Türkisches Elektroauto Togg: Autos die wegen ihrer Software gekauft werden

Quelle: sp-x

Für Togg-Chef Mehmet Gürcan Karakas ist Blech eigentlich Nebensache. Worauf es ankommt, sind Dienste und Software-Anwendungen, die so gut sind, dass die Kunden nur deswegen seine Autos kaufen.

Mehmet Gürcan Karakaş: „Das Geld steckt nicht mehr in der Hardware.“
Mehmet Gürcan Karakaş: „Das Geld steckt nicht mehr in der Hardware.“
(Togg)

Er kommt aus der Türkei, konkurriert mit den Chinesen und sitzt auf dem Messestand in Las Vegas, doch das Gespräch führt er freudig auf Deutsch. Mehmet Gürcan Karakaş ist dankbar für jede Gelegenheit, seine Sprachkenntnisse zu polieren, die er sich in den 30 Jahren bei Bosch erworben hat. Aber der smarte Manager, der vom Bereichsvorstand bei den Schwaben zum Chef des Konsortiums Togg geworden ist, hat in seiner Zeit in Stuttgart nicht nur deutsch gelernt, sondern, wie die Automobilindustrie tickt. Und weiß deshalb auch, warum sie gerade aus dem Takt gerät.

Das Leben und vor allem das Geschäft, so seine Erkenntnis, spielt sich nicht mehr auf der Straße ab, sondern im Internet. Nicht umsonst versuchten alle Hersteller, irgendwie das Netz ins Auto zu bekommen. „Doch diese Versuche sind zum Scheitern verurteilt“, sagt Karakaş und will es umgekehrt probieren: „Wir holen das Auto ins Netz und machen es zum Teil eines umfassenden Ökosystems.“

Wenn wir es im Heimatland nicht schaffen, dann brauchen wir es auch sonst nirgends zu versuchen.

Mehmet Gürcan Karakaş

„Wir wollen kein weiterer Foxconn sein“

Denn anders als in den letzten 100 Jahren stecke das Geld nicht mehr in der Hardware, also im Auto, sondern in den Daten und im Zugang zum Fahrer, sagt der Manager und vergleicht das Auto einmal mehr mit dem Smartphone. Wer diesen Wandel nicht schaffe, der steige ab zu einem Hardware-Hersteller. „Wir wollen kein weiterer Foxconn sein, sondern ein Apple“, so Karakaş, der sein Geld deshalb irgendwann mit den Diensten und Daten und nicht mehr mit dem Auto selbst verdienen will. Und zwar lieber morgen als übermorgen.

„Dafür muss ein Auto allerdings grundsätzlich anders konstruiert sein als bisher“, sagt der ehemalige Bosch-Manager und lenkt den Blick auf das „Advanced Smart Mobility Ökosystem“, das seine Truppe mit nach Las Vegas gebracht hat. Auf den ersten Blick ist das eine moderne, aber keineswegs visionäre Coupé-Limousine aus der Kompaktklasse mit den mittlerweile üblichen Bildschirmlandschaften, deren Form im Zusammenspiel von Pininfarina und dem ehemalige VW-Designchef Murat Günak entstanden ist.

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Vier Steuergeräte statt 100

Aber auf den zweiten Blick ist der Viertürer vor allem ein Rechner auf Rädern, der mit einer neuen Elektronik-Architektur bestechen will, die Karakaş so wichtig ist, wie anderen Herstellern die Plattform. Sie, und nicht die Bodengruppe, sei künftig das zentrale, wettbewerbsrelevante Element eines Autos und damit ausschlaggebend für den Erfolg.

Deshalb erzählt Karakaş weniger von Leistung und Reichweite der natürlich elektrisch angetriebenen Limousine als von den vier statt der sonst über 100 Steuergeräten und vom neuartigen Betriebssystem mit künstlicher Intelligenz und umfassender Vernetzung, das völlig neue Services ermögliche.

Funktionen, die es nirgends sonst gibt

Nicht nur die intermodale Routenplanung werde damit zum Kinderspiel, zum ersten Mal könne man Services wie andere Verkehrsmittel aus dem Auto heraus problemlos bezahlen. „Und diese Bezahlfunktion ist nur eine von über 20 neuen Anwendungen, die wir gemeinsam mit potenziellen Kunden aus über 1.000 Ideen als begehrenswerte Dienstleistungen identifiziert und für unsere Autos umgesetzt haben.“ Viel genauer wird er noch nicht, doch seien das alles Funktionen, die es noch nirgends gäbe – und die begehrenswert genug seien, um Kunden zum Umsteigen zu bewegen.

Der Ansatz ist freilich nicht ganz neu und schwingt so bei fast allen Start-ups mit – egal, ob sie nun Byton, Lucid oder Nio heißen. Was neu ist, das sind Toggs Ursprünge. Denn Karakaş Firma ist kein Start-up und kommt weder aus China noch aus den USA. Togg kommt aus der Türkei und heißt ausgeschrieben Türkiye’nin Otomobili Girişim Grubu oder zu deutsch: Türkische Automobil Initiativ-Gruppe und ist ein der Zusammenschluss vier großer Unternehmen aus dem Einzelhandel, dem Lkw-Bau und der Logistik.

Das macht die Sache spannend. Denn die Türkei ist auf der automobilen Weltkarte bislang noch ein ziemlich weißer Fleck. So bauen zwar am Bosporus jedes Jahr hunderttausende Autos wie den Ford Transit oder den Fiat Tipo im Fremdauftrag, doch mehr als die drei Prototypen des Devrim aus den 1960ern haben sie im eigenen Namen noch nicht zu Wege gebracht.

Erdogan vor den Karren spannen

Mit dem Anspruch, das zu ändern, ist Karakaş angetreten, hat 3,5 Milliarden Euro budgetiert, die Industrie- und Handelskammer mit ins Boot genommen und eine imposante Aufholjagd gestartet. Kein Wunder, dass sich Präsident Erdogan da gerne vor den Karren spannen lässt und immer mal wieder auf die Premierenbühne drängt.

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Zwar hat Karakaş bislang nur hochtrabende Pläne und große Hoffnungen. Doch bald will er Tatsachen schaffen: Der Rohbau für die Fabrik in Gemlik im Nordwesten ist fertig, gerade stellen sie die ersten Fertigungsstraßen auf und im Winter soll die auf zunächst 125.000 Einheiten im Jahr ausgelegte Produktion beginnen.

Los geht es allerdings nicht mit der futuristischen Limousine aus Las Vegas, sondern mit einem vergleichsweise konventionellen SUV, das man obendrein noch kaufen muss und nicht als Service buchen kann, wie sich Karakaş das für später mal vorstellt. Es gibt den Erstling im Format des BMW iX3 mit 200 oder 400 PS und 300 oder 500 Kilometern Reichweite und die Preise sollen sich auf dem Niveau konventioneller Konkurrenten wie dem Nissan Qashqai, dem Peugeot 3008 oder dem VW Tiguan bewegen, sagt Karakaş. „Wenn wir die schlagen können, müssen wir uns über den Wettbewerb mit elektrischen SUV keine Sorgen machen.“

Türkei ist elektromobiles Entwicklungsland

Muss er sich auch sonst nicht, zumindest nicht fürs erste. Denn bislang ist die Türkei in Sachen Elektromobilität ein Entwicklungsland. „Es gibt kaum Autos und noch keine Infrastruktur“, räumt Karakaş ein. Doch mit der engen Verbindung zum Staat will der Togg-Chef das zügig ändern, hat mit der Regierung einen Plan ausgearbeitet und der Politik ein Netzwerk mit rund 250.000 Ladesäulen vorgeschlagen, die für eine Erstausstattung des Landes reichen sollten. „Bei 30.000 Euro pro Ladestation ist das eine überschaubare Investition.“

Obwohl es sicher bessere Länder gäbe für den Erstaufschlag, will Karakaş trotzdem erst einmal in der Türkei starten. Das ist für ihn nicht nur eine Frage der Ehre, sondern eine Frage des Erfolgs. Denn „wenn wir es im Heimatland nicht schaffen, dann brauchen wir es auch sonst nirgends zu versuchen“.

Doch wenn Togg in der Türkei erfolgreich durchstartet, dann steht für Karakaş bereits 2024 der Export an und dann ist Deutschland ganz vorne mit dabei. Gut möglich also, dass der ehemalige Bosch-Manager seine Sprachkenntnisse spätestens in zwei Jahren wieder etwas öfter unter Beweis stellen kann – und dafür nicht erst nach Las Vegas reisen muss.

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