Analyse Elektrisches Happy End für VW in den USA

Quelle: sp-x

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VW und die USA – das ist eine Geschichte mit mehr Tiefen als Höhen. Doch jetzt spielt ihnen die Wende zur E-Mobilität in die Karten und es könnte vielleicht doch noch klappen mit einem Happy End.

Mit neuen Elektromodellen könnte VW in den USA wieder in die Erfolgsspur zurückkehren.
Mit neuen Elektromodellen könnte VW in den USA wieder in die Erfolgsspur zurückkehren.
(Bild: VW)

Von wegen Chattanooga Choo Choo – früher mag es mal ein Dampfzug gewesen sein, der die Stadt in Tennessee berühmt gemacht hat. Doch nun ist es ein Autohersteller aus Deutschland, der die für amerikanische Verhältnisse kleine Agglomeration von nicht einmal 200.000 Menschen am Tennessee River in den Schlagzeilen hält.

Denn seit elf Jahren betreibt VW hier sein einziges Werk in den USA und macht Chattanooga so zum Dreh- und Angelpunkt in einer ausgesprochen wechselvollen Geschichte, die nicht erst seit dem Diesel-Skandal mehr Tiefen hat als Höhen.

Ausgerechnet auf dem weltweit wichtigsten und nach China größten Automarkt will der zweitgrößte Autohersteller der Welt einfach nicht so recht Tritt fassen und dümpelt in der Zulassungsstatistik im unteren Bereich. Sonst gerne an der Spitze oder zumindest unter den Top 5, kommt VW in den USA auf einen Marktanteil von nicht einmal drei Prozent und muss sich hinter vermeintlichen Nebendarstellern wie Subaru oder Honda einsortieren.

Keine starte Marktposition

Das schmerzt das Ego des gefühlten Weltmeisters und es ist obendrein gefährlich: „Volkswagen muss dringend seine Abhängigkeit von China reduzieren und deshalb stärker in den USA werden“, sagt Automobilwirtschaftler Stefan Bratzel.

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Zwar attestiert der Professor an der Hochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach den Niedersachsen eine ganze Reihe ernsthafter Versuche. „Doch bislang ist es ihnen nicht gelungen, eine starke Marktposition zu erreichen.“

Schon mit dem US-Werk in Chattanooga hatte VW das eigentlich ändern wollen. Doch bislang hat sich die Investition von mehr als vier Milliarden Euro nicht so richtig ausgezahlt. Denn der in Wolfsburg messerscharf am amerikanischen Geschmack vorbei entwickelte US-Passat kam zu einer Zeit in den Handel, als die SUV-Flut schon nicht mehr aufzuhalten war.

Und als die Niedersachsen dann mit dem gut 5 Meter langen Atlas und bis dato längsten Modell auf der MQB-Plattform mit reichlich Verspätung endlich ein passendes SUV-Modell nachgeschoben haben, sind sie sich mit dem Dieselskandal selbst in die Parade gefahren. Und als wäre das nicht alles schon schlimm genug, kam ihnen dann auch Corona und die Chipkrise dazwischen.

Erneuter Anlauf

Doch VW hat das Problem – mal wieder – erkannt und einen neuerlichen Anlauf genommen, den sich die Niedersachsen einiges kosten lassen: Sieben Milliarden Euro wollen sie in den nächsten fünf Jahren in den USA investieren, ihr Portfolio erweitern, ihren Auftritt stärken und ihren lokalen Fußabdruck vergrößern.

Das ist nicht utopisch, sagt Martin French, der US-Statthalter des Münchner Strategieberaters Berylls. „Klar hat VW durch Diesel-Gate viel Vertrauen verloren. Aber sie haben sich seitdem auch wieder viele Freunde gemacht“, urteilt der Experte. „Und vor allem haben sie eine große Geschichte in den USA und werden in manchen Bevölkerungsgruppen nach wie vor sehr geliebt.“

Das kann der neue US-Chef Pablo Di Si auch an den Zahlen ablesen, die seit langem mal wieder zaghaft nach oben weisen. Auch weil Corona und die Chipkrise für höhere Preise und niedrigere Rabatte gesorgt haben, konnte VW im letzten Jahr zum ersten Mal seit einer Dekade tatsächlich wieder schwarze Zahlen schreiben in den USA. Und Aufträge, viele Aufträge sogar – besonders für den ID 4, mit dem die Niedersachsen in Amerika die elektrische Revolution vorantreiben wollen.

Verkürzung der Lieferfristen

Um den Auftragsstau abzubauen und zugleich das Stammwerk in Zwickau zu entlasten, hat VW jetzt die Fabrik in Chattanooga erweitert: 800 Millionen Dollar hat Werkleiter Chris Glover dafür investiert und 1.000 neue Mitarbeiter eingestellt und so eine zusätzliche Kapazität von anfangs 7.000 Autos geschaffen, deren Auslieferung jetzt beginnt.

Zugleich holt VW damit amerikanische Zulieferer aus elf Bundesstaaten ins Boot – vom Stahl aus Alabama und Ohio über Elektronik aus Kentucky und North Carolina bis hin zur Batterie, die von SK Innovation in Georgia zur Endmontage nach Chattanooga geliefert wird.

Das nimmt aber nicht nur Druck aus dem Kessel und sollte spürbar Lieferfristen für das elektrische Aushängeschild der Wolfsburger in Amerika verkürzen. Weil mit der lokalen Fertigung auch ein neues Basis-Modell mit 62 statt 82-kWh-Akku an den Start geht, sinkt zudem der Einstiegspreis um rund 4.000 auf 37.500 Dollar und es bestätigen sich die Hoffnungen, dass damit der Verkauf weiter anzieht.

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ID Buzz: Zugnummer für Image und Absatz

Schon im dritten Quartal des Jahres hat VW über 6.600 ID 4 in den USA verkauft. Das sind zehn Prozent mehr als im gleichen Zeitraum 2021 und die bislang besten drei Monate in der jungen ID-4-Karriere. Und der ID 4 ist nur der Anfang.

Denn sehnsüchtig erwarten auch die Amerikaner den Start des ID Buzz: Die Reinkarnation des Hippie- und Surfer-Bullis weckt dort noch viel positivere Erinnerungen als auf unserer Seite des Atlantiks und wird für den Export sogar zu einer Langversion gestreckt. Und auch der ID Aero, der bis zur Markteinführung im nächsten Jahr noch zum ID 6 wird und dann gegen Autos wie das Tesla Model 3 antreten soll, könnte VW wieder ein Stück weiterbringen.

VW darf sich durchaus ein paar Hoffnungen machen, sagt Berylls-Mann French: Der ID 4 sei bei Kunden und Kritikern in den USA gut angekommen. Dass VW ausgerechnet jetzt, wo US-Präsident Biden mit dem „Inflation Reduction Act“ die lokale Produktion fördert, der Wechsel von Zwickau nach Chattanooga folgt, spiele den Niedersachsen zusätzlich in die Hände. Und mit dem ID Buzz habe VW so einen Buzz erzeugt, dass French dem elektrischen Microvan das Zeug zur Zugnummer für Image und Absatz zuschreibt.

Wiederbelebung der Kultmarke Scout

Parallel dazu plant VW den nächsten großen Schritt und will die Amis bei ihrer Seele packen: mit einem elektrischen Pick-up im Stil der Ford F150 Lightning, des Rivian R1T und vor allem des Tesla Cybertruck. Dafür wollen sie die Kultmarke Scout wiederbeleben, die über viele Umwege in ihr Markenportfolio gespült wurde und die als Erfinder des rustikalen US-Trucks gilt.

Mit der Elektrifizierung werden die Karten neu gemischt, das ist die Chance unseres Lebens, sagt Scott Keogh und hat damit beim scheidenden VW-Chef Herbert Diess offenbar ein offenes Ohr gefunden. Der hat einen dreistelligen Millionenbetrag lockergemacht, Keogh vom Leiter der US-Dependance zum Scout-Chef befördert und kurz vor seinem Abgang noch einen Pick-up und einen Geländewagen für 2025/26 in Auftrag gegeben.

„Da hat VW noch einen weiten Weg zu gehen“

„Mit den Elektroautos wie dem ID 4 und vermutlich noch wichtiger dem ID Buzz hat VW wichtige Autos, um endlich die US-Bilanz zu bessern“, ist auch Automobilwirtschaftler Ferdinand Dudenhöffer überzeugt. Und der Scout könnte einen weiteren Schritt nach vorne bringen, glaubt der Experte.

Doch bis der sich in den Zahlen zeige, werde es dauern: „Asien und China sind nach wie vor die Schwerpunkte für VW, über die Hälfte aller Autos finden dort ihren Kunden und gerade mal elf Prozent in den USA. „Da hat VW noch einen weiten Weg zu gehen“, so Dudenhöffer.

Damit der Scout dazu seinen Beitrag leisten kann, muss Keogh nicht nur eine eigene Plattform entwickeln oder einen passenden Kooperationspartner finden, weil der MEB derart rustikalen Anforderungen nicht gewachsen wäre. VW wird kaum umhinkommen, dafür auch ein neues Werk zu bauen. Denn es ist schwer vorstellbar, dass dieses ur-amerikanische Auto außerhalb des Nafta-Raumes produziert wird.

Begrenzte Produktionskapazitäten

Und immer, wenn es um Produktion geht, wird auch Werkleiter Chris Glover in Chattanooga hellhörig. Er weiß um die wichtige Rolle, die seine Fabrik im Plot für die Comeback-Story der Niedersachsen spielen könnte und bringt sich deshalb bereits in Stellung.

Denn wenn es der Konzern ernst meint mit dem neuerlichen Engagement in Amerika und mit der reduzierten Abhängigkeit von China, dann werden sie in den USA nicht nur mehr Autos verkaufen, sondern auch bauen müssen – egal ob das nun ID-Schwestermodelle wie der Audi Q4 sind oder potenzielle Bestseller wie den ID Buzz.

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„Und es liegt schließlich im Wesen unserer Baukästen, dass diese Autos alle in der gleichen Fabrik gebaut werden könnten“, sagt Glover, der so zumindest den anderen MEB-Modellen im Handumdrehen einen US-Pass ausstellen könnte. Dass seine Kapazitäten auch nach dem Ausbau für den ID 4 schon fast wieder erschöpft sind, bremst seinen Optimismus nicht: „Wir hätten hier in Chattanooga genügend Platz, um die Fabrik auf der grünen Wiese komplett zu spiegeln.“

Alles was man für einen Home run braucht

Ja, der Weg war weit und geprägt von vielen Höhen und Tiefen, doch die lange Geschichte könnte so vielleicht doch noch zu einem Happy End kommen, glaubt deshalb Berylls-Analyst French: „Mit einem lokal produzierten und hoch gelobten ID 4 im Markt, einem ID Buzz kurz vor dem Start und einem All-American Truck in der Pipeline haben die Niedersachsen alles im Rennen, was es für den überfälligen Home run braucht."

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