Fahrbericht Lotus Emira: Das Beste zum Schluss
Mit dem finanziellen Dünger des chinesischen Giganten Geely gedeiht der britische Sportwagenhersteller Lotus wieder zu voller Blüte. Bevor die Briten vollends zur E-Marke werden, leisten sie sich mit dem Emira noch einmal einen Sportler nach alter Väter Sitte.

Eines muss man den Engländern ja lassen, oder besser den Engländerinnen. Sie haben einen langen Atem. Queen Elizabeth hat gerade ihr 70. Thronjubiläum gefeiert und bei Lotus sind Modelle wie Elise oder Evora länger produziert worden, als sich die jeweiligen Premier Minister der Zeit im Amt halten konnten. Entsprechend viel Beachtung verdient ein neues Modell aus Hethel. Erst recht, wenn es das letzte seiner Art ist.
Denn bevor die Leichtathleten von Lotus sich vollends ins Abenteuer der Akku-Autos stürzen, nutzen sie die kräftige Finanzspritze der chinesischen Geely-Gruppe für einen letzten konventionellen Sportwagen, der als Emira kurz nach den Sommerferien gleichermaßen die selige Elise wie den stets unterschätzen Evora beerben soll. Die Preise beginnen anfangs bei 96.000 Euro für die üppig ausstaffierte „First Edition“, werden aber mit abgespeckter Ausstattung und einem kleineren Motor mittelfristig wohl deutlich unter 90.000 Euro fallen.
Macht innen wie außen viel her
Dafür gibt es einen 4,4-Meter-langen und 1,2-Meter-flachen Zweisitzer, der schon auf den ersten Blick deutlich mehr hermacht als Konkurrenten wie der Porsche Cayman oder gar der Toyota Supra. Denn gezeichnet mit den gleichen schnellen Linien wie das elektrische Hyper-Car Eviya fängt der Emira mehr Blicke als alle anderen Halbstarken auf der Überholspur. Und der Augenschmaus hört nach dem Einsteigen nicht auf.
Neben einem schmucken Cockpit und einer zum ersten Mal augenscheinlich ebenso liebevoll wie hochwertig ausgeschlagenen Kabine blitzt hinter den Sitzen das blanke Blech des 3,5-Liter-großen V6-Motors und verzückt mit dem Klicken seiner Drosselklappe. Obwohl dem Emira eigentlich nicht viele Autos ernsthaft auf die Pelle rücken können, hat man den Blick deshalb ständig im Rückspiegel und begeistert sich am verführerischen Spiel der Feinmechanik.
V-max: 290 km/h
Aufgebaut auf einer völlig neuen Plattform, hat der Emira das klassischste aller Sportwagen-Layouts mit dem Motor vor und dem Antrieb an der Hinterachse und dazwischen einem Getriebe, das in diesem Falle von Hand geführt wird und so knackig ist wie Kettle-Chips frisch aus der Tüte.
Weil der Emira zudem wie jeder Lotus dem Leichtbau verpflichtet ist und deshalb kaum 1.400 Kilo auf die Waage bringt, ist er entsprechend agil: 400 PS und 420 Newtonmeter reichen dem wie schon beim Evora eingekauften 3,5-Liter-Kompressor für einen Spurt von 0 auf 100 in 4,3 Sekunden und für Tempo 290, und der für 2023 angekündigte Vierzylinder von AMG wird mit seinen 365 PS und ein paar Zentnern weniger kaum langsamer sein.
Vor allem aber reicht der Motor für heftiges Herzrasen, das mit dem Druck auf dem unter einer Klappe verborgenen Startknopf beginnt und sich erst langsam wieder legt, wenn beim Weggehen der letzte Blick auf die kühne Kehrseite und den unter Glas drapierten Motor fällt, während darüber die Luft flirrt und in den Ohren und darunter der Auspuff oder die Bremsen beim Auskühlen knacken.
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Emira im Sport-Modus
Dazwischen ist der Emira Emotion pur. Ja, man kann das Coupé auch über die Autobahn fahren oder wie einen Gran Turismo an der langen Leine über weit geschwungene Landstraßen führen, genau wie man sich im Steakhouse auch nur mit einem Salat begnügen kann. Oder aber man nimmt, um im Bild zu bleiben, ein solides T-Bone und bestellt das maximal medium. So, wie das dem Gourmet auf der Zunge zergeht, so fühlt sich der Emira an, wenn man in den Sport-Modus wechselt und es wissen will auf den B-Roads der Cotswolds.
Die Lenkung präzise und direkt, das Fahrwerk stramm, die Bremsen bissig und im Nacken eine Drehorgel, die mächtig Mumm hat. So verschlingt der Emira Kehre um Kehre, stürmt über die Kuppen und jagt über die wenigen Geraden und der Fahrer wird zum Nimmersatt. Denn an Aufhören ist da nicht zu denken. Eher an einen Nachschlag, idealweise „rare“, also auf der Rennstrecke, mit dem Setting im Track-Mode, mit noch mehr Schärfe und Appetit auf Kurven.
Mit schlüssellosem Zugangssystem
Leicht, kompromisslos und gierig nach Gas – zwar folgt der Emira in vielerlei Hinsicht den klassischen Lotus-Tugenden, überrascht aber zugleich mit ein paar ungewöhnlich alltäglichen und andernorts selbstverständlichen Neuerungen: So gibt es diesmal nicht nur einen halbwegs ordentlichen, 150-Liter-großen Kofferraum hinter dem mittig montierten Motor und 200 Liter Ablage hinter den Sitzen, sondern sogar Platz für Getränke in den Türen.
Und wo bei der Elise bei der Premiere vor 25 Jahren selbst das Radio eine Option war, haben die Briten nun digitale Instrumente samt Touchscreen-Infotainment und Komfortfeatures wie ein schlüsselloses Zugangssystem zu bieten. Selbst einen Tempomaten mit Abstandsregelung baut Lotus neuerdings ein. Und vor allem erlauben die spürbar größeren Türen nun einen menschenwürdigen Einstieg ohne gymnastische Verrenkungen.
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Nach Emira nur noch E-Modelle
Natürlich mischt sich in die Begeisterung für den Emira ein bisschen Wehmut. Auch wenn er vielleicht der bislang beste Lotus ist, wird er der letzte seiner Art sein. Denn nach ihm kommen nur noch E-Modelle, darunter erstmals ein SUV. Und die sind nicht nur keine Sportwagen, sondern obendrein wegen ihrer Batterien notirisch übergewichtig.
Doch es bleibt ein Trost: Engländer haben einen langen Atem. Und wenn der beim Emira nur halb so lange hält wie bei der Elise, werden wir uns noch bis weit ins nächste Jahrzehnt am letzten Lotus seiner Art erfreuen können.
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