Corona-Krise „Einige werden überlegen, näher am Verbraucher zu produzieren“

Autor Sven Prawitz

China erholt sich langsam von der Corona-Epidemie. Berater Jochen Siebert von JSC Automotive äußert sich zur aktuellen Lage in China und mögliche Konsequenzen für den Produktionsstandort.

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China-Experte Jochen Siebert ist mit seinem Unternehmen JSC Automotive in Schanghai vertreten.
China-Experte Jochen Siebert ist mit seinem Unternehmen JSC Automotive in Schanghai vertreten.
(Bild: Michael Ryan/JSC Automotive)

Herr Siebert, laut China Passenger Car Association (CPCA) lag die Betriebsrate der 16 wichtigsten Automontagebetriebe am 3. März bereits wieder bei 84 Prozent. Wie ist die aktuelle Situation in den Werken der OEMs in China?

Diese Zahl halte ich für zu hoch. Nach meiner Einschätzung liegen die Werke der Joint Ventures internationaler Hersteller momentan bei 50 Prozent des Planvolumens, von dem man noch im Januar – also vor der massiven Ausbreitung des Coronavirus – ausgegangen war.

Laut CPCA zeigten die beiden letzten Februarwochen bereits eine deutliche Verbesserung.

Das ist richtig. Sowohl die Auslieferungen an die Händler, als auch der Absatz an Endkunden haben sich zunehmend erholt. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum lag der Verkauf von Neuwagen in den einzelnen Februarwochen bei minus 96 Prozent, minus 89, minus 83 und minus 63 Prozent. In der ersten Märzwoche war es dann ein Minus von 51 Prozent. Der Trend zeigt also in die richtige Richtung und das obwohl noch nicht alle Händler wieder geöffnet haben. Bei BMW waren zuletzt beispielsweise nur 75 Prozent der Autohäuser geöffnet. Allerdings sind momentan nicht alle Modelle lieferbar. Auf dem chinesischen Markt ist es zumindest kurzfristig eher ein Problem der Produktion, als der Nachfrage.

Im Februar sagten Sie, dass Mitte April wieder Normalität bei Produktion und Verkauf eintreten könnte. Ist das noch so zu erwarten?

Ja, davon gehen wir aus. Denn es wird erwartet, dass bis Ende März alle Wanderarbeiter wieder zurück an ihren Arbeitsorten sind. Berücksichtigt man die Quarantäne-Zeit, sollten dann Mitte April wieder alle am Arbeitsplatz sein. Das gilt auch für die Mitarbeiter in der Transportbranche, die Logistik sollte dann auch wieder funktionieren.

Das Coronavirus legt nun den Heimatmarkt westlicher Automobilfirmen lahm. Was bedeutet das für den chinesischen Markt?

Es könnte nun passieren, dass Teile, die in Europa produziert und nach China geliefert werden knapp werden. Aber das lässt sich momentan noch nicht abschätzen.

Können Sie schon abschätzen, welche Folgen die Pandemie nach sich ziehen wird? Braucht die Industrie eine „Second Source“ zu China?

Ich denke schon, dass man bei Teilen, die absolut kritisch sind, sehr wohl darüber nachdenken wird eine zweite Quelle aufzumachen. Einige werden vermutlich überlegen, ob es notwendig ist näher am Verbraucher zu produzieren. Also die Produktion von Komponenten näher an die einzelnen Werke zu holen.

Ist die Abhängigkeit vom Produktionsstandort China zu groß?

Bestimmte Teile sind in China eindeutig zu viel für den Export produziert worden – ohne einen Plan B zu haben.

Also werden die OEMs sicher auch die Lieferketten der Tier-1-Zulieferer ordentlich durchleuchten – BMW-Einkaufschef Andreas Wendt sagte gegenüber »Automobil Industrie«, dass BMW das seit einiger Zeit tue.

Die OEMs werden sicher den Tier-1s auftragen, die Abhängigkeiten in der tieferen Wertschöpfungskette zu verringern. Seit den 1990er hat man die Strategie des Low-Cost-Country-Sourcings verfolgt. Das hat auch nie größere Probleme bereitet: Krisen wie der Tsunami 2011 oder das Hochwasser in Thailand waren recht schnell überwunden. Ich glaube, diesmal wird der Übergang zum Tagesgeschäft deutlich schwieriger.

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