Engineering So werden Autoreifen nachhaltiger
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Reifen sind die einzige Verbindung zwischen Fahrzeug und Straßen – und ein Verschleißteil. Wir geben einen Überblick, wie Reifen künftig nachhaltiger produziert und genutzt werden.

Reifenhersteller arbeiten nicht nur daran, die Effizienz und Leistungsfähigkeit ihrer Produkte zu verbessern, sie versuchen zudem, die Ökobilanz zu optimieren. Dazu drehen sie an verschiedenen Stellschrauben. Hier einige Beispiele.
Reifen aus Naturkautschuk
Ein Pkw-Reifen besteht aus 10 bis 30 Prozent aus Naturkautschuk. Hauptlieferant ist der Kautschukbaum Hevea Brasiliensis. Rund 70 Prozent des weltweiten Naturkautschuks benötigt die Reifenindustrie. Die meist in Monokulturen angebaute Pflanze wächst überwiegend im „Kautschukgürtel“ um den Äquator. Der Begriff „Monokultur“ deutet bereits ein Problem an: Die Produktionsbedingungen der Pflanze sind umstritten.
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Entwicklung
Reifen testen mit autonom fahrenden Autos
Neben schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen der Plantagenarbeiter haben etwa Abholzung und der Einsatz von Pestiziden große Auswirkungen auf die Ökosysteme sowie die Artenvielfalt. Die elf größten Reifenhersteller, darunter Bridgestone, Goodyear und Michelin, haben auf die auch imageschädigenden Probleme reagiert und etwa mit dem Tire Industry Project (TIP) und der Gründung der Globalen Plattform für nachhaltigen Naturkautschuk (Global Platform for Sustainable Natural Rubber, GPSNR) Initiativen ins Leben gerufen, die unter anderem die Arbeitsbedingungen und den Naturschutz verbessern wollen.
Die Überwachung und Durchsetzung von vorgegebenen Standards gestalten sich ähnlich wie bei der Textilproduktion in Asien nicht immer einfach. Das neue Lieferkettengesetz wird auch die Reifenhersteller in die Pflicht nehmen, sich um die Durchsetzung der Standards zu kümmern.
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Alternativen zu Naturkautschuk
Schon seit einigen Jahren suchen die Reifenhersteller nach Alternativen zu Naturkautschuk. Diese sollten zum einen nachhaltig sein, zum anderen auch kostengünstig. Natürlich wollen die Reifenhersteller auch ihre Abhängigkeit von den Kautschuk-Produzenten sowie von schwer kalkulierbaren Preisschwankungen reduzieren. So soll zum Beispiel der russische Löwenzahn (Taraxacum kok-saghyz) eine große Rolle spielen.
In den Wurzeln und dem Milchsaft des Gewächses findet sich hochmolekularer Kautschuk oder auch Latexsaft – der gleiche Gummi-Grundstoff, der bisher aus dem Regenwald kommt. Anders als die Kautschukbäume, die erstmals nach sieben Jahren den für die Kautschukproduktion benötigten Latex produzieren, könnte der russische Löwenzahn zweimal jährlich geerntet werden. Er wächst zudem auf kargen Böden und ist widerstandsfähig.
Hersteller wie Continental und Goodyear forschen intensiv an diesem Ersatzstoff. Langfristig soll die Pflanze auf bisher ungenutzten Flächen in gemäßigten Zonen Europas - und damit in geografischer Nähe zu den Reifenwerken angebaut werden. Sie darf aber nicht in Konkurrenz zu Nahrungspflanzen stehen. Latex aus „regionalem“ Anbau würde auch die transportbedingten CO2-Emissionen reduzieren.
Neben dem Russischen Löwenzahn eignet sich auch der in den Wüstengebieten Mexikos sowie in den US-Staaten Texas und New Mexico beheimatete Guayule-Strauch. Die Latex-Flüssigkeit findet sich in seinen Wurzeln und Stängeln. Bridgestone arbeitet bereits an einer industriellen Nutzung.
Synthetischer Kautschuk
Die Herstellung von synthetischem Kautschuk ist nichts Neues. Industriell wird dies bereits seit über 100 Jahren getan. Das Problem: Es geschieht auf petrochemischer Basis, es werden also Erdölprodukte zur Produktion gebraucht. Auch hier sucht die Reifenindustrie nach umweltfreundlicheren Alternativen. Zum Beispiel beim Gas Butadien. Dies ist brennbar, polymerisiert leicht und ist Bestandteil von synthetischem Kautschuk.
Michelin will das bislang noch auf Erdölbasis hergestellte Butadien mittels Bioethanol zu produzieren. Das Unternehmen setzt dabei auf die Verwendung von pflanzlicher Biomasse wie etwa aus forstwirtschaftlichen oder landwirtschaftlichen Rückständen wie Stroh und Hackschnitzel zur Herstellung von Ethanol, um so diesen wichtigen chemischen Bestandteil für die Produktion von synthetischem Kautschuk umweltschonender zu generieren. Im Projekt „BioButterfly“ arbeitet der französische Reifenhersteller mit Partnern aus Industrie und Forschung bereits an der Umsetzung einer industriellen Großfertigung.
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Reifenentwicklung
Neuer Synthesekautschuk überzeugt im Praxistest
Weitere Ersatzstoffe
Reifenhersteller suchen zudem nach weiteren Ersatzstoffen für die Reifenproduktion. Schon länger experimentieren zum Beispiel Goodyear, Michelin oder Yokohama mit Sonnenblumen-, Raps-, Soja- und Orangenöl. Zum Teil werden sie schon heute in der Reifenproduktion verwendet, um unter anderem die Reduzierung der Kohlenwasserstoffe im Reifen zu forcieren oder aber auch um die optimale Arbeitstemperatur eines Reifens besser zu steuern.
Auf der Suche nach einem Ersatzstoff für Silica, das im Reifen als Füllstoff und Ersatzstoff für Ruß benötigt wird und zur Verbesserung von Haltbarkeit und Langlebigkeit dient, arbeiten Goodyear und Pirelli an der Verwendung von Reisschalen-Asche. Sie ist ein Nebenprodukt der Reisverarbeitung und weist ähnliche Eigenschaften wie Silica auf.
Nachhaltig durch höhere Laufleistung
Eine weitere Möglichkeit, einen Reifen nachhaltiger zu machen, besteht in der Erhöhung seiner Laufzeit. Dazu nutzen Reifenhersteller unterschiedliche Gummimischungen. Im Schnitt sind Reifen mittlerweile auf eine Laufleistung zwischen 40.000 und 50.000 Kilometer ausgelegt. Beim Thema Laufleistung geht Michelin einen besonderen Weg. Das Unternehmen forciert unter dem Begriff „Long Lasting Performance“ das Ausnutzen der Profiltiefe bis zur gesetzlich vorgeschriebenen Mindestprofiltiefe von 1,6 Millimetern.
Die Franzosen stellen sich damit gegen Ratschläge von anderen Reifenunternehmen und Automobilclubs, Sommerreifen bei Erreichen der Dre-Millimeter-Marke und Winterreifen bei vier Millimeter zu wechseln. Gute Reifen sollten gemäß des Michelin-Konzepts auch mit wenig Profiltiefe noch mit ihren Kernkompetenzen wie Grip, Fahrstabilität und Bremsleistung überzeugen. Die längere Nutzungsdauer spart zudem Kosten und reduziert Kohlendioxidemissionen sowie den Einsatz von Material.
Recycling von Autoreifen
Irgendwann ist aber jeder Reifen am Ende seiner Nutzungsdauer angekommen. Hier bieten sich mehrere Optionen an. Sie können als sogenannte Runderneuerte einem zweiten Leben zugeführt werden. Das geschieht in Deutschland bei Pkw-Reifen allerdings recht selten, bei Lkw-Reifen gehört dieser Vorgang – auf eine noch intakte Karkasse wird ein neue Laufflächenmischung aufgetragen – eher zum Standardangebot.
Rund ein Drittel der entsorgten Reifen ist nicht für eine stoffliche Verwertung geeignet und wird thermisch genutzt. Das heißt, sie werden in der Zementindustrie verbrannt. Der Wirtschaftsverband der Deutschen Kautschukindustrie (WdK) verzeichnet aber für diese Entsorgungsart im vergangenen Jahr einen Rückgang von zehn Prozent. Im Trend liegen andere Verwertungsmodelle. Zweidrittel der alten Reifen werden hier zu Lande laut WdK zu Gummimehl und Granulaten verarbeitet.
Daraus können wieder Sekundärrohstoffe extrahiert werden. Michelin plant zum Beispiel mit dem schwedischen Unternehmen Enviro Kautschuk-Ruß, Pyrolyseöl, Stahl oder Gas aus den Altreifen zurückzugewinnen und wiederzuverwerten. Continental setzt in Zusammenarbeit mit dem Wirtschafts-Kreislaufspezialisten Pyrolyx auf die Verwendung von rückgewonnenem Ruß für die Reifenherstellung.
Neben den Maßnahmen der Reifenhersteller hat natürlich der Autofahrer auch selbst in der Hand, wie langlebig die Reifen seines Fahrzeugs sind. Pfleglicher Umgang, umsichtige Fahrweise und ein korrekter Reifenluftdruck verlängern das Reifenleben. Auch das spart Geld und schon die Umwelt.
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