf die Weltwirtschaft
Die Zahlen scheinen diese Perspektive zu stützen: So hat sich der Ausblick auf die Weltwirtschaft seit Januar 2022 signifikant verschlechtert. Zu diesem Zeitpunkt war jedoch der Russland-Ukraine-Krieg nicht einkalkuliert „und eine weitere Verschärfung der Zero-Covid-Politik in China sowie die Sanktionspakete gegenüber Russland“, erklärt der Experte. Hinzu kamen Fehleinschätzungen zur Auflösung der Bottlenecks in der weltweiten Seefracht.
In vermeintlichen Expertengremien habe man laut Iskan mit einer großen „Naivität“ eine Entspannung für das Frühjahr und den Sommer 2022 prognostiziert, die nun ausbleibe. Die Lieferkettenstörungen werden bis ins Jahr 2023 und darüber hinaus wirken. Und der nächste Engpass steht laut Iskan bevor: „Die Lagerhäuser laufen voll. Wir haben immer weniger Warehouse-Kapazitäten.“
Die neue Blockbildung
Der Ukraine-Krieg bringt eine Entwicklung für die Lieferkette zu Tage, die sich schon seit Jahren abzeichnet und die Stefan Iskan so formuliert: „Wir haben eine neue Blockbildung in den Supply Chains.“ Im Mittelpunkt des Interesses stehen dabei die Märkte, die sich um Chinas neue Seidenstraße-Initiative drehen. Dazu zählen Zentralasien mit den CIS-Staaten, die Türkei, Südostasien, Afrika und Lateinamerika. Iskan ergänzt dazu unter anderem noch Indien. Hier werde nach seiner Meinung auch die geopolitische Tragweite sichtbar: Es handelt sich um jene Länder, die nicht oder nicht vollumfänglich an den Wirtschaftssanktionen gegen Russland beteiligt sind.
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China Market Insider
Covid-Lockdowns lähmen Chinas Autoindustrie
Dabei hat vor allem Eurasien mit seinen geopolitisch relevanten Zukunftsmärkten das Interesse Chinas und der USA geweckt. Europa bzw. die EU stehen in diesem Fall genau inmitten der Auseinandersetzung der zwei Supermächte um den größeren Einfluss in diesen Regionen. Die zwischen China und den USA ausgefochtenen Handelskriege sind auch eine Folge dieses Konflikts und drohen laut Iskan vor allem die EU „aufzureiben“.
Die Verteuerung von Rohöl und Gas spiegelt sich auch direkt in den Fertigungskosten und der Logistik wider. Dabei könnte der Einmarsch in die Ukraine nur eine Blaupause für einen weiteren Konflikt sein, der von einem wesentlich wichtigeren Handelspartner und Absatzmarkt der hiesigen und europäischen Wirtschaft ausgeht. Gemeint sind die schon lange angeführten Besitzansprüche Chinas in Richtung Taiwan. Eine gewaltsame Annexion hätte noch größere Verwerfungen zur Folge, die nicht nur China als Partner infrage stellen würden, sondern mit Taiwan auch das Land mit der Schlüsselrolle in der globalen Halbleiter-Versorgung.
Insbesondere die Automobilindustrie hat einen permanent steigenden Bedarf an diesen elektrischen Komponenten. „Geopolitisch kann jetzt der europäischen Automobilindustrie der Stecker gezogen werden. Denn allein Taiwan mit Foxconn & Co. sind der Schlüssel zur Smart Electric Mobility und der Zukunft des Automobilbaus“, betont Iskan.
Das transatlantische Beziehungsgeflecht
Ein Szenario ohne den Absatzmarkt China hat beispielsweise Audi laut „ Manager Magazin“ schon durchgespielt. Die Ingolstädter würden den Ausstieg nach eigenen Angaben verkraften. Welche Einbußen damit verbunden sind und welche Folgen dies für die Lieferkette hätte, bleibt aber unklar. Insbesondere die Zulieferer dürfte ein Exit härter treffen.
Der Konkurrent BMW ist mit seinem Werk im amerikanischen Spartanburg schon jetzt der größte Automobilexporteur der USA und hätte somit zumindest einen gewissen Vorteil, wenn sich einstellt, was Stefan Iskan erwartet: „Insgesamt ist davon auszugehen, dass wir ein noch engeres transatlantisches Beziehungsgeflecht zwischen der EU und den USA erleben werden. Ein Geflecht, das sich in die nationale Sicherheit, Wirtschaft, Klimapolitik und das Technologie-Sharing hineinziehen wird.“
Wiederkehrende Störungen aus China
Unabhängig von den geostrategischen Überlegungen setzt China die globale Lieferkette aktuell schon einem permanenten Stresstest aus: Hintergrund ist die dort verfolgte Zero-Covid-Strategie. Diese dürfte laut Iskan zu wiederkehrenden, lokalen Lockdowns führen, was auch bei überschaubaren Infektionszahlen gravierende Einschränkungen mit sich bringt. Die Störungen der Supply Chain werden sich aus Sicht des Experten „vorerst nicht glätten lassen“.
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Lieferketten
„Wir brauchen wieder mehr Macher in Deutschland“
Betroffen seien exemplarisch neben Shanghai allen voran Changchun, Shenyang, Bejjing und auch Jiangsu, Tianjin und Hebei. „Und selbst wenn, wie in der Automobilindustrie, die OEMs und Tier-1 Supplier nicht direkt von einem Lockdown betroffen sind, so ist weiterhin mit einem reduziertem Produktions-Output zu rechnen. Das gilt über sämtliche Commodites hinweg“, so Iskan.
Vierteilige Webinarreihe zur Supply Chain
Die geostrategische Komponente der Lieferkette ist nur ein Aspekt, den Stefan Iskan in seiner vierteiligen Webinarserie unter die Lupe nimmt. Auch die Dekarbonisierung und Disruption der Supply Chain, Kapazitätsverknappungen, Mehrkostenbelastungen, die End-2-End-Schlacht zwischen Amazon und den Reederein, Outsourcing und Ausschreibungen sowie die Auswirkungen der Smart Factory sind Themenkomplexe, die der Experte gerne mit Ihnen diskutiert und zu denen er klare Handlungsempfehlungen gibt.
Melden Sie sich an und nehmen Sie am 25. Mai am zweiten Teil der Webinarreihe teil. Teil Eins können Sie sich nach der Anmeldung als Aufzeichnung ansehen.
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