Klassische Fahrzeuge Restaurieren mit kriminalistischen Methoden

Autor / Redakteur: Wolfgang Gomoll / Thomas Günnel |

Gundula Tutt päppelt Oldtimer auf, ohne ihre historische Substanz zu übertünchen. Mit kriminalistischen Methoden erhalten die Fahrzeuge so ihre originale Anmutung zurück.

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Oldtimer sind im Trend. Gundula Tutt päppelt sie wieder auf, ohne ihre historische Substanz zu übertünchen – teilweise mit filmreifen Methoden.
Oldtimer sind im Trend. Gundula Tutt päppelt sie wieder auf, ohne ihre historische Substanz zu übertünchen – teilweise mit filmreifen Methoden.
(Bild: Gundula Tutt)

Jedes Fahrzeug ist für Gundula Tutt ein neuer, spannender Fall. Unter den Lackschichten der historischen Karosserien verbergen sich oft interessante Geheimnisse, denen sie auf den Grund gehen will. Kein Wunder also, dass das Büro der Diplom-Restauratorin auch in jedem Forensik-Krimi als Kulisse dienen könnte. Ein Mikroskop steht auf einem schlichten Tisch und die Regale dahinter sind vollgepackt mit Ordnern und jeder Menge Reagenzgläsern. „Fast 600“, schmunzelt die Oldtimer-Restauratorin. Reagenzgläser sind die Datenbank, unerlässlich für die Arbeit der Frau mit den wachen Augen hinter den runden Brillengläsern. In den meisten Behältern befinden sich Lackreste alter Autos, aber auch Spuren von Polsterungen oder Reste von Lederbezügen. Dieses Wissen, diese Erfahrung, hilft Gundula Tutt dabei, alte Lacke und Cockpits wiederherzustellen und vor allem Fälschungen zu erkennen.

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Geduld und Geschick sind nötig

Der Job der promovierten Restauratorin ist es, Oldtimer-Lack aufzupäppeln und die wertvollen Automobile für die Zukunft zu konservieren. Wer jetzt ein „wie neu“ lackiertes und blank poliertes Fahrzeug erwartet, wird bitter enttäuscht. Patina ist „in“. Der Zahn der Zeit hat an dem Lack genagt und das sollen die Bewunderer des Oldtimers auch sehen dürfen. Die rollenden Preziosen sollen nicht mehr aussehen wie aus dem Ei gepellt. Es geht um Erhaltung und Konservierung der historischen Farbsubstanz und natürlich auch des Bleches darunter. Wenn der Lack aufplatzt, dann könnte das Metall zu rosten anfangen. Ein Albtraum für jeden, der für seinen Wunschtraum mehrere Hunderttausend Euro hinlegt. Die feine Arbeit erfordert viel Fingerspitzengefühl, Erfahrung und Durchhaltevermögen. Das war schon im Studium gefragt, als Tutt stundenlang mit sicherer Hand die Farbschichten von alten Bildern entfernte, um den Gemälden auf den Grund zu gehen – im wahrsten Sinne des Wortes. „Um diese Arbeit zu machen, sind eine gewisse Demut und Einfühlungsvermögen nötig, man muss Ideen eines anderen, nämlich des ursprünglichen Herstellers und Handwerkers, annehmen und quasi in seine Intentionen eintauchen“, erklärt die Restauratorin.

Neben dieser empathischen Komponente sind handfeste wissenschaftliche und handwerkliche Fertigkeiten nötig. Mit der Infrarotspektroskopie, einem Teilgebiet der Spektroskopie, das die Wechselwirkung elektromagnetischer Strahlung aus dem infraroten Spektralbereich untersucht, wird der Farbcode des Autos entschlüsselt. Diese Methode kommt auch in der Kunstgeschichte bei der Restauration alter Gemälde zum Einsatz und half Tutt bei der Analyse von Farbproben eines Egger-Lohner C2 Porsche, Baujahr 1898, der im Porsche-Museum in Stuttgart steht.

Kreative Ansätze

Einen Lack zu erhalten ist deutlich aufwendiger, als die Farbe neu anzumischen und das Auto damit zu lackieren. Damit die originale Substanz auch möglichst umfangreich erhalten bleibt, greift die Restauratorin zu kreativen Mitteln. Lackstücke werden mit Klebenadeln oder mit einem Bügeleisen wieder fixiert. Für diese diffizile Arbeit an der jahrzehntealten Farbschicht ist neben viel Erfahrung jede Menge Geschick nötig. Die exakten Handbewegungen gleichen denen eines versierten Chirurgen. Dass so ein Bugatti oder alter Alfa Romeo nicht antiseptisch sind, spürt Gundula Tutt oft genug am eigenen Leib. Mehr als einmal hat sie sich an scharfen Blechen die Haut aufgeritzt, wenn sie an schwer erreichbaren Stellen hantiert. Nach der Analyse des Lackes kommt die eigentliche Arbeit: Für das Anmischen verwendet Gundula Tutt eine selbst entworfene Farbmischmaschine. Auf die Frage, was das Geheimnis hinter dieser Apparatur ist, antwortet sie mit einem freundlichen Lächeln: „Sorry, Betriebsgeheimnis.“ Der Weg zu diesem Know-how kam nicht über Nacht. Eines der ersten Projekte war ein Bugatti T43, bei dem der Lack von der Zeit gezeichnet war, der Boden der Karosserie gefehlt hat und die Innenausstattung beschädigt war. „Damals war ich etwa sechs Wochen unter Hochspannung und habe nachts teilweise sogar von der Arbeit an dem Auto geträumt“, erzählt Gundula Tutt.

Als die Restauratorin unterschiedliche Sattler abklapperte, um die Innenausstattung mit Rosshaar und Stahlfedern, aber ohne Kleber und Tackerklammern wieder in Schuss zu bringen, erntete sie verständnisloses Kopfschütteln. „Die haben mich angeschaut, als wäre ich geistesgestört“, lacht sie heute. Abhilfe schaffte das Buch „Polsterlehrgang“ aus dem Jahr 1950. Mit dieser Anleitung zum Selbermachen brachte Gundula Tutt das Interieur in Eigenregie wieder auf Vordermann. Sogar das Leder färbte sie selbst und nutzte dazu ein Rezept aus den 1930er Jahren. Das Lackieren kleiner Flächen erledigte Tutt mit einer Airbrushanlage, für die großen „Baustellen“ fand sie einen Lackierer, der das Handwerk mit den alten Farben nach ihren Vorgaben hinbekam. Heute verfügt Gundula Tutt über ein funktionierendes Netzwerk, das ihr einige Aufgaben abnimmt.

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Arbeiten wie im Krimi

Um die automobilen Preziosen wieder schick zu machen, sind intensive Untersuchungen des Lacks notwendig. Schließlich geht es zunächst darum, den Original-Lack zu identifizieren. Der verbirgt sich manchmal unter mehreren Schichten und bisweilen stellt sich heraus, dass der angebliche Originallack eine Überlackierung darstellt. Um die entsprechende Schicht herauszufinden, helfen Lichtquellen. Die Fans der CSI-Serien kennen das Prozedere, wenn die Ermittler die zu untersuchenden Flächen mit verschiedenfarbigen Lichtquellen beleuchten und mit den passenden Filtern die Farbübergänge sichtbar machen. Das Mikroskop kommt zum Einsatz, um anhand der Zellen die Holzart der Fahrzeugaufbauten zu identifizieren. „Auf diese Weise konnte ich an einigen nie bearbeiteten Fahrzeugen nachweisen, dass im Karosseriebau früher beileibe nicht 'alles Esche' war“, erklärt die Restauratorin. Gundula Tutts Expertise ist mittlerweile weltweit gefragt. Die Restauratorin ist ein Teil der Arbeitsgruppe der Fédération Internationale des Véhicules Anciens (FIVA), die die Charta von Turin verfasst hat. Diese fasst die Leitsätze für Nutzung, Unterhalt, Konservierung, Restaurierung und Reparatur von historischen Fahrzeugen zusammen.

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