Motorsport Engineering 90 Jahre Nürburgring: Rekorde und Legenden
In diesem Jahr feiert die „Grüne Hölle“ Jubiläum: Der Nürburgring wird 90 Jahre alt. Die für viele beste Rennstrecke der Welt hat in dieser Zeit einiges erlebt: Feste und Tragödien. Untergang und Wiederauferstehung.
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Die Nürburg: Was dieses alte Gemäuer schon alles gesehen haben muss. Seit dem 12. Jahrhundert thront sie auf einem Hügel in der rheinland-pfälzischen Verbandsgemeinde Adenau. Doch nicht das dunkle Mittelalter, die industrielle Revolution oder der erste Weltkrieg sollten den gleichnamigen Ort Nürburg für immer verändern, sondern die Idee des Kölner Juristen Dr. Otto Creutz. Wir schreiben das Jahr 1925: Creutz ist für den Landkreis Adenau zuständig, eine der ärmsten Regionen Deutschlands. Zweifelhafter Spitzname: „Das Sibirien Preußens“. Wenige Jahre zuvor eröffnete mit der Berliner Avus die erste permanente Rennstrecke Europas.
Ein Grundstein, dem weitere folgen sollten. Auch für die Region rund um Koblenz war bereits eine Rennstrecke in Planung. Doch es kam anders: Der Bonner Hans Weidenbrück schlug Creutz vor, bereits existierende Eifel-Straßen zu einer geschlossenen Rennstrecke zu verbinden. Creutz war begeistert, wollte aber noch einen Schritt weitergehen. So wurde am 27. September 1925 der Grundstein für die „Erste Deutsche Gebirgs-, Renn- und Prüfungsstraße für Kraftfahrzeuge im Kreise Adenau“ gelegt.
Eröffnungsrennen im Jahr 1927
2.300 Arbeiter aus der Region fanden in der sogenannten „Notstandsarbeit“ eine Beschäftigung und nach nur eindreiviertel Jahren war die Strecke fertig – eine Rekordzeit, bedenkt man die extreme Länge des Rundkurses, die schwierige Topographie und die harten Wetterbedingungen der Eifel. Am 19. Juni 1927 fand schließlich das Eröffnungsrennen statt. Es gewann ein gewisser Rudolf Caracciola aus Remagen. Sein Name lebt noch heute im „Caracciola Karussell“ fort, einem der spektakulärsten Streckenabschnitte des Nürburgrings. Übrigens: Bei der Namensfindung 1925 schrieb der Schöpfer Dr. Francis Kruse, ein Regierungspräsident a.D. aus Godesberg, den Nürburg-Ring noch mit Bindestrich. Nicht die einzige Veränderung, die der Eifelkurs in 90 Jahren über sich ergehen lassen musste.
Während des Zweiten Weltkrieges lag die Strecke brach, die Natur eroberte weite Teile des Rundkurses zurück. Beschäftigte wurden für den Militärdienst eingezogen, niemand konnte sich um den Erhalt der noch jungen Rennstrecke kümmern. Dazu kamen gegen Ende des Krieges aktive Beschädigungen durch alliierte Truppen, die mit ihren Panzern über den Asphalt fuhren, Gebäude niederbrannten und so viele alte Dokumente, Urkunden oder Baupläne vernichteten – niemand glaubte an eine Rückkehr des Nürburgrings. Doch der Kurs erholte sich, 1948 war die Nordschleife wieder instandgesetzt und zog scharenweise Zuschauer an den Ring.
Bis zur nächsten großen Krise dauerte es wieder einige Zeit. Ende der 60er-Jahre boykottierten viele Fahrer den Ring – die Strecke sei zu unsicher. Kuppen wurden abgetragen, Kurven entschärft. Leitplanken hielten rund um den Kurs Einzug und Fangzäune sollten Fahrer sowie Zuschauer gleichermaßen schützen. Insgesamt wurden rund 10.000 Bäume entfernt und über 20.000 Lkw-Ladungen Erdreich bewegt. Kostenpunkt: mehr als 20 Millionen D-Mark. Aber es kam, wie es kommen musste. Am 1. August 1976 findet das offiziell letzte Formel-1-Rennen auf dem Nürburgring statt – das steht schon vor dem ersten Training an diesem Wochenende fest. Doch der fatale Feuer-Unfall von Niki Lauda, den der Österreicher nur knapp überlebt, besiegelt endgültig das Ende der Nordschleife für den Formel-1-Zirkus. Eine neue kürzere Strecke muss her – der Grand-Prix-Kurs.
Wiedergeburt nach fast 57 Jahren
Die Grand-Prix-Strecke ersetzte weite Teile der seit den 50er-Jahren ungenutzten Südschleife des Nürburgrings. Am 12. Mai 1984 fand schließlich das zweite Eröffnungsrennen am Nürburgring statt – eine Wiedergeburt nach fast 57 Jahren. Den Sieg trägt ein damals nahezu unbekannter Fahrer davon, der erst später zur Legende werden sollte: der Brasilianer Ayrton Senna. Mit der Grand-Prix-Strecke erwacht der Nürburgring zu neuem Leben. Viele Rennserien kehren in die Eifel zurück und tragen auf dem neuen Kurs spannende Rennen aus. Doch auch die legendäre Nordschleife bleibt nicht ungenutzt. Breitensportserien wie die VLN bieten eine Basis für den bis heute beliebten Langstreckensport am Ring. Ein Jahr vor der Eröffnung der kurzen Strecke fuhr Stefan Bellof auf seinem Porsche 956 den noch immer geltenden Streckenrekord für die 20,832 Kilometer lange Nordschleife: 6:11,13 Minuten. Niemand war bisher schneller.
Auch die vielen „Rekorde“, die Autohersteller heute auf dem für ihre Marketing-Kampagnen unersetzlich gewordenen Eifelkurs aufstellen, konnten Bellofs Bestmarke bisher nicht unterbieten. Zwar ist der aktuelle Rekord für straßenzugelassene Fahrzeuge mit 6:43 Minuten nur noch rund 30 Sekunden entfernt und ein moderner GT3-Rennbolide auch nicht viel mehr als 20 Sekunden langsamer – aus Sicherheitsgründen wird es aber nie wieder einen Sportprototypen wie Bellofs Porsche auf der Nordschleife geben.
Abenteuer Nürburgring
Trotzdem ist der Nürburgring heute beliebter denn je. Hunderttausende pilgern jedes Jahr zum 24-Stunden-Rennen. An den Wochenenden stehen die Parkplätze rund um die Zufahrten zur Strecke voll mit Autos aus aller Herren Ländern. Die sogenannten „Touristenfahrten“ lassen den Geist der Nordschleife mit all ihren Gefahren, Glücksmomenten und Wetterkapriolen weiterleben. Hier ist der Nürburgring noch Abenteuer. 73 Kurven, verteilt auf 20,8 Kilometer und 307 Meter Höhenunterschied wollen gemeistert werden. Die Streckenabschnitte tragen seit Jahrzehnten so ungewöhnliche Namen wie „Hatzenbach“, „Fuchsröhre“ oder „Wippermann“ und transportieren den Geist der Gründer in die heutige Zeit. Eine Runde kostet je nach Wochentag zwischen 25 und 30 Euro. Die Strecke ist offen für jeden, der sich traut. So mancher traut sich zu viel und endet in den gefräßigen Leitplanken der Strecke. Oft fordert die Nordschleife nur Blech ein, ab und an aber auch ein Menschenleben. Dann zeigt sich wieder, warum Sir Jackie Stewart ihr den Namen „Grüne Hölle“ gab. Der Respekt vor der Strecke fährt immer mit. Hier noch mehr als anderswo.
90 Jahre Nürburgring: Generationen von Rennfahrern haben sich hier in die Geschichtsbücher eingetragen. Die „Grüne Hölle“ überlebt sie alle. Nichts kann ihr etwas anhaben. Kein Weltkrieg, keine Ölkrise, keine durch die blauäugige Politik der Landesregierung ausgelöste Insolvenz. In der Hand eines russischen Investors geht es seit einigen Jahren erneut bergauf.
„Nürburgring Classic“ zum Jubiläum
Passend zum Jubiläum veranstaltet der Nürburgring die „Nürburgring Classic“. Vom 16. bis 18. Juni sind auf Grand-Prix-Kurs und Nordschleife historische Fahrzeuge von den Vorkriegsjahren bis in die 80er zu sehen. Auch historische Motorräder sind dabei und greifen die Tradition früherer Zeiten auf, als kombinierte Automobil- und Motorradrennen noch üblich waren – auch beim Eröffnungsrennen des Nürburgrings. Der Höhepunkt des Wochenendes ist das Rennen, mit dem am Nürburgring alles begann: das Eifelrennen, bei dem die Youngtimer-Trophy und der Dunlop FHR Langstrecken-Cup auf die Strecke gehen. Dabei wird der moderne Nachfolger von Rudolf Caracciola gesucht, der 1927 in seinem Kompressor-Mercedes bei der Eröffnung des Rings gewann.
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