Interview „Wir rechnen mit einem schnellen Hochlauf“
Matthias Zink, Vorstand Automotive der Schaeffler AG, über die Gründung des neuen Unternehmensbereichs Elektromobilität, den Hochlauf der unterschiedlichen Systeme, künftige Akquisitionen sowie die Zukunft der Verbrennungsmotoren.
Anbieter zum Thema

Schaeffler ist seit dem 1. Januar 2018 mit einem eigenen Unternehmensbereich Elektromobilität am Start. Welche Überlegungen stehen dahinter? Nimmt die Elektrifizierung des Antriebsstrangs nun Fahrt auf?
Ja, sie nimmt Fahrt auf. Wir gehen davon aus, dass im Jahr 2030 rund 30 Prozent der weltweit neu zugelassenen Fahrzeuge von einem Verbrennungsmotor angetrieben werden, 40 Prozent von einem Hybridantrieb und 30 Prozent rein elektrisch. Das heißt, rund 70 Prozent aller Neuwagen werden dann elektrifiziert sein. Das hat für uns den Ausschlag gegeben, einen eigenen Unternehmensbereich Elektromobilität zu gründen. Wir geben dem Thema damit einen unternehmerischen Charakter – nicht mehr nur einen Forschungs- und Entwicklungscharakter.
Welche Produkte und Systeme sind dem neuen Bereich zugeordnet?
Wir bündeln darin sämtliche Produkte und Systeme für hybride und rein elektrisch betriebene Fahrzeuge einschließlich deren Engineering. Die mittleren 40 Prozent unseres Antriebsszenarios stehen exemplarisch dafür, wie wir den Bereich bestückt haben: eine Symbiose aus dem, was wir bisher rein elektrisch im Angebot hatten plus unsere Aktivitäten in Aktorik und Mechatronik rund um die Getriebeautomatisierung. Dadurch haben wir vom Start weg eine ausreichend kritische Größe geschaffen..
Und wie grenzen sich die Unternehmensbereiche voneinander ab?
Es gibt keine starre Abgrenzung, zumal wir auch im Unternehmensbereich Verbrennungsmotoren zunehmend hybridisiert denken müssen. Aber die führende Rolle in Sachen Elektrifizierung hat der neue Bereich inne – inklusive eines starken Systemengineerings, wo wir ganze Antriebsstränge simulieren und betrachten sowie Konzepte auch für andere Unternehmensbereiche ab-leiten. Zusammengefasst: Wir wollen mit der neuen Struktur das Systemwissen fokussieren. Aber wir haben uns nicht gegen die etablierten Bereiche entschieden. Vielmehr haben wir uns für einen neuen Bereich entschieden, um die etablierten zu stärken.
Auf der IAA 2017 hatte Schaeffler angekündigt, bis zum Jahr 2020 rund 500 Millionen Euro in die E-Mobilität investieren zu wollen. Ist diese Zahl noch aktuell?
Ja, und wir sind voll auf Kurs. Wir geben viel Geld aus für die Zukunft unserer Antriebe. Sollte es eine Korrektur geben müssen, dann eher nach oben.
Welchen „Hochlauf“ erwarten Sie für die Elektrifizierungsvarianten – 48-Volt-Mildhybrid, Plug-in-Hybrid, BEV?
Für die 48-Volt-Mildhybride rechnen wir mit einem schnellen Hochlauf. Im Jahr 2030 werden sie alleine etwa die Hälfte des von uns prognostizierten Hybridanteils einnehmen. Für die Integration des 48-Volt-Systems in den Antriebsstrang bieten wir unseren Kunden eine Vielfalt an Möglichkeiten: ob als E-Motor in den Riementrieb integriert, als E-Aggregat, das Starter und Generator vereint, als E-Motor zwischen Verbrennungsmotor und Getriebe platziert, als E-Motor im Getriebe oder am Getriebeausgang sowie separat als E-Achse.
Welche E-Komponenten von Schaeffler werden aktuell besonders nachgefragt?
Unser P2-Hochvolt-Hybridmodul – ein Stand-alone-Modul zwischen Verbrennungsmotor und Getriebe – haben wir gerade in China in den Markt eingeführt. Es wird sehr stark nachgefragt. Auch unsere elektrischen Achsen wecken im Moment großes Interesse. Die ersten Serienanläufe in Europa und China stehen kurz bevor. Und dann natürlich alle Formen der 48-Volt-Hybridisierung.
:quality(80)/images.vogel.de/vogelonline/bdb/1381300/1381358/original.jpg)
Automobilzulieferer
Schaeffler-Kolloquium: Technologien für die Mobilität von morgen
Ende 2017 hat Schaeffler Compact Dynamics gekauft, einen Hersteller von Hochleistungselektromotoren. Was versprechen Sie sich davon?
Wir arbeiten seit Jahren mit Compact Dynamics zusammen – unter anderem in der Entwicklung des elektrischen Antriebs für unser Formel-E-Rennteam. Dabei hat das Unternehmen mehrfach unter Beweis gestellt, dass es technisch anspruchsvolle Produkte in kurzer Zeit auf den Markt bringen kann. Und darum geht es ja auch in den aktuellen Projektvergaben.
Planen Sie weitere Akquisitionen im Zusammenhang mit der E-Mobilität?
Stichwort: Elektronik-/Softwarekompetenz. Wir halten stets die Augen offen. Mechanik können wir sehr gut. Wenn wir uns ergänzen, dann eher in der Elektrik/Elektronik.
Und das Thema Software?
Wir haben bereits Softwarekompetenz im Haus – in der Getriebeautomatisierung etwa verkaufen wir heute schon Schalt- und Anfahrprogramme. Und auch in Zusammenhang mit unserem weltweit ersten vollvariablen elektrohydraulischen Ventilsteuerungssystem UniAir verfügen wir über umfangreiche Software-Expertise. Um diese Kompetenzen zu erweitern oder zu ergänzen, sind keine Zukäufe notwendig.
Neben Deutschland will Schaeffler auch in China ein Kompetenzzentrum E-Mobilität aufbauen. Welche Schwerpunkte wollen Sie dort setzen?
Zunächst einmal beschäftigen wir in China rund um die Elektromobilität bereits 150 Entwicklungsingenieure. Mittelfristig werden wir diese Zahl sicherlich verdoppeln. Chinas Ziel ist es, Leitmarkt für die Elektromobilität zu werden. Deshalb geht dort vieles schneller, aggressiver und pragmatischer vonstatten, und es liegt ein größerer Entwicklungsschwerpunkt auf den rein elektrisch angetriebenen Fahrzeugen. Darüber hinaus erwartet ein chinesisch geprägter OEM von einem deutschen Zulieferer eine hohe Gesamtfahrzeugkompetenz. Das heißt: Wir dürfen und müssen uns dort stärker einbringen, was wir aber eher als Chance sehen.
Trotz des Hypes um die Elektromobilität werden auch im Jahr 2030 noch mindestens 65 bis 70 Prozent aller Neuwagen einen Otto- oder Dieselmotor an Bord haben: Wie managen Sie die Weiterentwicklung der Verbrennungsmotorentechnik auf der einen Seite und die Elektrifizierung des Antriebsstrangs auf der anderen Seite?
Für die nächsten Jahre haben wir einen höheren Entwicklungsaufwand eingeplant. Dennoch hinterfragen wir permanent: Wie viel Geld geben wir an welcher Stelle aus? Im Moment bedienen wir beide Technologiefelder komplett – die Elektromobilität und die Optimierung des verbrennungsmotorischen Antriebsstrangs. Letzteres ist auch absolut notwendig, um die künftigen CO2-Ziele zu erreichen. Es wäre schlichtweg falsch, hier nicht weiterzumachen.
Gilt das auch für den Diesel?
Es ist viel zu früh, um den Diesel technisch aufzugeben. Hier ist dringend eine ganzheitliche und sachliche Darstellung geboten.
Wie lange müssen die traditionellen Komponenten rund um den Verbrennungsmotor noch das Geld für die Entwicklung der E-Komponenten verdienen?
Die Elektromobilität ist ein sehr hart umkämpfter Markt, das spüren wir an der Ertragslage. Aber wir haben dem neuen Unternehmensbereich Produkte und Kundenprojekte zugeordnet, die eine gute Chance haben, sich wirtschaftlich zu tragen. Unser Ziel ist, im Jahr 2020 mindestens 15 Prozent des Gesamtumsatzes des Automotive-OEM-Geschäfts mit Produkten und Systemen für Hybrid- und rein batteriebetriebene Fahrzeuge zu erwirtschaften.
Ist das realistisch? Schließlich verfügen die etablierten OEMs bei ihren E-Antrieben über eine hohe Eigenfertigungstiefe.
Es wird sicherlich ein nennenswerter Anteil bei den OEMs verbleiben, prozentual gesehen vielleicht mehr als heute beim verbrennungsmotorischen Antrieb. Und auch der insgesamt geringere Wertinhalt im elektrischen Antriebsstrang kann dazu führen, dass sich die Lieferantenlandschaft ein Stück weit konsolidiert. Wir kämpfen um das verbleibende Volumen. Dabei haben wir den Vorteil, dass wir auch Komponenten in die OEM-Eigenfertigungsvolumina liefern können. Zudem haben wir durch unser großes Portfolio bei den Kunden eine sehr breite Diskussionsbasis. Und zu guter Letzt sehen wir gute Chancen für unsere Produkte bei den neuen Automobilherstellern und im Zusammenhang mit völlig neuen Mobilitätskonzepten – Stichwort: Bio-Hybrid, Robo-Taxis, People Mover et cetera.
(ID:45243908)