Leichtbau Ultraleichtbausitz: Ergebnis neuer Partnerschaften

Autor / Redakteur: Christian Otto / Svenja Gelowicz

In nur sieben Monaten entwickelten mehrere Industriepartner eine Machbarkeitsstudie eines Ultraleichtbausitzes. Dabei waren nicht nur modernste Technologien, sondern auch schnellere Arbeitsformen gefragt. Am Ende steht ein Hardware-Prototyp für das Interieur der Zukunft.

Anbieter zum Thema

Das Ultraleichtbau-Sitzkonzept der CSI Entwicklungstechnik ist ein aktuelles Beispiel für die Innovationskraft der Engineering-Dienstleister.
Das Ultraleichtbau-Sitzkonzept der CSI Entwicklungstechnik ist ein aktuelles Beispiel für die Innovationskraft der Engineering-Dienstleister.
(Bild: CSI)

Während sich momentan beim Thema Antrieb eine Verschiebung hin zur reinen Elektromobilität abzeichnet und damit bekannte Gewerke des klassischen Antriebs künftig entfallen dürften, gibt es in anderen Fahrzeugbereichen neue Potenziale. Zum Beispiel im Fahrzeuginnenraum: Er dürfte künftig über die klassische Individualmobilität hinausgehen. Dem Sitz kommt hier eine entscheidende Rolle zu. Fahrzeugkonzepte im Bereich der Mikromobilität, People Mover oder sogenannte Flugtaxis erweitern das Einsatzfeld des Sitzes, gleichzeitig wird er komplexer. Im Wissen um die langfristig hohe Relevanz des Systems im viel zitierten Interieur der Zukunft haben sich deshalb mehrere Unternehmen zusammengefunden: Ihr Ziel war es, ein Fahrzeugsitzkonzept umzusetzen, das dieses Gewerk unter der Prämisse des Ultraleichtbaus neu denkt.

Einer der drei Initiatoren war der Engineering-Dienstleister (EDL) CSI Entwicklungstechnik. Der dortige Hauptverantwortliche für das Projekt, Stefan Herrmann, erklärt den gemeinsamen Ansatz: „Das Ziel war, auf dem weißen Blatt Papier mit neuen Technologien den Sitz ganz neu zu denken.“ Dazu zählt neben der additiven Fertigung auch die Prozesstechnik xFK in 3D.

Leichtbausitz wiegt nur zehn Kilogramm

Weitere Initiatoren sind Alba Tooling & Engineering sowie die Managementberatung AMC. In nur sieben Monaten seit August 2018 haben sie sich mit zusätzlichen Partnern daran gemacht, nicht nur theoretisch einen Ultraleichtbausitz zu denken, sondern ihn bis zum Hardware-Prototypen zu realisieren. Dabei verfolgten sie ein radikales Ziel: Heutige minimalistische Klappschalen-Sitze erreichen im allerbesten Fall ein Gewicht von zwölf Kilogramm. Häufig werden dabei auch der Sitzunterbau und Anbindungen nicht eingerechnet. Der Ultraleichtbausitz wiegt je nach Ausbaustufe etwa zehn Kilogramm (inklusive Sitzunterbau). Das entspricht einer Gewichtseinsparung von mindestens 20 Prozent.

Ein großer Vorteil, den vor allem die Initiatoren hervorheben, war die enge Abstimmung. Dabei brachte jede Partei ihr spezifisches Know-how ein. So fokussierte sich der EDL in der Runde auf das Produkt und damit neben der Idee, dem Styling und dem Konzept auf Themen wie die Berechnung und Simulation sowie die Projektsteuerung.

AMC übernahm die Projektanalyse

AMC trat ebenfalls als Ideengeber auf und übernahm die Projektanalyse. Vor allem aber trat das Unternehmen beratend zu den Themen Wickel- und Werkzeugkonzept sowie strategischer Leichtbau auf und betreute die Wertschöpfungskette für die verwendete Kerntechnik xFK in 3D. Dabei handelt es sich laut AMC um eine hochflexible, nahezu beliebig gestaltbare, günstige und nachhaltige Faserverbundtechnologie zum Wickeln von Bauteilen. Wenn die Glas-, Kohle-, Basalt- und viele weitere Naturfasern von Verbundwerkstoffen (xFK) nach den gewünschten Bauteilfunktionen und Lastkollektiven ausgerichtet und dreidimensional gefertigt werden (xFK in 3D), entstehen räumliche, ultraleichte Strukturbauteile. Die Vorteile des Verfahrens sind vieldimensional: Sie reichen von der auf die Kraft- und Spannungsaufnahme ausgelegten Faserablage bis hin zu minimalem Werkstoffverschnitt.

Alba Tooling & Engineering vereinte die Techniken

Den die Techniken vereinenden Part übernahm Alba Tooling & Engineering. Dem Unternehmen kam dabei seine Expertise im Werkzeug- und Anlagenbau sowie in der Bauteilfertigung und beim Sitz-Trim zugute. Dem finalen Schritt voraus gingen die Herstellung der xFK-in-3-D-Wickelwerkzeuge sowie weiterer Bauteile, wie beispielsweise die Faservliesmatten und Polsterteile. Auch dies verantwortete Alba Tooling & Engineering zusammen mit weiteren Partnerunternehmen.

Zu diesen zählte unter anderem Covestro. Der Hersteller für Klebrohstoffe begleitete die Entwicklung der für den Sitz verwendeten leichten Faservliesschale. Die Fasern werden dafür mit Dispercoll-Klebrohstoffen verfestigt und anschließend zu einer stabilen Fasermatte in Form der Sitzschale verpresst. Sie soll gleichermaßen mechanisch stabil und komfortabel sein.

Weitere wichtige Komponenten sind die Backpanel. Das Unternehmen 3D Core entwickelte auf Grundlage der CAD-Daten die Prototypen dieser komplexen Bauteile. Es wurden zunächst die Form-Kits entwickelt, um daraus die Preforms der beiden Backpanel zu erstellen. Mittels VA-RTM (Vacuum Assisted Resin Transfer Molding) wurden die Prototypen dieser Bauteile in einteiligen Formen von Alba Tooling & Engineering hergestellt.

3D Core konnte damit zeigen, dass es mit ihrer Technik möglich ist, mit einfachen Mitteln funktionstüchtige Composite-Bauteile alternativ zum 3-D-Druck schnell herzustellen. Die Überleitung in die Serienfertigung ist mit diesem Werkstoffsystem einfach zu bewerkstelligen.

Das Projekt entstand beim LTF 2018

Auch vom Messeveranstalter Reed Exhibitions über das Lightweight Technologies Forum (LTF), sowie den Firmen LBK und Robert Hofmann gingen wichtige Impulse für die Fertigstellung des Sitzes aus. So riefen die Initiatoren beim LTF 2018 das Projekt erst ins Leben. Deshalb freut sich auch Olaf Freier, Event Director bei Reed Exhibitions, über den erfolgreichen Verlauf: „Was im LTF als virtuelle Entwicklung begann, hat mit dem physischen Abschluss des Projektes ein bemerkenswertes Ende gefunden.“ LBK verantwortete vor allem das Wickeln des xFK-Tragestell-Prototypen.

Robert Hofmann übernahm neben der Fertigung der Sitzverkleidungsbauteile wiederum auch den Druck diverser Bauteilkonstellationen in Kunststoff und Metall, wie etwa die Wickelbuchsen für die Carbon-Wickelwerkzeuge. Die dabei angewendeten Verfahren waren beim Kunststoff selektives Lasersintern (SLS) und beim Metall selektives Lasermelting (SLM).

Leichtbau als Teamarbeit

Entscheidend für den Erfolg des Projektes war der permanente und unkomplizierte Austausch aller Beteiligten. „Natürlich knirscht es auch mal im Gebälk. Man muss mit viel Verhandlungsgeschick und Vorsicht die einzelnen Ansprüche der Partner mit einbringen“, so CSI-Manager Herrmann.

Bei Alba Tooling & Engineering war Michael Janz verantwortlich für die Koordination. Er bestätigt die besondere Qualität des Austauschs: „Wenn wir in der Konstruktion unseres Prototypensitzes Unstimmigkeiten hatten, war klar: Ein gesprochenes Wort gilt. Dies funktioniert in der automobilen Welt und vor allem in der Serienentwicklung typischerweise anders: über schriftliche Lastenhefte, Change Requests, Konstruktionsvorgaben, Materialkataloge etc. Durch die gemeinsame Flexibilität bei der Erstellung des Prototypensitzes sparten wir aber vor allem Zeit und Kosten.“

Das Ultraleichtbausitz-Konzept enthält in dieser Form beispielsweise bewusst weder Airbags noch Erkennungssysteme: „Der Sitz ist nach Abschluss unserer Prototypenphase nun mit anderen Prototypensitzen vergleichbar. Er ist aber logischerweise noch nicht, wie in der Serienentwicklung üblich, per realen Komponententests oder Gesamtsitztests auf Herz und Nieren geprüft, sprich im konventionellen Serienentwicklungsprozess validiert. Dies kann bei einer solchen Zeitschiene nicht realisiert werden. Bei der virtuellen Auslegung des Sitzes wurden die relevantesten Lastfälle in der Berechnung und Simulation durch CSI und AMC berücksichtigt. Wenn man Entwicklungszeiten im automobilen Innenraum von etwa drei Jahren mit unseren paar Monaten vergleichen will, hinkt der Vergleich natürlich.“ Doch er betont auch: „Viele andere Prototypenstudien sind deutlich länger unterwegs, bis sie als physikalisches Objekt für den Kunden mit neuesten Materialien und Technologien anfassbar sind.“

Der 3-D-Druck wird auf das Wesentliche reduziert

Der Austausch des jeweiligen Technologie-Know-hows war ein zusätzlicher Mehrwert für die Initiatoren und Partner. So ist beispielsweise CSI erstmals mit xFK in 3D in Berührung gekommen und plant nun eine weitere Intensivierung der Zusammenarbeit mit AMC über das Projekt hinaus. Alba Tooling & Engineering wiederum konnte das Thema 3-D-Druck in einem neuen Umfeld forcieren. „Wir reduzieren den 3-D-Druck auf das Wesentliche. Wir wollen also nicht das ganze Polster auf diese Weise herstellen, sondern nur Teile. Dann stellen wir einen Hybrid her und kombinieren das mit unseren anderen Verfahren. Anschließend werden die Integration und Wirtschaftlichkeit besser, weil wir einzelne Teile eines Komplettsitzes damit einbinden“, erklärt Michael Janz. Am Ende zielt das Unternehmen auf den Hybrid-3-D-Druck ab.

Anwendung des Sitzes: Hypercars und Aerospace

Derzeit wäre die Integration des Sitzes in ein Hypercar eine mögliche Option. In dieser Fahrzeugklasse würde die Gewichtsreduktion einen erheblichen Vorteil bringen. Den Schritt aus dieser Nische hält Stefan Herrmann langfristig ebenfalls für möglich. Ein Beispiel wäre die Ausweitung auf das Feld Aerospace und zwar auf die sogenannten Flugtaxis. „Beim Flugtaxi haben wir als CSI noch keine Sichtbarkeit. Aber wir können das Projekt nutzen, um eine erste Sichtbarkeit zu bekommen“, so Herrmann.

Über die Gewichtseinsparung hinaus hat das Projekt noch eine Ausbaustufe, die es langfristig für Branchenteilnehmer interessant machen könnte: So könnte laut Herrmann die Struktur des Sitzes aus Naturfasern gewickelt werden. Damit entspreche man dem Megatrend der Nachhaltigkeit. Und dass man anderen Branchenteilnehmern das Projekt vorstellen möchte, zeigt nicht nur die Präsenz auf dem diesjährigen »Automobil Industrie«-Leichtbaugipfel. Dort wird der Hardware-Prototyp erstmals der Branche gezeigt. Danach will man direkt an potenzielle Endkunden herantreten: „Wir gehen zuerst zu den OEMs, damit diese sehen, wo die Technologie herkommt. In einem zweiten Schritt präsentieren wir dann bei den Systemlieferanten. Wir wollen, dass die Technologie auf den Markt kommt. Und das geht nur über eine professionelle, konsequente und zielgerichtete Industrialisierung“, resümiert Herrmann.

(ID:45717621)