Automobilzulieferer Schaeffler-Automotive-CEO Matthias Zink: „Wertschöpfung für Lieferanten wird kleiner“
Während die E-Mobilität weiter Fahrt aufnimmt, bleibt für die Zulieferer immer weniger von der Wertschöpfung. Matthias Zink von Schaeffler und Martin Koers vom VDA sprechen Klartext.
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Mit einem Umsatzanteil von mehr als 80 Prozent mit Produkten für Verbrennungsmotoren ist die Schaeffler AG erheblich von der Transformation der Antriebstechniken betroffen. „Dieselgate, die Absatzkrise ab 2019 und Corona sind die aktuellen Herausforderungen. Mittelfristig werden die Elektrifizierung und das autonome Fahren die Unternehmen und den Markt umkrempeln“, sagte Matthias Zink, Automotive-Chef der Schaeffler AG, beim vorweihnachtlichen Online-Automotive-Gipfel-Talk des „Wirtschaftsverband Industrieller Unternehmen Baden e. V.“, kurz WVIB Schwarzwald.
Unsere Mitglieder glauben mehrheitlich, dass ihre Produktion in Deutschland bis 2022 wieder den Vor-Corona-Stand erreichen könnte.
Folgen von Corona nicht eindeutig vorhersehbar
Den drastischen Rückgang der weltweiten Pkw-Produktion im Jahr 2020 um etwa 17 Prozent werde man Analysten zufolge wohl erst in drei bis vier Jahren wieder kompensieren können; Schaeffler plant noch etwas konservativer und rechnet mit fünf Jahren Kompensationszeit. „Die Folgen von Corona auf den Fahrzeugabsatz können wir schlichtweg nicht seriös vorhersagen“, bedauerte Zink.
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Wirtschaftsausblick
Wird 2021 noch härter für die Automobilindustrie?
Eine Spur optimistischer äußerte sich VDA-Geschäftsführer Martin Koers: „In einer Zuliefererumfrage gaben unsere Mitglieder mehrheitlich an, dass ihre Produktion in Deutschland bis 2022 wieder den Vor-Corona-Stand erreichen könnte.“
Wertschöpfungskuchen für Lieferanten wird kleiner
Die aktuellen Personalanpassungen in der Branche sieht Zink nur zum Teil als Reaktion auf die Corona-Absatzkrise. Zusätzlich würde jetzt auf die früheren Überinvestition in Humankapital reagiert. Hinzu komme ein Vorgriff auf die geringere Wertschöpfung des Elektroantriebs. „Wenn es in die Vollelektrifizierung geht, wollen die OEMs durch eine hohe Fertigungstiefe ihre Strukturen auslasten. Deshalb wird der Wertschöpfungskuchen für die Lieferanten kleiner und es wird eine Konsolidierung geben“, so Zink.
Mit welchen Instrumenten die Wirtschaftspolitik stimulieren könnte, ermittelte die VDA-Zuliefererumfrage ebenfalls. Ganz oben auf der Wunschliste standen Aspekte wie Bürokratieabbau, realistische Klimaziele, Technologieoffenheit bei Energieträgern und die Förderung der Ladeinfrastruktur. Die oft gewünschten Kaufprämien auch für Neufahrzeuge mit Verbrennungsmotor sieht Martin Koers hingegen als „totgerittenes Pferd“, das so wohl nicht mehr kommen wird. E-Autos nähmen Fahrt auf.
Elektromobilität: Stark wachsender Markt
Folge der eindeutigen Incentive-Fokussierung auf die Elektromobilität ist ein stark wachsender Markt in Europa, sodass der VDA von einem „massiven Durchbruch“ spricht. So wurden in Europa schon bis zum 31. August 2020 doppelt so viele Elektro- und Hybridfahrzeuge verkauft wie im gesamten Vorjahr. In Deutschland lag der Anteil an der Gesamtproduktion bei elf Prozent und damit ebenfalls gut doppelt so hoch wie im Vorjahr.
Wie stark der Elektroantrieb mittelfristig an Fahrt gewinnt, lässt sich am Szenario von Schaeffler festmachen, das im Jahr 2017 für das Zieljahr 2030 etwa 30 Prozent Verbrennungsmotoren, 40 Prozent Hybridantriebe und 30 Prozent batterieelektrische Antriebe bei den weltweiten Pkw-Neuzulassungen vorhersagte.
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Wasserstoff-Kooperationen
Wie Autohersteller und Zulieferer die Brennstoffzellentechnik entwickeln
Mathias Zink: „Damals wurde unser Szenario als sehr aggressiv bezeichnet. Heute ist es von der Realität bereits überholt. Sollten die sehr scharfen CO2-Vorstellungen der EU Geltung erlangen, rechnen wir im Jahr 2035 mit 50 Prozent batterieelektrischen Antrieben, 35 Prozent Hybridantrieben und nur noch 15 Prozent Verbrennungsmotoren.“
OEMs bewegen sich alle in die E-Mobilität
Dieser Paradigmenwechsel war in den vergangenen Monaten praktisch bei allen deutschen OEMs zu beobachten. BMW verschiebt seinen bislang relativ technikoffenen Ansatz auffällig in Richtung Elektromobilität, Volkswagen klont sein Flaggschiff Golf in Form des elektrischen ID 3 und auch Daimler steuert den Stern energisch in Richtung E-Mobilität. Parallel dazu scheinen die F&E-Aktivitäten für Verbrennungsmotoren langsam zu versiegen.
International dominiert Tesla die Headlines: Elon Musk will nach eigenen Angaben im Jahr 2030 jährlich 20 Millionen Elektrofahrzeuge bauen. Zurückhaltender agiert Toyota – manche sagen auch seriöser, mit defensiveren Zielen und höheren Realisierungswahrscheinlichkeiten.
Mit den angepeilten zehn Prozent an batterieelektrischen Antrieben würden die Japaner die CO2-Flottenverbrauchsziele für 2030 jedoch nicht erfüllen. „Ich rechne stark damit, dass Toyota bis dahin die Brennstoffzelle massiv in den Markt bringen wird. Ohnehin gehen Toyota und Japan – ebenso wie Hyundai und Südkorea – die Wasserstoffwirtschaft holistischer und deutlich konsequenter als wir Europäer an“ , kommentierte Zink.
Bei der VDA-Umfrage gaben nur etwa 60 Prozent der Zulieferer an, dass sie am wachsenden Markt der Elektromobilität partizipierten. Schaeffler jedoch hat gemäß Zink im Vorgriff auf diese Transformation seine E-Antriebs-Kompetenzen erweitert, strategische Akquisitionen getätigt und sich auf institutioneller und F&E-Ebene vernetzt.
Projekt „Agilodrive“: Regionale Wertschöpfungskette für E-Motoren
So hat das Unternehmen zum Beispiel mit Unterstützung der baden-württembergischen Landesregierung und dem Karlsruher Institut für Technologie das Projekt „Agilodrive“ auf den Weg gebracht. Dessen Ziel ist es, Elektromotoren in variabler Technologie und Stückzahl künftig wirtschaftlich in Deutschland produzieren zu können. Die Integration von Produkt- und Produktionsbaukästen soll zu einer regionalen Wertschöpfungskette für Elektromotoren in Baden-Württemberg führen.
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Schaeffler
E-Autos auch 2025 preislich nicht konkurrenzfähig
Die eigenen Standorte hat man nach den Prinzipien der „Ultraeffizienzfabrik“ optimieren lassen und die Belegschaft wurde intensiv für neue Herausforderungen geschult. Mit dem vielseitigen Weiterbildungsprogramm konnten mehr als 1.100 Werker und Ingenieure für neue Aufgaben in der E-Mobilität qualifiziert und so Entlassungen am Standort Bühl vermieden werden.
Der E-Antrieb der Zukunft ist noch nicht erfunden
Produktseitig hat Schaeffler in den letzten Jahren Aufträge für die Vorder- und Hinterachsgetriebe des Audi E-Tron gewonnen, für das Vorderachsgetriebe des Porsche Cayenne und für Hybridmodule bei diversen Ford-Modellen. Hinzu kommen dedizierte Hybridgetriebe und mehrere Aufträge für E-Motoren. Für letztere errichtete der Zulieferer ein neues Werk in Szombathely/Ungarn.
„Wir haben aber auch bewusst eine E-Motoren-Fertigung am Standort Bühl aufgebaut,“ erläuterte Zink. „Denn wir sehen nach wie vor Innovationspotenzial bei Elektromotoren über neue Wickel-, Stanz- und Werkzeugtechniken. Der E-Antrieb der Zukunft ist noch nicht erfunden.“
Kleinserien als sinnvolle Ergänzung
Als sinnvolle Ergänzung betrachtet Schaeffler Kleinserien. So habe man zusammen mit Volkswagen Nutzfahrzeuge und Abt den T6 Bully für kommunale Anwendungen elektrifiziert. Schaeffler unterstütze den Kleinserieumbau vor allem mit Entwicklungs- und Industrialisierung-Know-how und wolle so sein Gesamtsystemverständnis für den Elektroantrieb verbessern.
Neuland betritt Schaeffler auch bei der Brennstoffzelle, wo der Zulieferer für sein Beschichtungs-, Umformungs- und Fertigungs-Know-how perspektivisch spannende Aufgaben sieht. „Wir gehen bewusst in neue Segmente und lassen uns von der aktuellen Situation nicht entmutigen“, sagt Zink. Natürlich sei hier ein Hauch Zweckoptimismus dabei, denn die Lage ist sehr angespannt. Aber nur mit Pioniergeist ließen sich die Produkte der Zukunft mitgestalten.
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