HMI Dekra: „Die Mehrheit der Probanden war vom neuen Bedienkonzept verwirrt“

Von Thomas Günnel Lesedauer: 3 min

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Touchdisplay statt Taster, Menüs statt direkter Zugriffe: Lenken neue Bedienkonzepte im Fahrzeug-Cockpit mehr ab? Dekra hat das mit Probanden getestet.

Die Prüforganisation Dekra hat BEdienkonzepte älterer und neuer Autos miteinander verglichen.
Die Prüforganisation Dekra hat BEdienkonzepte älterer und neuer Autos miteinander verglichen.
(Bild: Volkswagen AG)

Die Cockpits in Autos verändern sich. Statt physischer Drehsteller, Schalter und Knöpfe gibt es immer häufiger Touchdisplays und berührungssensitive Schaltflächen. Die Folge: Funktionen sind nicht mehr direkt erreichbar, sondern oft in Menüs versteckt. Das sind etwa das Bedienen des Navigationssystems oder der Zugriff auf Medien. Außerdem Bedienelemente der Klimaanlage oder der Scheibenwischer, die per Touchscreens zu betätigen sind. Das Suchen und Finden der Funktionen lenkt ab, vor allem wenn Fahrerin oder Fahrer mit dem Fahrzeug nicht vertraut sind.

Die Dekra hat deshalb für ihren „Verkehrssicherheitsreport 2023“ die Mensch-Maschine-Schnittstellen mit Probanden in unterschiedlichen Autos untersucht. Das Ergebnis: „Grundsätzlich reduzieren innovative Touchscreen-Technologien mit intelligenter Benutzerführung die Zahl fehlerhafter Eingaben und die Eingabezeiten, wodurch gleichzeitig Verkehrssicherheitsrisiken zum Beispiel durch Ablenkung minimiert werden können“, sagt Verkehrspsychologe Thomas Wagner von Dekra.

Aber: Aufgrund des fehlenden haptischen Feedbacks bei Touchscreens kann sich die Ablenkungszeit vergrößern, weil meist eine längere Blickzuwendung notwendig ist. Ein weiteres Problem das der Verkehrspsychologe sieht: Jeder Hersteller definiert für sich, wie eine intuitive Benutzerführung via Touchscreen aussieht. Daher gebe es erhebliche Unterschiede bezüglich Menüführung und Benennung. „Werden Fahrzeuge unterschiedlicher Hersteller gefahren, wie etwa bei der Nutzung von Mietwagen oder beim Carsharing, sind Probleme vorprogrammiert“, sagt Wagner.

Probandenstudie deckt Schwachstellen auf

Um die Herausforderungen moderner Bedienkonzepte in heutigen Fahrzeugen zu zeigen, hat die Dekra-Unfallforschung 80 Personen vor sicherheitsrelevante Bedienaufgaben in zwei Versuchsfahrzeugen gestellt. Exemplarisch waren das zwei Generationen „eines Modells mit hohen Verkaufszahlen und Neuzulassungen in Deutschland“, sagt ein Dekra-Sprecher.

So wurden die Probanden nicht mit zwei vollkommen unterschiedlichen Bedienphilosophien konfrontiert. Die beiden Versuchsfahrzeuge hatten einen Altersunterschied von zehn Jahren; Baujahre 2012 und 2022. Die Versuche erfolgten im Stand bei eingeschalteter Zündung.

Die Aufgaben: das Einschalten des Scheibenwischers, der Frontscheibenbelüftung, des Radios, der Heckscheibenheizung, des Abblendlichts oder der Nebelscheinwerfer. Dabei zeigte sich, dass die Probanden im neueren Fahrzeug für alle gestellten Aufgaben im Durchschnitt viel mehr Zeit benötigten – teilweise sogar mehr als doppelt so lange.

Konnte die jeweilige Bedienaufgabe nicht innerhalb von 30 Sekunden gelöst werden, erfolgte der Abbruch des Versuchs. Dies war bei deutlich mehr Probanden im neueren Fahrzeug der Fall.

Neues Bedienkonzept verwirrt Probanden

Die Mehrheit der Probanden war vom Bedienkonzept des neueren Versuchsfahrzeugs verwirrt. Sie beklagten die Reaktionszeit des Touchdisplays und der berührungssensitiven Schaltflächen und das fehlende haptische Feedback insbesondere der sensitiven Schaltflächen.

Den Lernaufwand für die neuen Bedienkonzepte schätzten die Probanden als „recht hoch“ ein – insbesondere für ältere Menschen. Speziell für Menschen, die eine Lesebrille tragen, kann das moderne Bedienkonzept auch ein sicherheitsrelevantes Problem darstellen. Denn ohne diese Brille erkennen sie die Bedienelemente nicht – mit Lesebrille können sie aber dem Verkehrsgeschehen nicht mehr folgen, weil sie auf größere Entfernungen praktisch nichts sehen.

Die Verkehrspsychologen der Dekra sehen hier große Herausforderungen für Fahrzeughersteller und Entwickler: „Auf der einen Seite soll die Bedienung so intuitiv wie möglich sein, gleichzeitig müssen immer mehr Funktionen und Einstellmöglichkeiten im Bedienkonzept Platz finden.“

Standard für sicherheitsrelevante Funktionen

Dringend erforderlich sei deshalb die herstellerunabhängige Standardisierung vor allem sicherheitsrelevanter Funktionen: mit Blick auf deren Anordnung, des Ortes an dem sie verbaut sind und der Handhabung der jeweiligen Elemente im Fahrzeug-Cockpit. „Diese Funktionen müssen einfach mittels herkömmlicher Bedienelemente mit haptischem Feedback einstellbar sein – auch im Hinblick auf einen möglichen Ausfall eines Touchscreens“, fordert Wagner.

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Für überlegenswert erachtet der Psychologe eine Art „Gütesiegel“ für ablenkungsarme Gestaltungskonzepte auf der Basis von Grenzwerten. Diese könnten aus einem Bewertungsschema mit entsprechenden Prüfpunkten abgeleitet werden. Nach Wagners Meinung sei auch die Weiterentwicklung sprachgesteuerter Funktionen ein Beispiel für ablenkungsarme Ansätze. Hier liege noch viel Potenzial.

Haptisches Feedback erwünscht

Touchscreens mit haptischem Feedback, zum Beispiel einer durch den Finger spürbaren Vibration, bewerteten die Probanden positiv. Auch zur Gestensteuerung gibt die Dekra eine Empfehlung. Bisher gibt es laut der Prüforganisation noch kein Set an Gesten, das allgemein für Eingaben akzeptiert und genutzt wird. „Studien zeigen jedoch, dass gestenbasierte Konzepte präferiert werden, die intuitiv und natürlich sind, bei denen die Bewegungen also der zwischenmenschlichen Kommunikation ähneln“, beschreibt Dekra im Verkehrssicherheitsreport 2023.

Außerdem wird angenommen, dass sich gestenbasierte Eingaben für bestimmte Infotainment-Funktionen besser eignen als für Aufgaben, die mit der primären Fahraufgabe assoziiert werden – etwa die Betätigung des Blinkers.

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