Entwicklung Materialentwicklung auf Basis von Emotionen

Autor Christian Otto

Warum gefällt ein Material oder warum nicht? Wer darauf eine Antwort sucht, muss den Kunden quasi in den Kopf schauen und seine Emotionen messen und bewerten. Nichts Geringeres will Imat-Uve nun mit einem Partner beim Projekt „Eliot“ umsetzen.

Anbieter zum Thema

Eine Auswahl an Materialien, Oberflächen und Bauteilen werden während der Testung über ein Robotiksystem dem Probanden präsentiert.
Eine Auswahl an Materialien, Oberflächen und Bauteilen werden während der Testung über ein Robotiksystem dem Probanden präsentiert.
(Bild: Imat-Uve)

Den Kunden künftig noch stärker in den Mittelpunkt aller Entwicklungsüberlegungen stellen – diesem Credo folgt derzeit die gesamte Branche. Der Kunde entscheidet neben dem Blick auf die Kosten vor allem emotional. Und gerade beim Innenraum ist die gefühlsgeleitete Wahrnehmung eine entscheidende Komponente.

In der etablierten Marktforschung wird versucht, Emotionen über kognitive Urteile aus Einzel- oder Gruppenbefragungen abzubilden. Daneben nutzen die Forscher auch Verhaltensbeobachtungen. Für Leander Schweiger, Psychologe für Data Science und UX Research, und seinen Arbeitgeber Imat-Uve bilden diese Ansätze Emotionen nur indirekt ab: „Damit geht eine ganze Menge an interessanten Informationen verloren, die es gilt, für den Entwicklungs- und Designprozess nutzbar zu machen“, so Schweiger.

Deshalb hat das Entwicklungs- und Engineering-Unternehmen unter dem Arbeitstitel „Eliot“ (emotional evaluation of things) ein Verfahren zur gezielten Gestaltung der Material- und Designerfahrung konzipiert. Seit Juni 2018 wird dafür in Kooperation mit dem Neurosensoriklabor der Universität Kassel ein Messverfahren entwickelt, das laut Imat-Uve die objektive Beschreibung und Bewertung der sinnlichen Materialerfahrung ermöglichen soll.

Königsweg der Messung

Der Partner in Kassel ist sehr bewusst gewählt, denn die Neurosensorik beschreibt Objekte über die verschiedenen Sinneskanäle des Menschen. So wollen die Forscher und Ingenieure ein fundiertes Gesamtbild der Erfahrungswelt des Nutzers erhalten. Dafür müssen unter anderem störende Einflüsse ausgeschlossen werden. Auch der Faktor Zeit ist entscheidend: „Eine Abfrage in Echtzeit, während dem Erleben, ist der prinzipielle Königsweg“, erklärt Schweiger. Dieser Anspruch wird mit Eliot in ein standardisiertes Verfahren überführt. Dabei soll der direkte Zugang durch den automatisierten Einsatz der Elektroenzephalographie (EEG) mit Hilfe eines sogenannten Brain-Computer-Interface den Kern der Entwicklung darstellen. Über dieses System erheben die Partner die sinnliche Erfahrung des Nutzers in einem vollständig standardisierten Aufbau. Dieses bildet als eine Kombination aus Biometrik und Befragung sowohl verbale als auch nonverbale Inhalte ab.

Ungewöhnlich in diesem Entwicklungsprojekt ist, dass der Projektleiter der Studie Mitarbeiter von Imat-Uve und der Universität ist und an beiden Standorten das Forschungsteam leitet. „Es handelt sich um einen Pilotversuch, der gewählt wurde, um die Verzahnung zwischen wissenschaftlichen und marktwirtschaftlichen Interessen möglichst effektiv zu gestalten“, betont Schweiger. Die Pilotentwicklung von Eliot übernimmt die Universität Kassel, die Entwicklung hin zur Marktreife findet dann bei Imat-Uve statt.

Das Messverfahren: Robotik im Einsatz

Im Detail läuft das Messverfahren wie folgt ab: Eine Auswahl an Materialien, Oberflächen und Bauteilen ist in Probenhaltern abgelegt. Ein Robotiksystem präsentiert sie nacheinander im Verlauf der Testung dem Probanden. Es kommt zum Einsatz, um den Testingprozess so effizient und objektiv wie möglich zu gestalten und dient der Standardisierung, um Störeinflüssen, wie beispielsweise Versuchsleitereffekten entgegenzuwirken. Während der Materialpräsentation wird das EEG des Probanden, sein Pupillenverhalten und der mimische Ausdruck getrackt. Das EEG basiert auf dem klinischem Standard, für Pupillen und Mimik wird eine Tiefenkamera genutzt. Sie kann das Gesicht des Probanden räumlich aufgelöst abbilden. An die erste Präsentation schließt sich ein spontanes Rating an. In der zweiten Phase wird über eine parallele Abfrage der Probanden und Reizpräsentation eine sowohl physische als auch affektive Charakterisierung des Materials vorgenommen.

Die Kooperationspartner wollen die Emotionen von mindestens 100 Probanden messen, um über ein Verfahren des maschinellen Lernens Zusammenhänge zwischen den Datentypen zu modellieren (EEG, Eyetracking, Survey, technische Prüfdaten). Diese Zusammenhänge können genutzt werden, um eine Vorhersage von einem Datentyp auf einen anderen vorzunehmen. „Durch das erfolgreiche Anlernen des neuronalen Netzes kann der Prüf- und Entwicklungsprozess wesentlich verkürzt werden“, so Schweiger.

Imat-Uve hat einen klaren Fahrplan: Ab Ende des Jahres 2019/ Anfang des Jahres 2020 sollen die ersten Feldversuche bei assoziierten Partnern laufen. Das Interesse der Kunden scheint groß zu sein. Deshalb habe man laut Leander Schweiger auch viel Input von diesen über regelmäßige Gespräche erhalten: „So wurde das System auf größtmögliche Flexibilität hin ausgerichtet und ist bis heute so offen konzipiert.“

(ID:46047078)