Produktionslogistik BMW: Werkslogistik vernetzt und autonom

Autor Thomas Günnel

Sort Bots, Smart Watches, Auto Trailer und autonome Ameisen: Die Sammlung von Fachbegriffen hat einen praktischen Hintergrund – die Vernetzung der Werkslogistik. Ende November zeigte BMW in Regensburg, was moderne Produktionslogistik heute schon kann – und was bald folgt.

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Vernetzung in der Produktionslogistik: BMW zeigte Ende November in Regensburg, was moderne Werkslogistik heute schon kann – z. B. einen Scanhandschuh mit integriertem Display.
Vernetzung in der Produktionslogistik: BMW zeigte Ende November in Regensburg, was moderne Werkslogistik heute schon kann – z. B. einen Scanhandschuh mit integriertem Display.
(Bild: BMW)

„Nach zwei Jahren haben wir alle einen PC bekommen“, leitete Manfred Erlacher, Werkleiter bei BMW in Regensburg, schmunzelnd die Veranstaltung ein, zu der der OEM geladen hatte. Erlacher sprach vom Produktionsstart des Werkes vor 32 Jahren und seinen Arbeitsbeginn in Regensburg. Heute erreichen das Werk mehr als 500 Lkw täglich, rund 950 Lieferanten senden ihre Teile und etwa 1.000 sogenannte KLTs, also Kleinladungsträger, werden im Lager bewegt – undenkbar ohne leistungsfähige Automatisierung.

Im Mittelpunkt dabei: Logistikroboter, autonome Transportsysteme in den Werken und Digitalisierungsprojekte für eine durchgehend vernetzte Lieferkette. Mitarbeiter können heute mit Smartphones und Tablets Logistikprozesse steuern; Virtual Reality-Anwendungen dienen als Basis, um künftige Logistikstrukturen zu planen.

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Pilotprojekte in Dingolfing

Den Warentransport innerhalb der Produktionshallen übernehmen immer öfter autonome Transportsysteme: Routenzüge und „Smart Transport Roboter“. Damit auch konventionelle Routenzüge die Montagebänder selbstständig versorgen können, entstand in einem Pilotprojekt im Werk Dingolfing ein Automatisierungskit, mit dem sich konventionelle Routenzüge unabhängig vom Hersteller in autonome Routenzüge umrüsten lassen. Diese können ihre Wege abhängig von der Lieferpriorität dynamisch planen und dabei Hindernisse umfahren, indem sie mittels Lasersignalen die Umgebung abtasten und ein Raumprofil erstellen.

Eine Smart Watch, ein weiteres Pilotprojekt, unterstützt die Logistikmitarbeiter beim Behälterwechsel und kündigt nahende Routenzüge per Vibrationsalarm an. Zusätzlich kann der Mitarbeiter ablesen, welche Behälter er entladen soll – anschließend schickt der Mitarbeiter den Routenzug per Displayberührung zu seinem nächsten Ziel. Rund 20 solcher Routenzüge will der Automobilhersteller ab dem Jahr 2019 in Dingolfing einsetzen.

Navigation ohne fest installierte Sender

Um Rollcontainer auf Logistikflächen innerhalb der Produktionshallen zu bewegen, hat BMW schon 2015 gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik die ersten selbstfahrenden „Smart Transport Robots“ (STR) entwickelt. Die zweite Generation dieser Roboter ist in Regensburg „im Dienst“.

Die flachen Roboter tragen Rollcontainer bis zu einer Tonne Gewicht und transportieren diese autonom zum Bestimmungsort der Ware. Dabei berechnen sie die ideale Route selbstständig und bewegen sich frei im Raum. Das neue Navigationsverfahren „SLAM“ (Simultaneous Localisation and Mapping) kommt ohne fest installierte Navigationssender in Gebäuden aus. Um besonders eilige Lieferungen kümmert sich der „miniSTR“ – der seine Route ebenfalls selbstständig erstellt und KLTs bis zu 50 Kilogramm Gewicht trägt.

Roboter be- und entladen Container

Wie aber kommen die Waren in die Container und Behälter? Auch diese Aufgabe übernehmen künftig Roboter, vier Typen testet BMW derzeit. Stationär eingesetzte „Split Bots“ nehmen im Wareneingang volle Kunststoffboxen von der Palette und platzieren sie auf eine Fördertechnik, die die Boxen in ein Lager transportiert. Dabei richtet der Roboter die Behälter für die automatisierte Einlagerung korrekt aus. Bis zu 450 unterschiedliche Behälter kann der Roboter mittels künstlicher Intelligenz erkennen und verarbeiten. Nach erfolgreichem Abschluss des Testbetriebs sollen die Split Bots ab 2019 im Werk Dingolfing in der Serienfertigung arbeiten.

Im Lager arbeitet ein weiterer mechanischer Helfer, der „Pick Bot“. Er stellt Kleinteile aus entsprechenden Bereitstellungsregalen zusammen. Eine selbstentwickelte und -trainierte künstliche Intelligenz erkennt die Teile; anschließend berechnet der Pick Bot den richtigen Greifpunkt. Langfristig soll er bis zu 50.000 Kleinteile erkennen und bedienen können. Wenn alles klappt wie geplant, kommt der Roboter ab 2019 in Leipzig zum Einsatz – wo heute schon sein „Kollege“, der „Sort Bot“ Leergutbehälter auf Paletten stapelt, bevor sie wieder in den Umlauf gehen.

Der fahrbare „Place Bot“ arbeitet direkt am Band: Er entlädt Routenzüge und stellt die mit Ware bestückten Kisten in das Regal. Dabei klassifiziert er sie mithilfe eines Bilderkennungssystems und ermittelt mit Sensoren, Kamera und künstlicher Intelligenz den idealen Greifpunkt. Zudem kann er sich in einem zuvor festgelegten Bereich autonom bewegen.

Papierlose Label und Augmented-Reality-Brillen

Damit die im Umlauf befindlichen Behälter eindeutig identifizierbar sind, verfügen sie über Label, die ihre wichtigsten Daten tragen. „Bei rund 300.000 täglich umgeschlagenen Behältern in der gesamten Gruppe war der Wasserverbrauch für die Herstellung der Label sehr hoch. Deshalb stellen wir auf papierlose Label um“, erklärt Marco Prüglmeier, Leiter Innovation und Industrie 4.0 bei BMW. „Die Label ähneln denen, die wir aus Supermärkten kennen und die veränderliche Inhalte darstellen können.

Mittels Scanhandschuhen lesen die Mitarbeiter die elektronischen Etiketten aus und erfahren auf kleinen, am Arm tragbaren Displays den Inhalt des Kleinladungsträgers und ob der Inhalt in Ordnung ist oder zum Beispiel einer starken Erschütterung ausgesetzt war.“ Eine Augmented-Reality-Brille unterstützt dabei, Bauteile in der richtigen Reihenfolge zu sortieren. Dabei sieht der Mitarbeiter im Sichtfeld der Datenbrille, welches Bauteil in welches Regalfach gehört; korrekte Arbeitsschritte werden in Grün bestätigt, Fehler optisch hervorgehoben.

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Logistikflächen virtuell planen

Die virtuelle Realität spielt aber noch an anderer Stelle eine Rolle: bei der Ausplanung von Logistikflächen. Basierend auf dreidimensionalen Daten, die die realen Strukturen einer Logistikhalle abbilden, können Planer in der virtuellen Umgebung künftige Logistikflächen komplett ausarbeiten und beispielsweise den Platzbedarf beurteilen. Die von bestehenden Hallen erfassten Daten beschreiben die Infrastruktur bis auf wenige Millimeter genau. Bei der Planung der Logistikflächen kombinieren die Planer vorhandene Daten mit einer virtuellen „Bibliothek“, die Regale, Gitterboxen, Kleinladungsträger und rund 50 weitere besonders gebräuchliche Betriebsmittel enthält.

In der virtuellen Umgebung lassen sich Logistikstrukturen und -flächen auswählen, platzieren, bewegen und entfernen, außerdem sind Abstände und Flächen vermessbar. Mehrere Planer können unabhängig vom Standort, gleichzeitig an derselben Flächengestaltung arbeiten.

Lkw-Trailer autonom rangieren

Ganz real findet derzeit im Leipziger Werk ein Test eines Outdoor-Transportroboters statt, der Lkw-Anhänger selbstständig vom Stellplatz zur Ent- und Beladestation im Werk bringt. Dabei fährt eine mobile Plattform unter den Auflieger, koppelt diesen an und rangiert ihn durch das Werk. Der Roboter hebt den Trailer dabei so hoch, dass die Stützen des Trailers ausgeklappt bleiben können. Der sogenannte „Auto Trailer“ kann bis zu 30 Tonnen tragen und steuert mittels Lasernavigation und ohne zusätzliche Leitlinien oder Markierungen durch den Außenbereich des Werks.

Sensoren und Kameras erfassen dabei die gesamte Umgebung – auch hinter dem Trailer. Ab kommendem Jahr soll der Auto Trailer in Leipzig regulär in Betrieb gehen. Kleinere, autonome Transportsysteme sind ebenfalls angedacht: Sie können bis zu 20 Gitterboxen mit Bauteilen zwischen Hallen transportieren und bis zu 25 Tonnen tragen. Erste Tests sollen im Frühjahr 2019 in Dingolfing stattfinden, im chinesischen Shenyang und in Berlin will BMW die „Auto Boxes“ 2019 einführen.

Autonome Ameisen

Und was hat es mit den autonomen Ameisen auf sich? Der Karosseriebau in Regensburg hat in den vergangenen zwölf Monaten diese „Ameisen“ genannten Hubwagen erfolgreich als autonome Varianten pilotiert. Sie bringen Bauteile an den entsprechenden Verbauort. Ihr Sicherheitskonzept umfasst Personenschutz, Objektumfahrung und Schnittstellen zu anderen automatischen Flurförderfahrzeugen – um sich besonders an Kreuzungen nicht in die Quere zu kommen. Künftig sollen in Summe acht autonome Ameisen weitere Bereiche der Serienproduktion beliefern.

Kommunikationsstandard für autonome Systeme

Um alle autonomen Transportsysteme zu koordinieren, verwendet BMW eine cloudbasierte Betriebsplattform. Dort geben Mitarbeiter Fahrregeln und Arbeitsabläufe ein und erhalten aktuelle Daten über alle Fahrzeuge. Künftig soll die Plattform autonome Transportfahrzeuge unterschiedlicher Hersteller unterstützen; der Automobilhersteller wirbt dafür zum Beispiel im Verband der Automobilindustrie (VDA) und im Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) für einen Kommunikations-Standard aller am Markt verfügbaren autonomen Transportsysteme.

Das alles soll eine effizientere Logistik auf dem Werksgelände ermöglichen. Dem Lieferantennetzwerk gehören aber noch mehr Unternehmen an, Zulieferer und Logistikdienstleister. Seit Mitte 2018 sind mehrere hundert Lieferanten und Transportdienstleister in Europa und Mexiko in das Programm „Connected Supply Chain (CSC)“ integriert, das die Basis legt für „Predictive Analytics“ und „Artifical Intelligence“ in der Supply Chain-Steuerung.

Die Materialsteuerer und Logistiker in den Werken erhalten im Programm im 15-Minuten-Takt Aktualisierungen dazu, wo sich welche Ware befindet und ob sie pünktlich ankommen wird. Dafür sind die mit GPS-Daten verknüpften Materialnummern und die realen Ankunftszeiten hinterlegt. Bis Ende 2019 sollen mehrere tausend Partner am System angebunden sein.

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