Steckverbinder Bordnetz im Wandel: Herausforderungen für Steckverbinder

Ein Gastbeitrag von Martin Adamczyk Lesedauer: 6 min |

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Das klassische Bordnetz ist durch den gestiegenen Funktionsumfang kaum noch praktikabel. Welche neuen Architekturen es gibt und was Steckverbinder in modernen Fahrzeugen leisten müssen.

Der Domänencomputer für den Infotainment-Bereich übernimmt alle Steuerungsaufgaben in diesem Segment.
Der Domänencomputer für den Infotainment-Bereich übernimmt alle Steuerungsaufgaben in diesem Segment.
(Bild: Bosch)

Die klassische dezentrale Architektur im Automobil besteht aus bis zu 100 Steuergeräten, wobei jedem Steuergerät eine feste Funktion zugeordnet wird: Motorsteuerung, Airbag, ABS/ESP, Sitzverstellung, Klimatisierung etc. Jede Steuerung arbeitet autark und kommuniziert über Gateways mit anderen Steuergeräten. Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte wurde jede neue Funktionalität um ein weiteres Steuergerät ergänzt. Heute stößt sie an ihre Grenzen: Zunehmende Funktionen erhöhen den Installations- und Verdrahtungsaufwand innerhalb des Fahrzeuges deutlich.

Die Domänenarchitektur

Bei der Domänenarchitektur werden die Steuergeräte in verschiedenen Funktionsbereiche zusammengefasst. Jede Domäne ist für einen bestimmten Bereich des Fahrzeugs zuständig wie Antrieb, Infotainment oder Sicherheit. Die übergeordnete Steuerung einer Domäne erfolgt über einen eigenständigen High Performance Computer (HPC). Dieser koordiniert die Steuergeräte innerhalb seiner Domäne.

Für den Funktionsbereich Sicherheit wären das z. B. Steuergeräte für Fahrerassistenzsysteme, ABS/ESP und Lenksysteme. Durch weniger verbaute Steuergeräte verringert sich der Verdrahtungs- und Installationsaufwand. Die Domänen-Architektur reduziert somit im Vergleich zur dezentralen Architektur auch Kosten und Gewicht. Zusätzliche Funktionen können darüber hinaus mit geringem Aufwand nachträglich integriert werden.

Die Zonenarchitektur

Bei der Zonenarchitektur erfolgt die Strukturierung nicht über Domänen, sondern nach lokalen Zonen. So werden beispielsweise innerhalb einer Zone im Automobil mehrere Funktionalitäten gebündelt. Demnach können durchaus Funktionen wie Antrieb und Infotainment in einem Zonen-Controller zusammengefasst und verarbeitet werden. Die übergeordnete Steuerung der verschiedenen Zonen-Controller erfolgt dabei ebenfalls durch einen zentralen HPC. Der Vorteil liegt auf der Hand: Eine Reduktion der Steuergeräte sowie ihrer Verkabelung um bis zu 50 Prozent.

Schematische Darstellung der verschiedenen Bordnetz-Architekturen. Klassische dezentrale Architektur, Domänenarchitektur und Zonenarchitektur (v.l.n.r.).
Schematische Darstellung der verschiedenen Bordnetz-Architekturen. Klassische dezentrale Architektur, Domänenarchitektur und Zonenarchitektur (v.l.n.r.).
(Bild: EPT)

Die Anforderungen, die sich daraus an einen HPC ergeben, sind groß: Nicht zuletzt die Verarbeitung der Bilddaten im Infotainment-Bereich oder der Kamerasysteme für automatisiertes Fahren erfordern eine sichere Hochgeschwindigkeit-Datenübertragung bei kurzen Latenzzeiten. Zugleich darf es unter keinen Umständen zum Ausfall der Signalübertragung kommen – ihre Zuverlässigkeit muss zu jeder Zeit sichergestellt sein.

Signalintegrität: Augendiagramm gibt Aufschluss

Hohe Leistungsfähigkeit, schnelle und vor allem zuverlässige Datenübertragung – mitunter unter widrigen Umweltbedingungen – sind somit auch Anforderungen, die sich an den verbauten Steckverbinder ergeben. Die „Lesbarkeit“ eines Signals kann mithilfe des Augendiagramms veranschaulicht werden. Dieses gibt an, ob ein übertragenes Signal im Empfänger eindeutig den digitalen Zuständen 1 oder 0 zugeordnet werden kann.

Hierfür durchläuft ein Signal eine definierte Übertragungsstrecke, wobei es von einem Oszilloskop aufgenommen, überlagert und dargestellt wird. So können sämtliche möglichen Signalverläufe „übereinander“ abgebildet werden. In der Theorie sind die Übergänge der logischen Zustände unendlich steil und die Signallinien verlaufen exakt übereinander.

Das Augendiagramm ermöglicht die Bewertung der Signalqualität einer digitalen Datenübertragung.
Das Augendiagramm ermöglicht die Bewertung der Signalqualität einer digitalen Datenübertragung.
(Bild: EPT)

Durch externe Störfaktoren und interne Beeinträchtigung der Signalpaare flacht der Signalanstieg ab, und die Amplitudenhöhe verändert sich. Es entsteht die namensgebende Form eines Auges. In der Mitte des Diagramms erkennt man die sogenannte Eye Mask (rot).

Eine eindeutige Zuordnung des Signals ist in diesem Bereich nicht möglich. Die beiden Augendiagramme zeigen die Einflüsse von Leitungslänge und Impedanz der Colibri-Steckverbinder (Produkt von EPT) in den Ausführungen 16+ GBit/s (links) und 10 GBit/s. Das Beispiel veranschaulicht, wie durch die Weiterentwicklung des Kontaktdesigns eine deutliche Steigerung der Signalintegrität erzielt werden konnte. Durch eine kürzere Leitungslänge und die Impedanz von 100 Ω kann sich das Auge der 16+ GBit/s-Variante des Colibri klarer ausbilden als bei der Vorgängervariante des Colibri mit 10 GBit/s – die Signalpaare sind eindeutig interpretierbar.

Steckverbinder: Elektromagnetische Einflüsse

Störungen auf dem Signal beim geschirmten (links) und ungeschirmten (rechts) Steckverbinder.
Störungen auf dem Signal beim geschirmten (links) und ungeschirmten (rechts) Steckverbinder.
(Bild: EPT)

Da Highspeed-Signale besonders anfällig für elektromagnetische Einflüsse sind, benötigen sie einen besonderen Signalschutz. Ein Steckverbinder kann dabei sowohl als Störquelle als auch als Senke fungieren. Hier empfiehlt sich ein Signalschutz mittels Schirmblech, um die sensiblen Signale vor externen Einflüssen zu schützen. Dass schon ein kleiner elektrischer Impuls das Nutzsignal verfälschen kann, geht aus dem Bild links hervor.

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Der Empfänger kann die digitalen Zustände des HDMI-Signales bereits nach einem kurzen Burst-Impuls von 0,5 kV nicht mehr eindeutig interpretieren, wohingegen die Signalübertragung des geschirmten Steckverbinders selbst bei 4,4 kV noch stabil verläuft.

Die Koppelinduktivität

Die Koppelinduktivität LK beschreibt den Steckverbinder durch die elektrischen Verhältnisse in beiden Funktionen – Quelle und Senke. Dies gilt sowohl für die Störfestigkeit als auch für die Störaussendung. Sind die induzierte Spannung (Uind), die Spannung des Generators (UGen) sowie die Generatorkonstante (kGen) bekannt, kann die spezifische maximal zulässige Koppelinduktivität (LK) mit Gleichung 1 bestimmt werden:

LK = Uind / (UGen * kGen)

Die Koppelinduktivität hilft dem Anwender außerdem dabei, den passenden Steckverbinder bezüglich seiner elektromagnetischen Verträglichkeit zu definieren und kosten- sowie zeitintensive Trial-and-Error-Prüfungen im EMV-Labor zu umgehen. Hierzu ein Beispiel: Für ein HDMI-Signal wurde bei einer Spannung von 4,4 kV eine fallspezifisch maximale Koppelinduktivität von 47 pH ermittelt. Liegt der Wert darüber, wird das Signal demnach nicht mehr störungsfrei übertragen.

Leiterplattensteckverbinder für Vibration und Schock

Doch nicht nur elektromagnentische Einflüsse gefährden die Übertragung der Highspeed-Signale. Speziell im Automotive-Einsatz sind Steckverbinder auch wiederholt extremen Umweltbedingungen wie Vibration und Schock ausgesetzt. Damit die Signalübertragung auch im rauen Umfeld unterbrechungsfrei abläuft, muss der Steckverbinder besonders robust sein. Hierbei spielen in erster Linie Kontaktdesign, Kontaktsystem und Anschlusstechnik eine entscheidende Rolle.

Klassische zweiteilige Steckverbinder verfügen über einen Messer- und einen Federkontakt. Im Falle starker Schockeinwirkung kann die Messerleiste von der Federleiste abheben. Damit es nicht zu einer solchen Kontaktunterbrechung kommt, sorgt eine doppelseitige Federleiste für Redundanz und somit für Kontaktsicherheit, denn durch die zweite Feder ist die Signalübertragung zu jeder Zeit mindestens über einen Kontaktpunkt sichergestellt. Noch robuster sind Steckverbinder mit genderneutralem Kontaktsystem, bei dem Plug und Socket identische Kontaktgeometrien haben. Beide verfügen über eine Feder als auch ein Messer.

So wird jeder Pin von zwei Federn kontaktiert, Plug und Socket sind dabei ineinander verschränkt und können nicht voneinander abheben. Während eine doppelseitige Federleiste unter mechanischer Belastung immer mindestens einen Kontaktpunkt sicherstellt, gewährleisten die verschränkten Geometrien bei genderneutralen Kontaktsystemen, dass die Signalübertragung immer über zwei Kontaktpunkte läuft. Diese hohe Redundanz ermöglicht somit maximale Kontaktsicherheit.

Die passende Anschlusstechnik: SMT-Kriterien

Als Anschlusstechnik empfiehlt sich die Surface-Mount-Technologie (SMT), mit der sich stabile Verbindungen zwischen Leiterplatte und Steckverbinder realisieren lassen. Dazu müssen jedoch einige Kriterien erfüllt sein: Zunächst ist für eine normkonforme IPC-A-610-Lötstelle das richtige Verhältnis von Lötfuß, Lötpad und Lotpaste einzuhalten. Nur so wird eine qualitativ hochwertige Verbindung hergestellt, die einen Anschluss nach IPC-Klasse 3 ermöglicht, sich also für den Einsatz in der Hochleistungselektronik eignet. Ausfälle in der Signalübertragung müssen in dieser Klasse zu jeder Zeit ausgeschlossen sein.

Eine optimale Lötverbindung erkennt man an der gleichmäßigen Meniskusausbildung. Der Kontakt muss umlaufend mit Lötmeniskus umschlossen sein, um die besten Haltekräfte auf der Leiterplatte zu erreichen. Die Koplanarität der Kontaktfüße ist dabei Voraussetzung für eine hervorragende Verbindung, diese wird prozessbegleitend einer 100 % automatisierten Inspektion unterzogen.

Fazit: Aktuelle Entwicklungen in der Automotive-Branche stellen immer neue Anforderungen an die verbauten Steckverbinder. Ihre Rolle gewinnt gerade durch den Wandel zu einer zentralen Datenverarbeitung mittels HPC in Steuergeräten an Bedeutung: Zuverlässigkeit in der Signalübertragung war noch nie so wichtig wie heute. (kr)

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Power of Electronics
(Bild: VCG)

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* Martin Adamczyk ist in der Steckverbinderentwicklung bei EPT in Peiting tätig.

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