Vernetzung Mit der industriellen Cloud effizienter produzieren

Autor / Redakteur: Harald Jacob / Thomas Günnel

Um effizienter zu produzieren, setzen VW und BMW auf Cloud-Anwendungen. Die Standorte sollen so günstiger arbeiten – und langfristig Teil eines flexiblen Produktionsnetzwerkes werden.

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Ein sogenannter „Smart Transport Roboter“ im BMW-Werk Regensburg. Die zweite Generation der Transportsysteme ist in eine gemeinsame IoT-Plattform eingebunden.
Ein sogenannter „Smart Transport Roboter“ im BMW-Werk Regensburg. Die zweite Generation der Transportsysteme ist in eine gemeinsame IoT-Plattform eingebunden.
(Bild: BMW)

Cloud-Services großer amerikanischer IT-Anbieter, eingebunden in den Shop-Floor deutscher Industriekonzerne? Was vor Jahren noch als undenkbar galt, ist inzwischen Realität. Gleich zwei deutsche Automobilhersteller wollen ihre Produktion mit Hilfe von Cloud-Anwendungen kosteneffektiver und flexibler machen. Auf der einen Seite BMW und Microsoft, die ihre langjährige Technologiepartnerschaft erweitert und gemeinsam die „Open Manufacturing Platform“ ins Leben gerufen haben. Die technische Basis bildet Microsofts „Azure Industrial IoT Cloud Platform“.

Auf der anderen Seite steht VW gemeinsam mit Amazon Web Services (AWS) und Siemens, die bei der „Volkswagen Industrial Cloud“ zusammenarbeiten. Sie soll an die „Digital Production Platform“ (DPP) von Volkswagen andocken und dazu beitragen, die IT auf der Fertigungsebene im gesamten Konzern zu vereinheitlichen.

Volkswagen und Amazon Web Services entwickeln gemeinsam die „Volkswagen Industrial Cloud“. Siemens steigt als Integrationspartner mit ein.
Volkswagen und Amazon Web Services entwickeln gemeinsam die „Volkswagen Industrial Cloud“. Siemens steigt als Integrationspartner mit ein.
(Bild: Volkswagen)

Ecosystem für Partner – und Wettbewerber?

Beide Konzepte verfolgen das Ziel, nicht nur im eigenen Haus Prozesse zu vereinfachen und zu flexibilisieren, sondern einen Zugang für die gesamte Wertschöpfungskette zu schaffen, sodass zum Beispiel auch die Zulieferer enger in die Produktionsplanung eingebunden werden. Bei der Volkswagen-Cloud-Plattform sei es grundsätzlich denkbar, sie für andere Automobilhersteller zugänglich zu machen, so die Projektpartner. Die Open Manufacturing Platform lädt dagegen explizit nicht nur Zulieferer, sondern auch andere Hersteller dazu ein, sich der Community von BMW und Microsoft anzuschließen.

Allerdings behält jedes Mitglied das Recht am geistigen Eigentum. So betreibt der bayerische Fahrzeughersteller seine eigene „BMW Group IoT Platform“. Aus dieser sollen aber wichtige Anwendungsfälle in die OMP-Community einfließen.

Mit dem Einsatz von Cloud-Services wollen die Hersteller Abläufe und Prozesse in der Fertigung optimieren und damit Produktivitätssteigerungen in den Werken erreichen. Das heißt auch, Prozesse so zu flexibilisieren, dass neue Technologien schneller integriert und Abläufe leichter an veränderte Anforderungen angepasst werden können. Teil dieser Strategie ist zudem, Datensilos aufzubrechen und Informationen aus proprietären Systemen zugänglich zu machen, die neue Erkenntnisse aus Big-Data-, Machine-Learning und KI-Anwendungen ermöglichen.

Cloud-Services: Konkrete Projekte definiert

Bei VW wurden zum Projektstart über 140 Projekte definiert, um dieses Ziel zu erreichen. Dazu zählen beispielsweise ein Dienst zur Lokalisierung von Warentransporten innerhalb und außerhalb der Fabrik, etwa per Lkw (Vehicle Locating Service) sowie Analysedienste für die Berechnung der Anlageneffektivität in den Standorten (Overall Equipment Effectiveness, OEE). Erste Funktionen und Services sollen bis Ende des Jahres in Betrieb genommen werden.

Auch bei BMW steht die Logistik weit oben auf der Agenda. So wurde die zweite Generation der autonomen Transportsysteme im Regensburger BMW-Werk bereits in eine gemeinsame IoT-Plattform eingebunden. Dadurch werde die zentrale Koordination des Transportsystems deutlich vereinfacht und eine höhere Effizienz in der Logistik erzielt. Weitere geplante Anwendungsfälle umfassen unter anderem digitale Feedbackschleifen, digitales Supply Chain Management und vorausschauende Wartung.

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VW-Cloud: Schneller auf Dynamik der Märkte reagieren

Zunächst werden die Cloud-Dienste vor allem innerhalb der einzelnen Produktionsstandorte und der damit verknüpften Zulieferer ihre Wirkung entfalten. Wenn jedoch die Fertigung, die sich beispielsweise bei VW auf 122 Standorte weltweit verteilt, weitgehend auf einer Plattform gesteuert wird, dann können die Hersteller schneller und einfacher auf die zunehmende Dynamik der Märkte reagieren.

Veränderte Kundennachfrage, Probleme in der Logistik, Preisunterschiede beim Sourcing, Verfügbarkeit von Fachkräften und Vorprodukten, neue Handelsschranken durch Zölle und einiges mehr können dann umgehend in die Produktionsplanung einfließen und dafür sorgen, dass das, was die Kunden wirklich wollen, dort produziert wird, wo die Fertigung am effektivsten und eine problemlose Logistik gegeben ist.

Kurzinterview mit Daniel Wuhrmann, Reuschlaw Legal Consultants

Daniel Wuhrmann ist Equity Partner und Teamleader Automotive bei Reuschlaw Legal Consultants.
Daniel Wuhrmann ist Equity Partner und Teamleader Automotive bei Reuschlaw Legal Consultants.
(Bild: Reuschlaw Legal Consultants)

Herr Wuhrmann, bislang haben Automobilhersteller die Hoheit über ihre Produktionsdaten stets behalten. Welche strategische Bedeutung haben diese neuen Kooperationen?

Ich gehe davon aus, dass die Hersteller auch weiterhin Hoheit über ihre hochsensiblen Daten haben werden. Für Microsoft, insbesondere aber für Amazon ergeben sich hieraus jedoch neue Betätigungsfelder, die enormes Potenzial bergen: Vernetzte, digital aufgesetzte Fertigungsstätten und Plattformen sind, einfach gesprochen, die Zukunft. Die Hersteller wiederum profitieren von den Erfahrungen, Kapazitäten und Fähigkeiten der Big-Data-Profis. Daher haben diese Kooperationen trotz aller aufkommenden Hürden enormen Charme für die Beteiligten.

Die Plattformen ermöglichen die offene, branchenübergreifende Entwicklung industrieller IoT-Anwendungen. Diese können sich auch auf die zu fertigenden Produkte auswirken – und darauf, wer für das Produkt haftet. Reichen bestehende gesetzliche Regelungen für diese Form der Zusammenarbeit?

Die bestehenden haftungsrechtlichen Regelungen reichen aus meiner Sicht in nahezu allen Bereichen aus. Wichtig wird allerdings, die relevanten Begriffe und Funktionen sauber zu ordnen und abgrenzen zu können, beispielsweise den des „Herstellers“. Abgesehen davon halte ich es für sinnvoll, auf sicherheitsrechtlicher Ebene nachzubessern. Das betrifft insbesondere grundlegende Vorgaben zu digitalen Sicherheitsstrukturen unterhalb des Niveaus sogenannter „Kritischer Infrastrukturen“ für komplexe Anlagen, aber auch für singuläre Produkte. Da ist die Rechtslage noch recht unspezifisch.

Trotz offener Plattform müssen die Unternehmen Datenschutzvorgaben einhalten. Ist das vollumfänglich möglich?

Ja. Die gesetzlichen Anforderungen des Datenschutzes werden ja weder mehr noch komplexer, sie sind in diesen Fällen aber auf vielschichtige Situationen anzuwenden. Haben die Beteiligten dies verstanden – und womöglich ohnehin schon bei jetzt existierenden Anwendungsfällen umgesetzt – so bedarf es „nur“ der Adaption von klein auf groß. Das wird allerdings nur mit klaren Absprachen, Regeln und Kompetenzverteilungen funktionieren. Dies werden die wahren Herausforderungen sein.

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