Branchenkrise Immer mehr Automobilzulieferer geraten in Bedrängnis

Von Ampnet/Rainer Strang

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Die Umsätze der Zulieferer werden in diesem Jahr etwa 25 Prozent unter dem Vorjahr liegen. Viele Unternehmen wollen die Abhängigkeit vom Auto verringern und hoffen auf die Bundesregierung.

Reifenproduktion im Werk-Korbach: Allein bei Continental stehen in Deutschland 13.000 Stellen zur Disposition.
Reifenproduktion im Werk-Korbach: Allein bei Continental stehen in Deutschland 13.000 Stellen zur Disposition.
(Bild: Continental AG)

Corona, Brexit, geringe Fertigungstiefen beim Elektroauto, Digitalisierung, Überkapazitäten, schwächelnde Märkte – von China einmal abgesehen – und der anhaltende Kostendruck der Automobilhersteller bringen immer mehr Zulieferer in Bedrängnis. Eine Branche, die in Deutschland gut 300.000 Menschen beschäftigt und vor der Corona-Pandemie mit rund 220 Milliarden Euro zu den Umsatztreibern der Nation zählte.

Eine aktuelle Analyse der Beratung Falkensteg kommt zu dem Ergebnis, dass insbesondere Zulieferer unter 500 Millionen Euro Jahresumsatz schwer betroffen sind. „Die Entwicklungsaufwände steigen, ebenso die Qualitätsanforderungen der Kunden. Diese Kosten muss man adäquat umlegen können, dafür brauchen Unternehmen entsprechende Ressourcen und die Möglichkeit, über Größenvorteile relevante Economies of Scale anbieten zu können“, erklärt Studienautor Jochen Wierz.

Schwarzmalen will Wierz dennoch nicht. „Es gibt sehr viele Zulieferer, die sich auf den Wandel vorbereiten und imstande sind, in neue Produkte und Technologien zu investieren.“

Nach einer Umfrage des Verbands der Automobilhersteller (VDA) erwarten die Zulieferer in diesem Jahr erhebliche Umsatzeinbrüche. Gut jeder zweite Betrieb geht davon aus, frühestens im Jahr 2022 das Vor-Corona-Auslastungsniveau in der Produktion zu erreichen.

Jan Dannenberg, Partner der Managementberatung Berylls Strategy Advisors, prognostiziert erst für das Jahr 2023 das Niveau von 2019 und noch einmal ein Jahr später das Niveau von 2018: „In Summe würde das einen Wachstumsrückgang über sechs Jahre hinweg bedeuten. Das sollte dann aber auch reichen.“

An einer weiteren Prognose aus diesem Frühjahr hält Dannenberg ebenfalls fest. Damals hatte Berylls für 2020/21 alleine im deutschsprachigen Raum etwa 100 Zulieferer-Insolvenzen vorhergesagt.

Der lange Weg zur Normalität

Laut Arndt Kirchhoff, VDA-Vizepräsident und Vorsitzender des VDA-Mittelstandkreises, hat ein Fünftel der Zulieferer nur noch eine Liquidität für maximal drei Monate. Im Oktober befanden sich über 20 Prozent der Beschäftigten vor allem wegen der angespannten Situation auf den Auslandsmärkten in Kurzarbeit. „Deshalb muss ein erneuter Lockdown unbedingt verhindert werden“, so Kirchhoff. Die Teil-Lockdowns im In- und Ausland trüben bereits die Investitionsbereitschaft.

Die Hiobsbotschaften reißen nicht ab. Bei Continental stehen allein in Deutschland 13.000 Stellen zur Disposition. Bei Schaeffler sind es europaweit über 4.000. Bosch wird sein Werk im schwäbischen Bietigheim-Bissingen im nächsten Jahr schließen. Eberspächer stellt bis 2022 die Produktion von Standheizungen in Esslingen am Neckar ein. Sie soll nach Polen verlagert werden. Die Akkumulatorenfabrik Moll in Bad Staffelstein (Oberfranken) befindet sich im Insolvenzverfahren und sucht nach einem Investor. Jüngst skizzierte Brose den Stellenabbau von 2.000 Arbeitsplätzen in Deutschland.

Und Ford in Köln hat dem Zulieferer Faurecia die Zusammenarbeit zum April nächsten Jahres aufgekündigt. 18 Jahre lang hatten die Franzosen die Fiesta-Türen außerhalb der eigentlichen Fertigungslinie mit Fensterhebern, Lautsprechern, Innenverkleidung und anderen Teilen ausgestattet und danach wieder dem Produktionsprozess zugeführt. Da Ford der einzige Kunde ist, droht die Schließung des gesamten Kölner Faurecia-Standorts. Rund 400 Mitarbeiter wären davon betroffen.

Neue Geschäftsfelder erschließen

„Die kleinen und mittelständischen Betriebe der Zuliefererindustrie müssen aufgrund ihrer oft sehr spezifischen Produkte häufig ein komplett neues Geschäftsfeld entwickeln“, stellte VDA-Chefin Müller auf dem virtuellen VDA-Mittelstandstag vor 270 Branchenvertretern fest – so wie zum Beispiel die Fischer Group in Seebach (Schwarzwald) oder die Boysen-Gruppe in Altensteig (Baden-Württemberg).

Das Familienunternehmen Fischer, das 1969 von Hans Fischer als Mechanische Werkstatt Seebach gegründet worden ist, hat sich im Laufe seiner Geschichte „zu einem bedeutenden Anbieter von Rohren und Bauteilen aus Edelstahl und Sonderlegierungen entwickelt“. Heute lenken Gründer Hans Fischer, seine Söhne Hans-Peter und Roland sowie Geschäftsführer Björn Weber die Geschicke des Unternehmens mit seinen 2.800 Beschäftigten in neun Ländern weltweit. Fischer-Edelstahlrohre finden sich zum Beispiel in Abgas- und Kraftstoffanlagen von Automobilen, in Haushaltsgeräten und Sanitärprodukten wieder.

Größter Abnehmer ist die Automobilindustrie. „Aber wir wollen unsere Abhängigkeit vom Auto verringern“, sagt Hans-Peter Fischer. Deshalb entwickele die „fischer eco solutions“ gemeinsam mit dem Tochterunternehmen „SerEnergy“ modulare Stromerzeugungsaggregate mit Reformer-Methanol-Brennstoffzellen. Diese sollen zur Stromversorgung von Telekommunikationsanlagen in abgelegenen Regionen eingesetzt werden, anstelle von Dieselgeneratoren.

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Darüber hinaus entwickelt und testet Fischer die Methanol-Brennstoffzelle zur dezentralen Stromversorgung von Schiffen sowie für den Einsatz in elektrisch betriebenen Bussen, Nutzfahrzeugen und Pkw. Mit der Gründung der „fischer Power Solutions“ erweiterte die Gruppe ihr Leistungsportfolio im vergangenen Jahr um eine Energiespeicher-Technik.

Bewährtes und Neues

Die Boysen-Gruppe will auch in den kommenden Jahren mit der Entwicklung und Fertigung hochleistungsfähiger Abgassysteme und -komponenten für Pkw, Nutzfahrzeuge und „Off-Highway-Anwendungen“ wachsen. Die Grundauslastung der Produktion ist nach den Worten des langjährigen Geschäftsführers Rolf Geisel bis mindestens 2028 gesichert.

Um die Zukunft von Abgasanlagen für Automobile ist dem Unternehmer trotz des E-Hype nicht bange. Ganz im Gegenteil. Er geht davon aus, dass 2035 weltweit rund 100 Millionen Neufahrzeuge produziert werden, davon 60 Prozent mit Verbrennungsmotoren. Außerdem träumt Geisel davon, dass es mit Hilfe von Boysen-Abgastechnik eines Tages gelingen werde, die Abgase von Verbrennungsmotoren ganz von Schadstoffen zu befreien und setzt dabei auf E-Fuels.

Dennoch will Geisel für sein Unternehmen mit 4.600 Beschäftigten an 23 Standorten auch Wachstumspotenziale abseits von Verbrennungsmotoren erschließen. So plant Boysen die Herstellung von stationären Feinfilteranlagen und Energiespeichern. Außerdem beschäftigt sich das Unternehmen mit der Herstellung von Brennstoffzellen und der energiesparenden Produktion von Wasserstoff. Weiterhin will man mit Batteriegehäusen, Edelstahltanks und Rahmenkonstruktionen sinkende Verbrenneranteile ausgleichen.

Preisdruck treibt die Unternehmen ins Ausland

Eine große Herausforderung für die Zulieferer ist der anhaltende Kostendruck, den die Automobilhersteller eins zu eins weitergeben. „Die Bieterkämpfe werden nahezu im Monatstakt härter“, stellt Rolf Geisel fest. „Ohne Preisreduzierungen auf das laufende Geschäft ist nichts mehr zu gewinnen. Hinzu kommt, dass unsere Angebote nur noch angenommen werden, wenn wir mit Produktionslöhnen in Billiglohnländern kalkulieren.“

Die Folge: Boysen nimmt in diesen Tagen im nordserbischen Subotica sein größtes Auslandswerk in Betrieb. Dort stellen 400 Beschäftigte Komponenten und Abgassysteme für Lkw und Pkw von Audi, BMW und Mercedes-Benz her. In Planung ist eine weitere Produktionsanlage in China, wo die Unternehmensgruppe bereits mit zwei Werken vertreten ist.

Kanzlerin-Runde mit Spannung erwartet

Mit Spannung blicken die deutschen Automobilzulieferer nun zunächst auf den 17. November, an dem Bundeskanzlerin Angela Merkel zum nächsten, digital geführten Gespräch der Konzertierten Aktion Mobilität eingeladen hat. Arbeitsgruppen sollen dann unter anderem ein marktwirtschaftliches Konzept zur Stärkung des Eigenkapitals insbesondere von Zulieferern vorstellen.

Derzeit schnürt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier ein Unterstützungspaket für die Branche in Zeiten der Transformation. Es geht dabei um zwei Milliarden Euro in den kommenden Jahren. So will der Minister Digitalisierung, Automatisierung und alternative Antriebe fördern. Altmaier konkretisiert damit die Beschlüsse des Corona-Gipfels vom Juni.

Beteiligungsfonds besser als mancher Investor

Derweil setzt vor allem die Gewerkschaft IG Metall auf den neuen Beteiligungsfonds Best Owner Group, der sich an notleidenden Unternehmen beteiligen soll, die auf Komponenten für Verbrennungsmotoren spezialisiert sind und Zukunftsperspektiven haben. An der Spitze des Fonds steht Frank-Jürgen Weise, Ex-Chef der Bundesagentur für Arbeit und ehemaliges Vorstandsmitglied von FAG Kugelfischer (seit 2009 Teil der Schaeffler-Gruppe).

„Insgesamt ist ein solcher Fonds, der den Strukturwandel geordnet managt, allemal besser, als wenn ein aggressiver Investor die Unternehmen kaufen und mit mutmaßlich kurzfristigen und überzogenen Renditeerwartungen kaputt machen würde“, kommentiert Berylls-Partner Jan Dannenberg.

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