Zulieferer Mike Peters: „Ohne 5G funktioniert Level 3 nicht“

Autor Sven Prawitz

Mike Peters leitet den Geschäftsbereich „Connected Car Division“ von Harman. Im Interview erklärt er, wieso er 5G mehr Potenzial zuschreibt als WLAN-p.

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Dr.-Ing. Mike Peters ist bei Harman Executive Vice President und President der Connected Car Division.
Dr.-Ing. Mike Peters ist bei Harman Executive Vice President und President der Connected Car Division.
(Bild: Harman)

Auf der CES in Las Vegas kündigte BMW-Vorstand und Entwicklungschef Klaus Fröhlich eine Kooperation mit Samsung an. Dazu gehört eine neue Generation Head-Units, die die Samsung-Tochter Harman entwickeln soll. Zudem soll der „iNext“ mit 5-G-Technik ausgerüstet werden. Auch hier kommen die wichtigen Komponenten von Harman.

Herr Peters, Harman entwickelt eine neue Telematikeinheit für BMW. Was ist anders?

Bei der Entwicklung der nächsten Generation ist auch Samsung involviert. Die neue Telematik bekommt eine 5-G-Einheit. Dies ist der erste Einsatz der 5-G-Technologie in einem Telematik-/Automobilumfeld. BMW wird der erste Hersteller sein, der entsprechend ausgestattete Fahrzeuge auf den Markt bringt. Für uns ist das ein Leuchtturmprojekt.

Warum braucht es 5-G-Technik im Telematik-Bereich?

Im 5-G-Netz sind die Zellen kleiner und es wird weniger Sendeleistung benötigt. Dadurch wird es einfacher, viele Zellen in einem bestimmten Gebiet einzusetzen. Dies verbessert die Signaldichte und wirkt sich somit positiv auf die Netzabdeckung aus. Angesichts des zunehmenden Technologieeinsatzes in Fahrzeugen werden insbesondere datenintensive Automobilanwendungen wie fortschrittliche Fahrerassistenzsysteme, kurz ADAS, von der schnellen und latenzarmen Abdeckung durch flächendeckende 5-G-Konnektivität profitieren. Diese Fahrerassistenzsysteme benötigen beispielsweise große Bandbreiten, weil Daten in die Cloud geladen werden müssen, um die Algorithmen des maschinellen Lernens damit zu füttern.

Und gleichzeitig benötigen die Anwendungen eine extrem kurze Latenzzeit, um in Sekundenbruchteilen sicherheitsrelevante Entscheidungen zu treffen, um beispielsweise Fahrzeugen oder Fußgängern ausweichen zu können. Ich denke dabei an die Kommunikation zwischen Fahrzeugen und ihrer Umgebung – also Car-to-Car und Car-to-X. Ohne 5G wird eine Automatisierung der Fahrzeuge ab Level 3 und höher nicht funktionieren. Dies gilt insbesondere für ADAS-Anwendungen, die in hochautomatisierten und autonomen Fahrzeugen zum Schutz der schwächsten Verkehrsteilnehmer unerlässlich sein werden.

Die technischen Möglichkeiten sind unbestritten. Dennoch geht es bei der Marktdurchdringung nicht so voran, wie die Industrie sich das vermutlich wünscht.

Die Anwendungsfälle ergeben sich durch die Netzabdeckung und die Bandbreite. Durch 3G wurden Smartphones erst möglich. Denken sie an die Gaming-Branche: Dort ist eine geringe Latenz ebenfalls ein Muss. Die gibt es heute nur stationär. Mit 5G werden im Bereich Gaming ganz neue Anwendungen in der mobilen Nutzung ermöglicht. Das wird die Spieleindustrie pushen. Ich bin davon überzeugt, dass die Anwendungsfälle von 5G nicht nur auf die Automobilindustrie beschränkt sein werden. Die Technik wird in vielen Bereichen sehr große Geschäftsmodelle ermöglichen.

Mit DSRC oder WLAN-p wäre die Industrie jedoch deutlich schneller.

Im ADAS-Bereich gibt es, wie Sie schon andeuten, zwei Lager. Da sich die Industrie noch nicht auf einen Standard festgelegt hat, unterstützt Harman beide, etwa mit unserer konformen Antenne, bis sich der Markt für einen oder für beide parallel entschieden hat. Aber ich sehe unterschiedliche Anwendungsfälle für beide Technologien: Die zellenbasierte Vernetzung – zum Beispiel DSRC – funktioniert nur an dicht besiedelten Orten, also im urbanen Raum. Sobald Sie in weniger dicht besiedelte Regionen gehen, werden Sie keinen finden, der dort eine Infrastruktur für die Bereitstellung der Zellen aufbaut. Vor zwanzig Jahren gab es einen ähnlichen Ansatz in Detroit. Dort hat man Roadside-Beacon auf Infrarotbasis aufgestellt, um ein Navigationssystem zu ermöglichen, das keinerlei Daten im Fahrzeug vorhalten musste.

Das Fahrzeug fährt über eine Kreuzung und bekommt den Weg bis zur nächsten Kreuzung übermittelt. Siemens und Bosch waren die Treiber dieses Systems. Das Thema ist inzwischen gestorben, weil es außer diesem einen beschriebenen Fall keine Use Cases für diese Technologie gab. Das Gleiche sehe ich kommen, wenn wir über die Mikrozellen des DSRC reden. Deswegen bin ich grundsätzlich ein Verfechter der 5-G-Technologie. Zum Glück schwenkt die europäische Industrie dahingehend um, und auch in Nordamerika sehe ich Bewegung in Richtung 5G. Ein Mobilfunknetzwerk bietet viel mehr Skalierungsmöglichkeiten und damit zusätzliche Anwendungsfälle.

In der EU fiel die Entscheidung zunächst für ITS-G5 – auch WLAN-p genannt – und wurde dann wieder zurückgenommen. Seitdem wird wieder debattiert. Was erwarten Sie von der Politik?

Ich gehe davon aus, dass die politischen Entscheidungsträger erkennen, wie wichtig es gesellschaftlich wäre, wenn sie bei der Einführung einer revolutionären Sicherheitstechnologie wie 5G eine Führungsrolle übernehmen würden. In Europa tauschen sich Regierungen und Privatwirtschaft über dieses Thema intensiv aus. Auf allen Seiten sind die Kommunikationskanäle offen und sowohl Automobilhersteller und Sicherheitsbefürworter als auch Technologieunternehmen haben Politiker gleichermaßen aufgefordert, Innovationen zu ermöglichen. Wenn dies nicht geschieht, wäre dieses faszinierende Technikfeld für Europa ungewollt verloren – was eigentlich nicht nötig wäre. Was 5G angeht, sind die Chinesen und Amerikaner einfach schneller.

Mit spürbaren Folgen.

Wir werden in China eine deutlich schnellere Marktdurchdringung von 5G sehen als in Europa. 5G wird der chinesischen Bevölkerung ein stabiles Umfeld für Sicherheit, Effizienz und wirtschaftliche Möglichkeiten erschließen, und ich hoffe aufrichtig, dass auch Europa dies bald erkennen wird.

Macht es Sinn, die Technik schon jetzt in die Fahrzeuge zu bringen?

Wir verfügen bereits heute über voll funktionsfähige Lösungen. Wir sind also startklar, sobald die 5-G-Infrastruktur die entsprechende zuverlässige Umsetzung ermöglicht. Dies bedeutet, dass OEMs unsere Technologien und Infrastruktur im Grunde bereits heute in die nächste Generation ihrer Fahrzeuge integrieren und zu einem späteren Zeitpunkt per Funksignal freischalten können. Auf diese Weise können sie sich einen Vorsprung bei der Einführung hoch entwickelter ADAS-Anwendungen verschaffen.

Kürzlich haben Analysten von ABI Research gemeldet, dass sich aufgrund der Coronavirus-Pandemie die Arbeiten am Release 16 des 5-G-Standards bereits verzögert haben. Wie wirkt sich das auf Ihre Planungen aus?

Wir erwarten hier keine großen Auswirkungen, da es viele Monate dauert, bis unsere Lieferanten die neuen Standards nach deren Veröffentlichung umsetzen.

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Zur Person

Dr.-Ing. Mike Peters, 50, promovierte an der Universität Kaiserslautern im Bereich der digitalen Signalverarbeitung. Er besuchte die Michigan State University und hat einen Abschluss in Kommunikationstechnologie von der Hochschule Mittweida. Bei Harman ist er Executive Vice President und President der Connected Car Division. Von 2002 bis 2007 war er dort als Vice President Global Accounts tätig, wo er die Kerngeschäftsfelder Audi und Volkswagen leitete. Bevor er im April 2017 als Executive Vice President of Global Accounts zu Harman zurückkehrte, war Mike Peters in verschiedenen leitenden Managementpositionen bei BMW in den Bereichen Engineering, Einkauf und Lieferantennetzwerk für Elektrik, Elektronik, Mechatronik und Fahrerassistenzsysteme tätig. Davor war er Vice President of Global Sales and Portfolio bei Continental Automotive.

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