Automobilzulieferer Autozulieferer: „Werden eine starke Frequenz an den Insolvenzgerichten erleben“

Autor Svenja Gelowicz

Kreditversicherer warnen vor einer Pleitewelle ab Herbst. Norbert Heinz, Gründer einer gleichnamigen Beratungsfirma, arbeitet mit Mittelständlern zusammen – auch solchen, die bereits Insolvenz anmelden mussten. Ein Gespräch über die Situation der Zulieferer.

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Norbert Heinz berät mittelständische Zulieferer zum Thema Preiskalkulation.
Norbert Heinz berät mittelständische Zulieferer zum Thema Preiskalkulation.
(Bild: Norbert Heinz Consulting)

Herr Heinz, Sie beraten Automobilzulieferer aus dem Mittelstand, vor allem zum Thema Preiskalkulation. Wie haben sich die Gespräche zu Pandemie-Zeiten verändert?

Natürlich haben sich die Herausforderungen für die Unternehmen massiv verschärft. Dabei kalkulieren viele Lieferanten auch heute noch ihre Produkte mit den in guten Zeiten vorgefertigten Stundensätzen, die auf einer ordentlichen Auslastung basieren. Aktuell liegen die Auslastungen aber weit unter Plan, Maschinen- und Werkskosten müssen auf weniger Produkte umgelegt werden – und eigentlich müssten die Preise nun massiv angehoben werden. Gleichzeitig fordern viele Kunden aber jetzt wieder von ihren Lieferanten Preisnachlässe. Das ist für Zulieferer sehr bedrohlich. Viele sind bereits enorm in Schieflage geraten und einige auch schon insolvent.

Wo bewegen sich Unternehmen bei Ihrer Auslastung?

Es gibt schon einige, die gerade nur noch bei 35 oder 40 Prozent laufen, das ist schlichtweg eine Katastrophe. Viele bewegen sich zwischen 50 und 70 Prozent und auch das ist schon sehr schlimm.

Ohne López wäre die Industrie an Selbstgefälligkeit erstickt.

Sie arbeiten auch mit Unternehmen zusammen, die bereits in eine Insolvenz geraten sind. Welche Strategien verfolgen diese Lieferanten?

Die sind ganz unterschiedlich. Der eine schlüpft unter einen Schutzschirm und ruft nach staatlicher Hilfe. Andere fahren eine Insolvenz in Eigenverwaltung und brauchen vor allem Spielraum, um bestimmte Dinge anzugehen. Wieder andere arbeiten schon mit externen Insolvenzverwaltern. Spreche ich mit letzteren, geht es dabei zumeist um zwei Dinge: Erstens Aufträge halten und nach Möglichkeit zumindest zeitlich begrenzt Preiserhöhungen durchsetzen. Und zweitens geht es darum intern massiv Kosten zu sparen, wobei man hier oft leider nicht um Personalkürzungen herumkommt.

Aus der Branche hört man jetzt immer wieder, dass sich die Zulieferer zunehmend Gedanken machen, welche Kunden und Aufträge sie sich noch leisten können – und Aufträge sogar zurückgeben.

Auch ich höre davon immer wieder, habe es allerdings noch nicht erlebt. Sie können ja nur dann einen Auftrag zurückgeben, wenn sie sich dafür am Markt lukrativeren Ersatz holen können. Momentan sind für solche Aktionen die Auslastungen in den Werken viel zu niedrig. Wenn man sich dann noch von Umsatzträgern trennt, schneidet man sich tief ins eigene Fleisch. Ich rate eher dazu, mit den Kunden ins Gespräch zu kommen und zu versuchen, die Preise anzupassen.

Wie kann man da noch Geld verdienen?

Ums Geld verdienen geht es momentan gar nicht in erster Linie. Man versucht viel mehr, Deckungsbeiträge ins Unternehmen zu holen, um damit die laufenden Kosten weitgehend zu decken. Länger leben als der Wettbewerb, das ist momentan für viele die Devise. Also die Krise ein Stück weit aussitzen, um dann freiwerdende Marktanteile der Wettbewerber übernehmen zu können.

Lieferanten sorgen sich auch um geplante Neuanläufe. Erwarten Sie größere Ausfälle?

Die Sorge ist begründet. Ich glaube nicht, dass sich dieses Jahr noch viel am Markt tun wird. Anläufe werden zurückgestellt, man wartet erstmal ab. Neuanläufe sind grundsätzlich ein Thema, über das wir mit Kunden viel sprechen. Einkäufer kündigen oft vielversprechende Stückzahlen an, wobei aber jeder in der Branche weiß, dass es erstmal eine Hochlaufkurve gibt. Also verhaltener Start, dann Hochlauf zur Kammlinie – und dann kommt das Facelift und die Mengen gehen oft schon wieder spürbar zurück. Jeder weiß das und trotzdem versäumen viele, in ihren Excel-Tabellen diese Mengen- und Auslastungsszenarien kalkulatorisch ausreichend zu berücksichtigen. Sie glauben fälschlicherweise, mit den verhandelten Preisen Geld zu verdienen. Erst in der Rückschau merken sie dann: Da ist nichts hängengeblieben. Kurz: Das Thema Live-Time-Costing wird oft immer noch sträflich vernachlässigt.

Was ist Ihre Prognose für die Zulieferer in den nächsten Monaten?

Ich glaube, wir steuern auf einen heißen Herbst zu. Aktuell sind die Unternehmen noch durch verschiedene Maßnahmen geschützt. Sie müssen nicht sofort zum Insolvenzrichter laufen, wenn das Geld knapp wird und Zahlungsunfähigkeit droht. Doch wenn diese Schutzmaßnahmen auslaufen, werden wir eine starke Frequenz an den Insolvenzgerichten erleben. Und im nächsten Schritt werden wir dann eine Übernahmewelle erleben. Es geht hier in erster Linie um Marktanteile. Da läuft schon viel im Hintergrund, Gespräche werden längst geführt.

Porsche-Beschaffungsvorstand Uwe-Karsten Städter sagte uns jüngst in einem Interview, dass sie ihre Lieferanten in der Coronakrise unterstützen. In den letzten Wochen habe man einigen, vor allem kleineren Lieferanten bei der Finanzierung geholfen. Sind die Stuttgarter da eine Ausnahme?

Porsche kümmert sich schon seit vielen Jahren stark um seine Lieferanten. Mitarbeiter fahren vor Ort, schauen sich Produktionsanlagen an, sprechen über Kosten. Da denkt manch einer: Super, ein Kunde, wie man ihn sich wünscht. Aber natürlich schaut man sich in solchen Projekten vor Ort auch ganz genau die Taktzeiten an, zählt die zugeordneten Werker, bewertet und kalkuliert die Kosten. Und dann heißt es oft: Wir sehen hier Verschwendung, müssen über Ihre Kostensituation reden, das möchten wir so nicht zahlen. Aber eben auch: Wir helfen beim Optimieren.

Also schlussendlich ein Kunde, der wirklich hilft?

Genau dieses Vorgehen hat die deutsche Industrie natürlich enorm vorangebracht und die internationale Wettbewerbsfähigkeit gestärkt. Klar landet man da in der Diskussion schnell mal wieder bei José Ignacio López, von dem viele sagen: Das war ein Schaden für die deutsche Wirtschaft. Nein, war es nicht. Ohne López wäre die Industrie ja an Selbstgefälligkeit erstickt. Tatsächlich wurden Prozesse optimiert, Verschwendung herausgenommen, Kosten enorm reduziert - eine Verschlankungskur, die allen gutgetan hat. Es sollte dabei aber fair zugehen.

Nochmal zu Porsche: Die Konzernschwester Volkswagen hingegen verlängert ihre Zahlungsziele, um die eigene Liquidität zu schonen. Wie verhalten sich andere Autobauer?

Das machen andere Global Player auch, sehr zum Schaden ihrer Zulieferbasis. Einigermaßen heil kommen wir aus dieser Krise aber nur, wenn Lieferketten zusammenstehen.

Herr Heinz, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Über Norbert Heinz

Norbert R. Heinz, geboren 1960, ist Diplom-Ingenieur und Six-Sigma-Experte. Er war bis 2010 als Führungskraft in der Automobilzulieferindustrie in Entwicklung und Einkauf tätig. Zuletzt verantwortete Heinz den Einkauf und das Thema Kosten und Prozessoptimierung bei einem großen Automobilzulieferer. Er ist Gründer und Geschäftsführender Gesellschafter der Norbert Heinz Consulting GmbH & Co. KG.

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