Interview Simulation: „Die Potenziale werden nicht genutzt“

Autor Sven Prawitz

In der Produktentwicklung ist die Simulation mittlerweile etabliert. Dennoch gebe es noch große Potenziale, sagt ESI-Deutschlandchef Andreas Renner. Er erklärt, warum das Thema in anderen Bereichen wie Industrie 4.0 noch Nachholbedarf hat und wie der Hersteller von Simulationssoftware darauf reagiert.

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ESI-Deutschlandchef Andreas Renner: „Die Simulationen werden immer genauer, die Modelle immer präziser, detaillierter und größer“.
ESI-Deutschlandchef Andreas Renner: „Die Simulationen werden immer genauer, die Modelle immer präziser, detaillierter und größer“.
(Bild: ESI)

Herr Renner, vor 40 Jahren trat ESI mit der Crashsimulation in den deutschen Markt ein. Ist dieser mittlerweile gesättigt?

Der Markt ist keinesfalls gesättigt. Zwar ist die Crashsimulation etabliert, und es gibt kaum eine Firma, die Fahrzeuge ohne Simulation entwickelt. Jedoch werden die Simulationen immer genauer, die Modelle immer präziser, detaillierter und größer. Der Bedarf wächst ständig und die Anforderungen an die Software werden immer größer. Für komplette Fahrzeuge müssen alle Details der Sicherheitssysteme berücksichtigt werden, alle Details der Herstellungsverfahren müssen implementiert sein, und dann müssen Ergebnisse über Nacht geliefert werden. Das heißt, die Software muss hoch performant immer wieder verbessert werden. Somit steigt in den Unternehmen der Bedarf an Software stetig. Und wir haben hier noch nicht von Zero Prototyping gesprochen.

Ein wichtiger Meilenstein für ESI: Der erste virtuell durchgeführte Crash mit einem VW Polo im Jahr 1985.
Ein wichtiger Meilenstein für ESI: Der erste virtuell durchgeführte Crash mit einem VW Polo im Jahr 1985.
(Bild: Volkswagen)

In welchen Bereichen verzeichnet ESI momentan das größte Wachstum?

Aus meiner Sicht nach wie vor bei der Crashsimulation. Sicher spielt hier die persönliche Verbundenheit zu dem Thema eine Rolle und unsere Erfolge aus der Vergangenheit. Aber wir wären nicht ESI, wenn wir nicht weitere stark wachsende Bereiche in den verschiedensten Anwendungsbereichen hätten – wie VR/AR, Virtual Manufacturing oder Autonomous Driving. Diese Liste ließe sich noch weiterführen und gibt einen ersten Eindruck von unserem fast 30 Produkte umfassenden Produktportfolio. Besonders gespannt bin ich auf die Entwicklung unseres Konzeptes Hybrid Twin: Es ist die Antwort auf die immer komplexer werdenden Ansprüche an die Simulation. Das Konzept vereint die einzelnen Anwendungen und verknüpft reale Daten – und zwar in Echtzeit.

Bei Produktionsthemen sind Simulation und digitale Zwillinge noch nicht richtig im Markt angekommen. Woran hakt es?

Mit unseren Produkten wie Simulation X und deren Kopplung mit PAM-Stamp, PAM-Crash und VR sehen wir schon, dass das Thema im Markt angekommen ist. Jedoch sehen wir auch, dass die Potenziale der Simulation, gerade hinsichtlich Kosten, Qualität und Zeit, nicht umfänglich genutzt werden. Aber das ist nicht nur eine Frage der Leistungsfähigkeit der Software, sondern gerade in größeren Unternehmen eine organisatorische und strukturelle Frage. Ein entscheidendes Merkmal der Digitalisierung ist die Vernetzung. ESI hat hier ein zukunftsorientiertes Konzept entwickelt, das heute schon anwendbar ist: Hybrid Twin. Wir liefern nahezu alle Bausteine der Simulation aus einer Hand und verknüpfen zusätzlich reale Messdaten mit den Ergebnissen der Simulation.

Fehlt das Fachpersonal und generell eine Offenheit gegenüber der Simulation?

Hybrid Twin oder Digital Twin erfordern, dass Unternehmen schon viel im Bereich Industrie 4.0 implementiert haben und bei der Digitalisierung sehr weit fortgeschritten sind. Und genau das ist nur bei wenigen der Fall. Viele Bereiche arbeiten noch nicht umfänglich zusammen, und auch das Management ist oft weit von einem gesamtheitlichen Blick auf die Entwicklung entfernt. Das passiert erst in kleinen Schritten.

Wie versuchen Sie, die Kunden zu überzeugen? Über den Preis?

Auf keinen Fall über den Preis, sondern mit Argumenten und ersten Projekten, die wir gemeinsam mit den Kunden bearbeiten.

Ein bekanntes Vorurteil lautet: Nur OEMs können sich Simulationssoftware leisten.

Sicher gab es eine Zeit, in der Simulation nur bestimmten Unternehmen möglich war. Dies gehört heute der Vergangenheit an. Unsere Kunden sind neben den weltweiten OEMs auch Tier-1-Supplier oder Engineering-Dienstleister. Ich sehe aber nach wie vor eine Art Vorreiterrolle bei den OEMs, wenn es um die Entwicklung und Eröffnung neuer Möglichkeiten bei der Simulation geht. Wir als Softwareentwickler arbeiten hier eng mit den OEMs zusammen.

Qualität hat bei der Simulation oberste Priorität.

Wie ist ESI bei Thema digitale Prozesskette aufgestellt?

Unser Produktportfolio deckt das ganze Spektrum der digitalen Prozesskette ab. Mit Single Core Model arbeiten wir daran, dies durchgängig zu gewährleisten. ESI ist mit diesem Ansatz ziemlich einmalig auf dem Markt. Kein Mitbewerber hat ein vergleichbares Portfolio auf dem Markt.

Wie wichtig ist die Qualität der Simulationsumgebung für die digitale Homologation automatisierter Fahrsysteme?

Qualität hat bei der Simulation oberste Priorität. Wir sind auf diese Entwicklung vorbereitet und würden uns freuen, wenn Softwarehersteller wie wir in diesen laufenden Prozess involviert werden würden.

Gibt es hier Möglichkeiten, die Simulationssoftware zertifizieren zu lassen?

Davon bin ich überzeugt. Diese Überzeugung rührt aus den großen Entwicklungsschritten, welche die Simulation in den letzten Jahren genommen hat. Aus meiner Sicht ist die Software schon bereit dazu beziehungsweise steht kurz davor. Allerdings ist die Software die eine Seite, Vorschriften sind die andere. Denn auch diese müssen sich dem Wandel anpassen. Hier sehe ich die Verantwortung nicht alleine bei den Softwareherstellern, sondern bei allen Beteiligten.

Was braucht es, um auch in den kommenden 40 Jahren erfolgreich zu sein?

40 Jahre ist ein langer Zeitraum. Aber wenn ich die 40 Jahre ESI Deutschland rückblickend betrachte, habe wir auf die Marktanforderungen immer mit den richtigen Antworten reagiert. Mein Lieblingsbeispiel: der erste Crashtest beim VW Polo 1985. Zu diesem Zeitpunkt eigentlich noch Zukunftsmusik – aber wir haben ihn erfolgreich durchgeführt. Hinzu kommen unsere traditionellen Werte wie Kontinuität und Verlässlichkeit sowie unsere Aktivitäten hin zur „Green Company“. Das alles lässt mich für ESI sehr positiv in die Zukunft blicken. Es versetzt uns weiterhin in die Lage, kundenorientierte Lösungen anzubieten – auch die nächsten 40 Jahre.

Zur Person

Dipl.-Ing. Andreas Renner, 55, ist seit September 2011 General Manager der ESI GmbH. Seit Anfang 2014 ist er zudem in der ESI-Gruppe COO für die Regionen DACH, also Deutschland, Österreich und die Schweiz sowie Benelux. Der Luft- und Raumfahrtingenieur kam 2007 zu ESI Deutschland und bekleidete dort zunächst die Position des Director Sales and Marketing. Zuvor arbeitete er unter anderem bei MSC Software und Romax Technology.

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