Neue Modelle Volkswagen Atlas: Das SUV

Autor / Redakteur: Jens Meiners / Thomas Günnel

Lange mussten sich die US-amerikanischen Volkswagen-Händler gedulden, bis sie ihren Kunden ein großes SUV anbieten konnten. Jetzt steht der VW Atlas kurz vor dem Marktstart.

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In den USA steht der Volkswagen Atlas kurz vor dem Marktstart.
In den USA steht der Volkswagen Atlas kurz vor dem Marktstart.
(Bild: Jeff Jablansky)

Es muss für die Volkswagen-Ingenieure eine gänzlich neue Erfahrung gewesen sein. Eigentlich darauf bedacht, mit gegebenem Raum so effizient wie möglich umzugehen, beschied ihnen die befragte US-Klientel: „Zu klein“. Was VW auf Basis der Crossblue-Studie von 2013 auf die Räder gestellt hatte, war den als Kundschaft avisierten Familienoberhäuptern nicht eindrucksvoll genug. Und so wuchs das Auto, die Linien stapelten sich, haushoch türmte sich die Motorhaube. 5,04 Meter Länge, 1,99 Meter Breite und 1,78 Meter Höhe sprechen für sich.

Eindrucksvoll sieht es nun tatsächlich aus, was VW unter der Modellbezeichnung Atlas auf die Räder gestellt hat, und geradezu verloren wirkt die größere der zwei lieferbaren Maschinen, ein quer montierter 3,6-Liter-VR6, im gewaltigen Motorraum. Hier hätte nach erstem Augenschein ein W12-Aggregat, zumindest aber eine turboaufgeladene Variante der hier verbauten VR6-Maschine locker Platz. In China gibt es so einen Motor schon.

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Sechs Zylinder gehören zum guten Ton

Er würde auch dem Atlas gut stehen. Denn ein Beschleunigungswunder ist dieses SUV mit dem frei saugenden VR6 nicht. Dafür geht er seidenweich und höchst komfortabel ans Werk; der ungewöhnlich konstruierte Sechszylinder ist zwar kein Sparwunder, aber ein eindrucksvoll charakterstarkes Triebwerk. Natürlich kann der Einstiegsmotor, eine 238 PS starke Variante des 2,0-Liter-Vierzylinder-Turbo, alles praktisch genauso gut. Aber für viele Amerikaner gehört in dieser Klasse ein Sechszylinder einfach zum guten Ton.

Wer den Atlas mit Allradantrieb ordern will, hat auch gar keine andere Wahl: Es gibt ihn nur beim VR6. Zum Lieferumfang gehört dann ein Drehknopf, mit dem ein Allrad-Modus vorgewählt werden kann. Dabei orientiert man sich zuverlässig an den Bedürfnissen einer Klientel, die wenig Wert auf fahrdynamische Extratouren legt. Im „Snow“-Modus beispielsweise wird einfach Leistung weggeregelt, wenn die Sensoren Schlupf detektieren. Und überhaupt schickt das System maximal 50 Prozent Drehmoment auf die Hinterachse.

Kein Schalter, kein Diesel

Alle Atlas-Varianten sind mit einer von Aisin zugelieferten Achtstufen-Automatik ausgerüstet; eine Handschaltung gibt es ebensowenig wie eine TDI-Maschine, obwohl VW den Atlas eigentlich gerade mit diesem Motor in großen Stückzahlen absetzen wollte. Der Diesel-Skandal kam dazwischen. Stilistisch lassen sich die beiden Motorvarianten übrigens nicht unterscheiden: Beide verfügen über eine zweiflutige Auspuffanlage, die bescheiden nach unten abknickt. Die chromglitzernden Parallelogramme in der Heckschürze sind reine Attrappe.

Das optische Gefühl eines schweren Wagens vermittelt der Atlas auch von innen: Man steigt aufrecht ein in diesen Fünfmeter-Meter-Geländewagen – und genießt äußerst großzügige Platzverhältnisse. Vor Fahrer und Beifahrer erstreckt sich die Armaturentafel in die Horizontale, das Platzangebot ist auch in der zweiten und dritten Reihe vorbildlich. Die mittlere Sitzbank kann variabel verschoben werden, und der Einstieg in die dritte Reihe geht auch für Großgewachsene leicht vonstatten. Dahinter bleibt immer noch ein ansehnlicher Kofferraum übrig, der übrigens mit pfiffigen Ideen glänzt – beispielsweise einer Verstaumöglichkeit für das Heckrollo. Bei den meisten Konkurrenten muss das Utensil, sofern es im Wege steht, in der heimischen Garage bleiben.

Das in VW-Manier kantig gezeichnete Cockpit wartet mit schönen Details auf – beispielsweise einem äußerst schnell reagierenden Infotainment-System und einer optional lieferbaren digitalen Instrumentierung mit TFT-Bildschirm. Die Schalter rasten präzise ein, das Infotainment-System verfügt über Näherungs-Sensoren, und der Schaltknauf ist sehr hochwertig ausgeführt. An anderer Stelle wurde allerdings geknausert. So ist die Ziernaht auf der Armaturentafel lediglich eingeschäumt; die Dekorleisten, die eine Holz-Metall-Kombination simulieren sollen, können ihren wahren Materialcharakter keinesfalls verleugnen. Und mit den Schweißnähten und -punkten in den Türzargen hätte man sich bei Ferdinand Piech wohl kaum blicken lassen dürfen.

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Gelassen reisen

Doch um davon Notiz zu nehmen, muss man schon genau hinsehen. Denn der Gesamteindruck ist positiv: Der Atlas ist ausgesprochen leise und komfortabel, gelassenes Reisen steht hier im Vordergrund. Natürlich ist dieser SUV ein echter VW, die Lenkung funktioniert präziser als bei der Konkurrenz, und der Aufbau lässt sich auch auf holprigen Pisten kaum aus der Ruhe bringen. Von der geradezu unwirklichen Agilität jedoch, die beispielsweise einen mit den entsprechenden Fahrwerksystemen ausgerüsteten Audi Q7 auszeichnet, ist er weit entfernt. Man wird diesen für Amerika gebauten SUV nicht mit einem Sportwagen verwechseln.

Übrigens auch nicht mit einem Luxusauto. Dazu fehlen ihm nicht nur der letzte Schliff in der Anmutung, sondern auch zu viele Details, die in der Oberklasse vorausgesetzt werden – etwa ein Head-Up-Display oder auch eine Wifi-Funktion, mit der viele GM-Modelle inzwischen zum mobilen Hotspot werden. Die Ausstattungsvarianten hören übrigens auf die Bezeichnung S, SE und SEL. Es handelt sich dabei nicht etwa um eine Verneigung vor früheren Generationen der Mercedes-S-Klasse, sondern um eine von den US-Händlern gewünschte Nomenklatur, die nach dem Motto zu interpretieren ist: „Mehr ist mehr.“

Zum Kampfpreis auf den schwierigen US-Markt

In den USA tritt der in Tennessee gebaute VW Atlas zum Kampfpreis an; ganze 30.500 Dollar – rund 28.600 Euro – kostet das Einstiegsmodell, ein VR6 mit Allradantrieb liegt bei immer noch günstigen 33.700 Dollar (31.600 Euro), und selbst mit absoluter Vollausstattung wird die 50.000-Dollar-Marke nicht erreicht. Das ist kein schlechtes Angebot für dieses eindrucksvollen Familien-SUV der Fünfmeter-Klasse. Für Deutschland wäre er zu groß – und wohl auch nicht „premium“ genug.

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