Mobilitätsdienste Berylls: „Kommunen bestimmen die Regeln“
Matthias Kempf, Partner bei Berylls Strategy Advisors, blickt auf den derzeitigen Markt urbaner Mobilitätsangebote. Das autonome Fahren dürfte dabei beschleunigend für die Geschäftsmodelle wirken. Dafür muss aber vor allem die Politik ein innovationsfreundliches Umfeld schaffen.
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In den meisten Metropolen dominieren, trotz des weltweit enormen innerstädtischen Stauaufkommens, Privat-Pkw. Mobilitätsdienste und Carsharing-Angebote nehmen laut einer Berylls-Studie nur einen Anteil von zwei Prozent des Gesamtverkehrsaufkommens ein. Das Beratungsunternehmen sieht vor allem im Einsatz autonomer Fahrzeuge den „Game Changer“ für das Mobilitätsgeschäft, da hier die Kosten für den Fahrer entfallen.
Herr Kempf, wer hat beim Einsatz autonomer Fahrzeuge den Vorteil: Die OEMs die an dieser Technik arbeiten oder die schon bestehenden Plattformen wie Uber?
Zu dieser Frage gibt es zwei Antworten: Was das autonome Fahren (AD) oder autonome Fahrsystem selbst betrifft, hat die Automobilindustrie den Trend zu voller Autonomie unterschätzt und rudert nun den Tech-Unternehmen hinterher – einige OEMs kaufen diese Start-ups zu horrenden Beträgen, andere versuchen, über strategische Kooperationen Zugriff auf die Technologie zu bekommen. Diese Tech-Unternehmen sind aber häufig andere als die Plattformanbieter, für die die AD-Technologie ebenfalls überlebenskritisch ist. Nur Uber kann es sich als Mobility-Start-up aktuell leisten, ein eigenes AD-System zu entwickeln. Die Google-Tochter Waymo gilt heute allgemein als führend in der Systemreife.
Der zweite Aspekt betrifft die Auswirkungen der AD-Systemeinführung. Hier wird das Konzept gewinnen, das sich mit den niedrigsten Gesamtbetriebskosten betreiben lässt. OEMs wären nicht schlecht positioniert, hier als autonomer Flottenbetreiber zu agieren. Das wird ihnen aber nicht helfen, den Kampf um die Kundenschnittstelle zu gewinnen – das gelingt nur, wenn sie auch der erste in den dafür gerüsteten Märkten wären. Und da gibt es weltweit nur sehr wenige OEMs, denen wir das zutrauen.
Insbesondere die Studien zu autonomen People Movern und Robotaxis nehmen zu. Sind das die interessantesten Fahrzeugklassen für die urbane Mobilität?
Beide Fahrzeugklassen sind interessant und relevant – je nachdem, welche Anwendungsfall und Städtetyp man betrachtet.
Und für welche Unternehmen lohnt sich hier ein Invest?
Eine Investition lohnt sich für Firmen, die auch in mittelgroßen und kleineren Stückzahlen effizient produzieren können – einzelne Losgrößen von Millionen von Fahrzeugen würden wir auf absehbare Zeit nicht erwarten. Aber Stückzahl ist in diesem Kontext sowieso der falsche KPI (kurz für Key Performance Indicator, Anm. d. Redaktion) – relevant ist, wie viel Umsatz und Profit ich mit dem Inputfaktor Fahrzeug über dessen Lebenszeit im Betrieb erwirtschaften kann. Und da spielen die Kosten für die Hardware keine übergeordnete Rolle, sondern die Effizienz des Betriebs.
Welche Wachstumschancen sehen Sie für Mobilitätsdienste und wovon ist ein flächendeckender Erfolg abhängig?
Die Wachstumschancen sind in Summe riesig, da der globale innerstädtische Mobilitätsmarkt ein gewaltiges Volumen hat – circa 3,6 Billionen Euro aktuell. Allein durch das Bevölkerungswachstum und die Urbanisierung entsteht großer Zusatzbedarf, insbesondere zur Abdeckung der neu entstehenden Suburbia. Da etablierte Verkehrsträger durch lange Planungszyklen und unflexible Angebote schwer mithalten können, bieten die neuen Angebote wie Shuttles, Ride Hailing oder Carsharing eine passende Ergänzung. Allerdings beobachten wir in einigen Städten, vor allem in den USA, aktuell eine Kannibalisierung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Das führt zu negativen Effekten wie mehr Stau – das werden die Städte künftig genau beobachten und gegensteuern. Der Weg zu einer gesamthaften Verbesserung führt nur über eine ganzheitliche Planung von Verkehrsbedarfen, Angebotskonzepten, Fahrzeugkonzepten und Infrastruktur.
Sie haben in ihrer Studie aber Erwartungen gedämpft, dass nun jedes Unternehmen mit dem nötigen Know-how als Mobilitätsanbieter agieren kann. Das liege wohl vor allem daran, dass es keinen globalen sondern eher viele lokale Märkte gibt. Ist es deshalb entscheidend, sich jetzt schon als Partner mit Konzepten bei den städtischen Verwaltungen anzubieten?
Ja, insbesondere außerhalb der USA. Der ÖPNV ist beispielsweise in Europa stark verwurzelt, die etablierten Betreiber haben starke lokale Marken und eine hohe Marktdurchdringung. Zudem haben die Kommunen ein eindeutiges Selbstverständnis, Mobilität in ihrer Stadt zu organisieren – und sie bestimmen die Regeln, zumindest im aktuellen Vergaberecht. Jeder Anbieter ist gut beraten, kooperativ und offen mit den städtischen Stakeholdern umzugehen und deren Interessen ernst zu nehmen. Uber hat dies in vielen europäischen Märkten in der Vergangenheit schmerzlich zu spüren bekommen, und schlägt im zweiten Anlauf, unter anderem in Deutschland, ganz andere Töne an.
Befürchten sie, dass Deutschland bei der urbanen Mobilität ähnlich wie bei den Themen E-Mobilität und 5G anderen Ländern hinterher eilt?
In der Tat hat diese Thematik eine bedeutsame standort- und industriepolitische Dimension. Die günstigen Rahmenbedingungen, die Aufgeschlossenheit der Regulierung, sowie das Miteinander aus Forschung, Start-ups, Industrie und Politik haben in den USA dazu geführt, dass die Musik nicht nur in der neuen Mobilität, sondern auch bei allen zu Grunde liegenden Basisqualifikationen – Künstliche Intelligenz, Robotik, Datenanalytik, et cetera – dort spielt und nicht hierzulande. Als Standort wären wir gut beraten, jungen Tech-Unternehmern auch in Deutschland entsprechende Perspektiven aufzuzeigen, um die schon entstandene Kluft nicht noch größer werden zu lassen. Gerade in der künstlichen Intelligenz werden Chancen tot geredet und Bedenken in den Vordergrund gestellt, ohne dass wir die Konzepte vorher in ausreichendem Tiefgang verstanden haben.
Matthias Kempf diskutiert auch auf dem Wunder Mobility Summit am 25. Oktober in Hamburg über die urbane Mobilität.
Die Fragen stellte Christian Otto
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