Safety Week 2019 Forderungen des Euro NCAP: Den Entwicklern vergeht das Lachen
350 Experten der Automobilbranche informieren sich auf der Safety Week über aktuelle Themen der Fahrzeugsicherheit, darunter die Rolle der Lichttechnik als Kommunikationsmittel. Bei der passiven Sicherheit sorgte insbesondere ein neuer Crashtest für Missmut.
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Die Vorträge von Andre Seeck, Leiter der Abteilung Fahrzeugtechnik bei der Bundesanstalt für Straßenwesen, sind eine feste Institution auf der Safety Week. In der Session „Safety Update“ stellt Seeck regelmäßig die neuen Tests von Euro NCAP, China NCAP und Japan NCAP (New Car Assessment Program) vor. Besonderes Augenmerk legt Seeck dabei auf den europäischen Verbraucherschutz, wo er im Board of Directors des Euro NCAP die Bundesrepublik Deutschland vertritt.
In den vergangenen Monaten sorgte vor allem der neue Kompatibilitätstest für Partystimmung. Vereinfacht treffen dabei in einem Crashtest ein großes Auto, zum Beispiel ein SUV, und ein Kleinwagen frontal aufeinander. Das Ziel: Herausfinden, wie stark die Insassen des kleinen Fahrzeugs in Mitleidenschaft gezogen werden.
Strengere Anforderungen
Vor Begeisterung über diesen neuen Crashtest ließ Andre Seeck auf der Bühne metaphorisch die Sektkorken knallen. Bei der Auswahl neuer Tests prüft Euro NCAP diverse Unfallstatistiken, erklärte Seeck dem Publikum. Die Arbeitsgruppen leiten aus Unfallszenarien mit vielen tödlich verunglückten Insassen entsprechende Tests ab.
So wird zum Beispiel künftig der Seitenaufpralltest verschärft: Das Gewicht der mobilen Barriere erhöht sich um 100 Kilogramm auf 1.400 Kilogramm und ist damit ebenso hoch wie im Frontalcrash. Viel schwerwiegender ist die neue Geschwindigkeit, mit der die Barriere künftig seitlich auf den Pkw trifft: 60 statt 50 km/h.
Kompatibilitätstest sorgt für Kontroverse
Doch mit seiner Partylaune stand Andre Seeck auf der Safety Week relativ alleine da: Auf seine stolze Anmerkung „nach über 20 Jahren Forschung ist Euro NCAP die erste Organisation weltweit, die eine Kompatibilitätsbewertung einführt“ erfüllte Stille den Plenarsaal. Eine Situation, die Kai Golowko, Leiter des Bereichs Fahrzeugsicherheit bei Bertrandt, später in seinem Vortrag aufgriff. „Ich kennen keinen, der sich megamäßig darüber freut, diesen Konflikt lösen zu müssen“, sagte Golowko zum neuen Kompatibilitätstest. Er selbst brachte seinen Ärger sehr deutlich zum Ausdruck: „Mir vergeht das Lachen, wenn ich die ganzen Anforderungen an die passive Sicherheit sehe.“
Den immer schärferen Vorgaben in der passiven Sicherheit hält er Statistiken entgegen, wonach ein gutes Viertel der im Auto tödlich verunglückten Menschen nicht angeschnallt war – das bei einer konstant hohen Anschnallquote in Deutschland von 98 Prozent (99 Prozent vorne, 97 Prozent hinten), wie Golowko in seiner Präsentation darstellte. Ein weiterer Grund für tödliche Unfälle sei eine zu hohe Geschwindigkeit im Moment des Aufpralls.
Vision Zero nicht erreichbar?
Golowko sagte: „Wenn wir einen großen Hebel suchen, müssen wir hier ansetzen.“ Zusätzlich verwies er darauf, dass mittlerweile die Mehrheit der im Straßenverkehr verunglückten Menschen nicht im Auto unterwegs waren. Das größte Potenzial sieht Golowko daher in der aktiven Sicherheit, zum Beispiel im automatischen Notfallbremsassistenten. Dennoch glaubt Golowko nicht an den Erfolg der Vision Zero: „Der Weg zur Vision Zero in Europa ist noch ganz weit weg“, sagte er auch vor dem Hintergrund der E-Scooter, die bald auf der Straße unterwegs sein werden.
Golowko richtete abschließend einen Appell an Seeck und das NCAP-Gremium: Geht es nach Golowko müssten die Anforderungen an die passive Sicherheit eingefroren werden. Der Zweijahresrhythmus in dem Euro NCAP neue Kriterien aufstellt, sei zu schnell für die Zyklen der Fahrzeugentwicklung. Außerdem sieht Golowko durch die Anstrengungen in der Elektromobilität reduzierte Budgets für die Fahrzeugsicherheit.
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Fahrzeugsicherheit
Neuer Crashtest: David gegen Goliath
Autos kommunizieren mit Fußgängern
Einvernehmlicher waren die Redner der Session „Safety Lighting“. Konsens bestand darin, dass der Lichttechnik eine bedeutsame Zukunft im Automobil bevorsteht. Vor allem die Kommunikation mit Fußgängern wird eine erste Applikation sein. Ralph Wirth, bei Osram Opto Semiconductor für neuartige Komponenten zuständig, zeigte Ergebnisse aus einer Sugar-Studie zum Thema Wahrnehmung von Pkws. „Sugar“ ist ein weltweites Netzwerk von Studenten, Universitäten und Unternehmen, das Probanden-Studien zu den Themen Wahrnehmung und Nutzung durchführt.
Demnach müssen Signale, die ein Auto sendet „leicht verständlich und vor allem groß sein“. Helmut Tiesler-Wittig, Director Standards and Regulations bei Lumileds, beschrieb in seinem Vortrag Möglichkeiten, die Fahrmodi eines automatisierten Fahrzeugs zu signalisieren. Tiesler-Wittig sieht das größte Potenzial in Displays mit LED-Technik. Dem stimmte Stephan Berlitz, Leiter Entwicklung Innovationen Licht & Sicht bei Audi, zu. Er zeigte, wie solche Displays im Fahrzeugdesign berücksichtigt werden können.
Neben der Front und dem Heck könnten künftige Autos die Displays zum Beispiel auf dem Kotflügel haben, um die Wahrnehmung bei Fußgängern zu verstärken. Für all diese Aufgaben sind Kommunikationsstandards dringend nötig.
Die entsprechenden Gremien arbeiten bereits daran. Außerdem muss die Signalfarbe definiert werden. Für den Einsatz im Straßenverkehr ist in Nafta und Europa lediglich die Farbe Türkis verfügbar. Das wird aber von chinesischen Gremien abgelehnt, da dort das Signallicht von Taxis türkis leuchtet. Es bleibt also noch viel Abstimmungsarbeit, bevor es an die technische Umsetzung geht.
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