Robotik Welche Rolle flexible Robotik für die Smart Factory spielt
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Ein Schlüsselelement für neue Impulse in der Produktion ist die flexible Robotik. Wir wollten von drei Experten wissen, welche Konzepte für die Fabrik der Zukunft eine Rolle spielen werden.

»Automobil Industrie« hat bei drei Automatisierungsexperten nachgefragt, welche Rolle flexible Robotik für die Smart Factory spielen wird:
- Werner Kraus, Leiter Abteilung Roboter- und Assistenzsysteme, Fraunhofer IPA
- Dominik Kult, Leiter Produktmanager Vision, Sensopart
- Kai Kohler, Global Key Account & Product Management, Zimmer Group
Eine Smart Factory benötigt flexible und sichere Robotik. Welche Konzepte stehen für Sie im Fokus?
Werner Kraus: Für die Smart Factory sind Roboter eine Schlüsselkomponente, da sie durch ihre Intelligenz bereits einen großen Teil zur geforderten Flexibilität in der Produktion beitragen. Eine boomende Technologie sind mobile Roboter für Produktion und Logistik. Mithilfe intelligenter Navigationsalgorithmen können diese zunehmend autonomer agieren und flexible Anwendungen ermöglichen. Ein Beispiel dafür sind frei navigierende und untereinander vernetzte Roboter. Dank eines kontinuierlichen Slam-Algorithmus – das steht für Simultaneous Localization and Mapping – können sich die Roboter auch in veränderlichen Umgebungen verlässlich lokalisieren, ohne dass zusätzliche Infrastruktur vorhanden sein muss. Zudem tauschen sie Daten eigener oder stationär in der Einsatzumgebung verbauter Sensoren über einen zentralen Server aus.
Mit maschinellem Lernen für den Griff-in-die-Kiste kann ein Mehrwert geschaffen werden. Dies wird anhand eines Roboters deutlich, der ihm unbekannte Objekte in nicht definierter Lage aus einer Kiste vereinzelt. Eine auf künstlicher Intelligenz basierende Objektlageschätzung liefert hierfür akkurate Objektlagen in wenigen Millisekunden.
Zudem bieten wir zwei Tools, die der Automatisierung mit Robotern zuarbeiten. Das ist einerseits die Automatisierungs-Potenzialanalyse, die bisher an das Wissen eines Automatisierungsexperten geknüpft war. Eine neue App macht dieses Wissen nun zugänglich. Eine weitere Software für die Montageautomatisierung ist Neuro-CAD. Sie analysiert mithilfe maschineller Lernverfahren Bauteileigenschaften und ermittelt daraus eine Einschätzung, inwieweit sich ein Bauteil für eine Montageautomatisierung eignet.
Dominik Kult: Mit der neuen Version unseres Vision-Sensors Visor Robotic haben wir die Funktionalität erweitert. Diese umfasst neben an Anwendungen angepasste Kalibriermethoden auch Funktionen, um mehr Intelligenz aus dem Roboter in den Sensor zu verlagern. Dadurch lassen sich bildgestützte Roboteranwendungen einfacher integrieren und kostengünstiger betreiben.
Was sind für Sie die wichtigsten Trends bei der Integration von Robotern in die Produktionslinie?
Werner Kraus: Das A und O ist, die Integrationskosten zu senken, damit Roboterlösungen im großen Maßstab ausgerollt werden können. Der Roboter selbst macht am Robotersystem nur 25 bis 30 Prozent der Kosten aus, während circa 40 Prozent Personalkosten für Engineering, Inbetriebnahme und Koordination anfallen. Die Trends im Bereich der Standardisierung, zum Beispiel mithilfe von OPC UA oder Robot Operating System und – wie wir es nennen – „Automatisierung der Automatisierung“, sollen für eine effizientere Integration sorgen.
Kai Kohler: Es gilt zwischen zwei Ansätzen zu unterscheiden: Zum einen, wenn es um komplexe und verkettete Anwendungen geht, wie zum Beispiel den Karosseriebau. Hier kommt eine Vielzahl von Automatisierungskomponenten zum Einsatz. Eine sichere und reibungslose Kommunikation im System untereinander ist von maßgeblicher Relevanz. Denn nur wenn jede Komponente weiß, was die andere tut, kann auch eine reibungslose und effiziente Produktion gewährleistet werden. Immer öfter in modernen Produktionsanlagen anzutreffen sind derzeit auch einfache Pick-and-Place-Anwendungen. Das heißt, das präzise Sortieren und Greifen von Teilen durch Roboter. Im Gegensatz zum vorherigen Beispiel gibt es hier eine viel geringere Anzahl am Produktionsprozess beteiligter Komponenten. So ist weniger die Kommunikation als die einfache Implementierung dieser Lösung von Bedeutung. Gemäß dem Motto Plug and Work. Selbstverständlich müssen alle Prozessbeteiligten mit- beziehungsweise untereinander kommunizieren, die Komplexität ist aber nicht vergleichbar.
Dominik Kult: Unternehmen wollen schneller und flexibler produzieren. Die Technologien müssen in diesem Zuge in einer großen Anzahl eine hohe Verfügbarkeit aufweisen. Durch diese Marktanforderung merken wir, dass immer mehr Anwendungen eine Sensorik-Lösung benötigen.
Der Einsatz von Systemen der Mensch-Roboter-Kollaboration, kurz MRK, in der Produktion vereint die Stärken von Menschen und Robotern. Wie begegnen Sie diesem Thema?
Werner Kraus: Bei MRK-Anwendungen gilt es, zwischen der Flexibilität einer Anwendung sowie der Wirtschaftlichkeit abzuwägen. MRK eröffnet die Möglichkeit, nicht automatisierbare Prozesse, zumindest in Teilen von einem Roboter übernehmen zu lassen. Durch diese Zusammenarbeit aus Mensch und Roboter entsteht ein flexibles Produktionssystem und durch die Teamarbeit sinkt die Taktzeit.
Langfristig begegnen wir dem MRK-Thema mit der Vision „Zero Safety Effort“ bei 100 Prozent Performance: Die Idee dahinter ist, dass ein Roboter ohne Schutzzaun lediglich die gleichen Aufwände erfordert wie ein Roboter mit Schutzzaun, zum Beispiel hinsichtlich Entwicklung und Programmierung. Die Performance sollte dabei identisch sein. Das ist natürlich noch eine Vision, aber wir erarbeiten konkrete Technologien, um dieser Vision näher zu kommen.
Kai Kohler: Nicht erst seit der Corona-Pandemie setzt sich der Trend zu mehr Automation und höherer Roboterdichte fort. Immer mehr Menschen werden in Zukunft mit Robotern zusammenarbeiten oder von Robotern bei ihrer Arbeit unterstützt werden. Damit diese Vorstellung einer kollaborierenden Arbeitswelt Wirklichkeit werden kann, muss auch das Werkzeug am Ende des Roboters umfangreiche Anforderungen erfüllen – Arbeitsschutz, Arbeitsumfeld, Betriebsmitteleinsatz, Zulassung und Abnahme etc.
Wo geht die Reise hin?
Werner Kraus: Meines Erachtens hat sich bei maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz viel getan, denn diese Technologien gelangen mehr und mehr in die Anwendung. Wir haben am Fraunhofer IPA viele Beratungen, sogenannte Quick Checks, also kleine Machbarkeitsstudien und längerfristige Projekte durchgeführt. Die rund 80 Projekte haben uns gezeigt, dass das Interesse am maschinellen Lernen extrem hoch ist und viele Unternehmen Anwendungen realisieren möchten. Außerdem werden zunehmend die Potenziale ausgeschöpft, die die Digitalisierung bietet. Wir sehen das beispielsweise bei unseren Navigationslösungen für mobile Roboter. Während früher jedes Fahrzeug für sich alleine agierte und Sensordaten einzig lokal verarbeitete, profitiert von einmal erfassten Sensordaten nun eine ganze Flotte.
Kai Kohler: Der Trend in der Automatisierung geht immer mehr hin zur einfachen Integration beziehungsweise zu einer besseren Usability der jeweiligen Produkte. Darüber hinaus spielt auch eine immer höhere Leistungsfähigkeit der Produkte eine Rolle. Mit Blick auf den Teilbereich Robotik lässt sich sagen, dass der Leichtbauroboter große Erfolge am Markt verzeichnet. Dafür hat sich ein ganz eigenes End-of-Arm-Produktsegment entwickelt, das speziell auf Anwendungen in der Leichtbaurobotik abgestimmt ist.
Was sind die Herausforderungen beim Thema Robotik und intelligente Automation?
Werner Kraus: Ein großer Teil der genannten Integrationsaufwände wird für die Programmierung spezifischer Software eingesetzt, die Softwarebibliotheken mit den realen Gegebenheiten der Roboterzelle und ihren Komponenten sowie Eigenheiten verbindet. Beispielsweise in Ablaufsteuerungen oder Schnittstellen zu Kameras wird häufig das Rad neu erfunden, da Software-Engineering-Methoden nicht durchgängig eingesetzt werden. Eine entscheidende Stellschraube ist, die Wiederverwendbarkeit einmal entwickelter Softwarekomponenten zu verbessern. Dies ermöglicht beispielsweise das Robot Operating System, dessen Anwendung wir intensiv unterstützen. Im laufenden Betrieb liegen die Herausforderungen im Umrüsten auf neue Varianten und damit dem produktspezifischen Engineering. Das heißt, die Anforderungen an moderne Produktionen wie Flexibilität oder gar Wandlungsfähigkeit können noch immer nicht ausreichend realisiert werden, weil das noch zu zeit- und kostenintensiv ist.
* Sariana Kunze, Fachredakteurin Automatisierung, Vogel Communications Group
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