Fahrerassistenzsysteme Kommentar: So wird Deutschland wieder führend beim autonomen Fahren

Von Jan Becker*

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Deutschland hat als eines der ersten europäischen Länder Tests autonomer Fahrzeuge nach „Level 4“ auf öffentlichen Straßen erlaubt. Jetzt müssen weitere Schritte folgen, um zur Weltspitze zurückzufinden.

Jan Becker ist CEO und Gründer von Apex AI und außerdem Lehrbeauftragter an der Stanford University.
Jan Becker ist CEO und Gründer von Apex AI und außerdem Lehrbeauftragter an der Stanford University.
(Bild: Apex AI)

„Deutschland soll weiterhin international die Nummer 1 beim autonomen Fahren bleiben.“ Das wünscht sich der Bundesverkehrsminister in einer Pressemitteilung, die ein kürzlich veröffentlichtes Gesetz des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur flankiert.

Mit diesem Gesetz besitzt Deutschland zwar eine Grundlage für Tests autonomer Autos nach SAE Stufe 4 auf der Straße. Führend ist Deutschland bei dieser Technologie allerdings bereits seit Jahren nicht mehr. Und: Um Deutschland wieder auf Platz eins zurückzubringen, wird der gesetzliche Rahmen nicht reichen. Eine ganze Reihe weiterer ambitionierter Maßnahmen müssen folgen.

In Deutschland war das Interesse am autonomen Fahren marginal.

Leider fehlen Ambitionen in Deutschland und das Epizentrum des autonomen Fahrens hat sich bereits in der Mitte der 2000er Jahre an die Stanford Universität verlagert, an der ich seit 2010 lehre. Hier haben die von der US-Regierung veranstalteten Wettbewerbe „Grand Challenge“ und „Urban Challenge“ die Forscher davon überzeugt, dass autonome Fahrzeuge in naher Zukunft real werden können.

In Deutschland war das Interesse am autonomen Fahren dagegen marginal. Hier herrschte weiterhin die Meinung, dass es noch Jahrzehnte dauern würde, bis die Technik reif für Serienfahrzeuge sei.

Autonom Fahren im Silicon Valley

Eine Hoffnung des Bundesverkehrsministers, nämlich dass „Deutschland als erstes Land weltweit autonome Fahrzeuge aus den Forschungslaboren auf die Straße holen wird“, ist völlig unbegründet. Denn im Silicon Valley ist dies schon längst Realität. Tatsächlich legt die US-Regierung bereits seit Anfang 2017 jährlich Strategiepapiere zum autonomen Fahren vor, deren Grundlagen ich im Jahr 2016 mitgestaltet habe.

Strategisch liegt Kalifornien vorn. Dort wurde schon 2012 ein Gesetz veröffentlicht, das Tests mit autonom fahrenden Prototypen reguliert, und inzwischen auch die kommerzielle Inbetriebnahme autonomer Fahrzeuge. Bereits im vergangenen Jahr haben die ersten kommerziellen, autonomen Mobile ihren Betrieb aufgenommen. Mittlerweile sind in Kalifornien über 600 autonome Fahrzeuge registriert, und die von ihnen gefahrenen Testkilometer werden zentral erfasst. Mehr als 20 Millionen sind inzwischen zusammengekommen. Wie sehen die Zahlen eigentlich in Deutschland aus?

Deutschland vs. USA

Mit meiner 2017 gegründeten Software-Firma Apex AI sind wir im Silicon Valley, aber auch in München und Berlin vertreten. Wir haben unter anderem ein Betriebssystem für autonome Autos entwickelt. Daher kenne ich die Situation in Deutschland und in den USA sehr genau. Meine Erfahrungen aus den Standorten erlauben es mir, die ökonomischen und praktischen Rahmenbedingungen direkt miteinander zu vergleichen. Ein Vergleich, der Deutschlands Aufholpotenzial zeigt.

Ein entscheidendes Thema ist das Venture Capital Funding. Im Jahr 2019 wurden laut OECD in den USA 135 Milliarden US-Dollar Risikokapital investiert, in Deutschland lediglich gut zwei Milliarden Euro. Ein gründerfreundliches Investitionsklima sieht anders aus.

Eine Herausforderung ist auch das Testen der neuen Technologie. Mir sind keine Start-ups oder Unternehmen in der Größe meines Unternehmens bekannt, die in Deutschland auf öffentlichen Straßen testen. In den USA erproben mit uns dagegen etwa 60 andere, große und kleine Unternehmen diese Technologie.

USA: fördert öffentliche Testgelände

Fahrten auf Testgeländen können den Erprobungsbetrieb auf öffentlichen Straßen ergänzen oder sogar teilweise ersetzen. Daher wurden in den USA in den letzten Jahren eine Reihe von öffentlich geförderten Testgeländen speziell für autonome Fahrzeuge eröffnet. Auch kleine Firmen können sie tage- oder stundenweise nutzen. Das sind nahezu optimale Verhältnisse.

In Deutschland existieren dagegen lediglich das „Digitale Testfeld Autobahn“ auf der A9 und wenige Kilometer Teststrecke in Hamburg. Für Forschung und Erprobung – gerade von SAE Stufe 4 Fahrzeugen – sind aber eher geschlossene Anlagen praktischer und vor allem sicherer. Bestehende Verkehrsübungsplätze sollten so erweitert werden, dass Firmen diese zur Erprobung nutzen können. Hier sollte die Politik einwirken.

Deutschland fördert die Wissenschaft

Es gibt aber auch ein Feld, da liegt Deutschland ganz klar vorn: bei der öffentlichen Förderung wissenschaftlicher Projekte. Leider sind die Maßnahmen für agile Unternehmen wie unseres aber wenig interessant. Denn unsere Stärke, die auf der Silicon-Valley Kultur beruht, ist es, schnell zu entwickeln und agil zu planen. Wir haben unser erstes Produkt „Apex OS“ in Kalifornien in nur drei Jahren realisiert. Mit dieser Geschwindigkeit sind öffentlich geförderte Projekte kaum kompatibel.

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Für das autonome Fahren in Deutschland sehe ich dennoch gute Chancen. Denn die Gesetzesinitiative ist eine geeignete Grundlage, an der sich weitere europäische Länder orientieren können. Das Gesetz muss allerdings von zusätzlichen ambitionierten und praxisrelevanten Maßnahmen begleitet werden. Nach meiner Einschätzung ist vor allem das Bereitstellen von Infrastruktur ein wesentlicher Schlüssel, damit Deutschland beim autonomen Fahren wieder Nummer 1 wird.

Wer ist Jan Becker?

Jan Becker ist CEO und Gründer von Apex AI und seit 2010 Lehrbeauftragter an der Stanford University für autonome Fahrzeuge und Fahrerassistenz. Im Jahr 2019 wurde Becker als Berater in den externen Beirat von Marelli berufen.
Zuvor war er bei Faraday Future verantwortlich für das autonome Fahren und bei Robert Bosch LLC für das automatisierte Fahren in Nordamerika. Er war zudem Fachreferent im Bosch Research and Technology Center in Palo Alto, USA, und im Corporate Research bei Bosch in Deutschland.
Als Gastwissenschaftler am Artificial Intelligence Lab der Universität und Mitglied des Stanford Racing Teams war er an der „Darpa Urban Challenge“ 2007 beteiligt. Im Jahr 2018 hat er die Autoware Foundation mitgegründet und war von 2018 bis 2020 im Vorstand der Stiftung.
Jan Becker hat seinen Doktortitel in Regelungstechnik an der Technischen Universität Braunschweig erworben und hält einen Master-Titel für Maschinenbau und Luft- und Raumfahrttechnik der State University of New York at Buffalo, USA. Außerdem einen Master-Abschluss in Elektrotechnik der Technischen Universität Darmstadt.

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