Elektronische Kupplung Segeln mit dem Handschaltgetriebe

Autor / Redakteur: Wolfgang Pester / Thomas Günnel

„Segeln“ senkt den Kraftstoffverbrauch. In Pkw mit Schaltgetrieben gibt es diese Sparfunktion noch nicht – elektronische Kupplungen könnten das ändern.

Anbieter zum Thema

„Segeln“ senkt den Kraftstoffverbrauch. In Pkw mit Schaltgetrieben könnten elektronische Kupplungen diese Funktion ermöglichen.
„Segeln“ senkt den Kraftstoffverbrauch. In Pkw mit Schaltgetrieben könnten elektronische Kupplungen diese Funktion ermöglichen.
(Foto: Schaeffler)

Die sogenannte E-Clutch führt im Fahralltag bis einem rund zehn Prozent geringeren Spritverbrauch und durch geringe Technikkosten zur Demokratisierung des „Segelns“. Dazu präsentierte jetzt Schaeffler drei E-Clutch-Versionen, deren höchste Ausbaustufe nahtlos an den Hybridantrieb ankoppelt. Bei Autos ist das manuelle Schaltgetriebe noch immer die kostengünstigste Lösung bei der Kraftübertragung. Besonders in Kleinwagen bis zu Mittelklasse-Pkw ist es am meisten im Antriebsstrang vertreten. In Europa ist, anders als etwa in den USA, das Handschaltgetriebe dominant. Die rund 40 Millionen Autos mit Handschaltern von den 2015 weltweit fast 90 Millionen Neuwagen verdeutlichen ihre Bedeutung speziell in Europa, da auf Märkten wie Amerika und Asien das manuelle Schaltgetriebe ein Schattendasein führt. „Und ihr Anteil wird weiter wachsen“, so Matthias Zink, Leiter Unternehmensbereich Getriebesysteme bei Schaeffler – der Diplomingenieur wird mit Wirkung 1. Januar 2017 Vorstandsmitglied der Schaeffler AG.

Bildergalerie
Bildergalerie mit 11 Bildern

Fast alle Hersteller sind interessiert

Durch die Segel-Funktion bei den Handschaltern sieht Zink ein enormes Potenzial für CO2-Reduktion im Hinblick auf den Abgasgrenzwert von 95 g CO2/km von 2020. Zink: „Wir haben für unsere Kunden die Lösungen, um CO2 einzusparen.“ Für Zink ist es auch die nächste Stufe, um diese Getriebeart fit zu machen für die weitere Elektrifizierung des Pkw. Mit den drei unterschiedlichen E-Clutch-Versionen lassen sich laut Dr.-Ing. Roland Welter, bei Schaeffler Leiter der Produktlinie Gesamtsystem Kupplungen, Verbrauchssenkungen von jeweils drei Prozent bis mehr als zehn Prozent realisieren. Der Trick scheint relativ einfach, dank elektrischer Stellglieder und Motoren sowie Sensoren und Chips das Schaltauto mit elektronischem Kupplungssystem zum „Segler“ zu machen, doch die Krux liegt wie immer im Detail.

Zum „Segler“ wird ein Auto, wenn es sich ohne Einsatz von Antriebsenergie schnell vorwärts bewegt. Etwa wenn es bergab rollt oder mit gleichmäßiger Geschwindigkeit auf ebener Strecke fährt. Beim Segeln nimmt der Fahrer den Fuß vom Gaspedal, es schaltet sich der Verbrennungsmotor ab und die Kupplung trennt den Motor vom Antriebsstrang. Sicherheitsrelevante Funktionen wie Servolenkung oder Bremskraftverstärker sind über das Bordnetz abgesichert. Bei Premiumautos, vor allem bei Hybrid-Pkw ist dies bereits mit Automatikgetrieben realisiert. Ebenso eignen sich Doppelkupplungsgetriebe für den Einsatz dieser „Top-Segel-Funktion“. Beim „Leerlauf-Segeln“ wird bei höheren Geschwindigkeiten zwar auch der Motor vom Antriebsstrang abgekoppelt, sobald der Gasfuß das Pedal verlässt, aber der Verbrennungsmotor läuft im Leerlaufbetrieb weiter. Autos mit Schaltgetrieben, bei denen der Fahrer bisher mit Hand- und Fußarbeit die Schalt- und Kupplungsvorgänge verrichtet, soll spätestens ab 2019 in den Genuss des „Segelns“ kommen. Denn „fast alle Hersteller lassen sich derzeit eigene Modelle mit E-Clutch-Versionen ausrüsten, um eigene Tests auszuführen“, so Welter. Segeln dürfte so bald die Regel bei Schaltautos werden. Und für Zink „ebnet die E-Clutch dem Handschaltgetriebe den Weg in die Hybridisierung und damit in neue Märkte und Segmente.“

Drei E-Clutch-Versionen

Den Weg beschreitet Schaeffler mit drei nach dem Grad der Automatisierung aufgestuften E-Clutch-Versionen. Bei der Variante „MTplus“ bleibt es beim Grundprinzip der hydraulischen Kraftübertragung der Kupplung. Sie verfügt aber über einen zusätzlichen Aktuator direkt in der Hydraulikdruckleitung. Der Fahrer schaltet und tritt die Kupplung wie gewohnt. Diese Teilautomatisierung ermöglicht bereits die Top-Segel- und die Leerlauf-Segel-Funktion. Das Auskuppeln übernimmt dabei das MTplus. Das Signal kommt indirekt vom Fahrer, indem er vom Gas geht. Segeln ab einer Motordrehzahl 1.800 U/min im dritten Gang ist gegeben. Bei Drehzahlen von 1.800 U/min übernimmt beim Segeln die Start-Stopp-Funktion das Anlassen des Motors im Ankopplungsvorgang des Antriebsstrangs, im vierten und fünften Gang wird die Kupplung geschlossen und das Schleppmoment übernimmt das Anlassen des Motors. Schaeffler sieht den Vorteil bei dieser Anordnung darin, dass die technischen Anforderungen gering sind und es so gelungen ist, „die Mehrkosten von MTplus gegenüber einer klassischen Kupplungsbetätigung in engen Grenzen zu halten“, erklärt Welter.

Die „Clutch-by-Wire“ (CbW) ist leistungsfähiger als die MTplus. Basis dafür ist ihr elektronisches Kupplungspedal, bei dem das Ausrücksystem für hoch dynamische Situationen ertüchtigt ist – zum Beispiel schnelle Schaltungen und schlagartiges Bremsen. Eine Besonderheit ist die Möglichkeit, den Pedalweg mit dem Kupplungsweg elektrisch abzustimmen. Das sichert eine gangabhängige Adaption oder die Wahl eines Sportmodus, was bisher Automatikgetrieben vorbehalten war. In der CbW-Ausbaustufe wird die mechanische oder hydraulische Anbindung des Kupplungspedals an das Ausrücksystem vollständig ersetzt. Die dadurch fehlende Gegenkraft des Ausrücksystems auf das Pedal erzeugt neu entwickelter Pedalkraftsteller. Er besitzt einen Sensor, der die Pedalstellung an den Kupplungsaktuator meldet. Deshalb erfasst der Fahrer nicht, dass die Kupplungsbetätigung automatisiert ist. Er fährt weiterhin, wie er es beim Handschalter gewohnt ist.

Bildergalerie
Bildergalerie mit 11 Bildern

Handschaltung und Elektromotor

Das eigentliche Öffnen und Schließen der Kupplung übernimmt in allen Fahrsituationen ein neu entwickelter, intelligenter Aktuator. Er integriert die gesamte Elektronik, den E-Motor und einen Spindeltrieb, wobei ein mechanisches oder hydraulisches Modul vom Autohersteller für die anwendungsspezifische Anbindung an die Kupplungsbetätigung eingesetzt werden kann. Laut Welter macht der modulare Aufbau die Clutch-by-Wire universell einsetzbar und reduziert sowohl die Entwicklungs- als auch die Systemkosten. Das sei wichtig, um den Kostenvorteil der Schaltgetriebe gegenüber den Automatikgetrieben zu erhalten. Die dritte E-Clutch-Variante, das „Elektronische Kupplungsmanagement“ (EKM), kommt ohne Kupplungspedal aus und basiert auf der CbW-Variante. Beim EKM liefert das Signal zum Auskuppeln ein Sensor in dem Moment, in dem der Fahrer zum Schalten ansetzt. Das Einkuppeln geschieht ebenso automatisch, wenn der Gang eingelegt ist. Der hohe Automatisierungsgrad von EKM bietet die Voraussetzungen, um einen Elektromotor in den Antriebsstrang zu integrieren. Bei einer Batterie mit entsprechendem Energieinhalt in einem 48-Volt-Bordnetz übernimmt der E-Motor den Vortrieb in allen Fällen, in denen der Verbrennungsmotor unwirtschaftlich arbeitet – zum Beispiel beim Einparken, im Stop-and-go-Verkehr oder im Stadtbetrieb bei geringer Geschwindigkeit. Für Welter ermöglicht das „EKM einen technisch eleganten und wirtschaftlichen Einstieg in die milde Hybridisierung, wie er so mit einem Automatikgetriebe nicht darstellbar wäre.“

Die Pkw mit E-Clutch-System können auf dem Rollprüfstand, ob im EU-Fahrzyklus NEFZ oder im künftigen WLTP, nicht das volle Sparpotenzial ausspielen. Die Segelphasen im Messzyklus geben das nicht her, was aus dem Fahrbetrieb resultiert. Im WLTP lasse sich der geringere Kraftstoffverbrauch mit abgeschaltetem Motor im Segel-Betrieb lediglich etwa bei drei Prozent belegen, so Prof. Dr.-Ing. Peter Gutzmer, stellvertretender Vorsitzender des Vorstands und Vorstand Technologie Schaeffler AG. „Wir haben mit Demonstratorfahrzeugen bewiesen, dass weit mehr drin ist“, so Welter. Mit einem 1,2-Liter-Ottomotor im Opel Corsa zeigte Schaeffler, dass im realen Stadtverkehr das Segeln den Verbrauch bis um acht Prozent verringern kann. Gutzmer rechnet damit, dass die Funktion „Segeln“ künftig als „Ökoinnovation“ für die Anerkennung von CO2-Emissionsreduktionen berücksichtigt werden wird.

(ID:43980866)